Ferne Gefährten
Joachim Esberg hinterließ berührende Verse
Vom Schicksal Joachim Esbergs hätte die Öffentlichkeit kaum nennenswerte Notiz genommen, hätte nicht sein Tagebuch in einer Schublade Jahrzehnte überdauert. Wäre nicht dieses Tagebuch irgendwann Joachim Esbergs Cousin Gerhard Schulze in die Hände gefallen. Und hätte der nicht Wege gesucht und gefunden, Esbergs Zeitdokument historisch Interessierten zugänglich zu machen.
Die Cousins, die einander nie begegneten, sind ferne Gefährten. Als Esberg im Vernichtungslager Auschwitz starb, war Schulze noch ein Schulkind. Er erlebte in seiner Familie, was die gnadenlose Judenverfolgung der Nazis bedeutete. Seine Mutter war Jüdin. Auch Joachim Esberg wuchs in einer jüdischen Familie auf, einer Pferdehändler-Dynastie in Wolfenbüttel. Schon vor Hitlers Machtantritt begannen in Wolfenbüttel die organisierten Angriffe gegen Juden. Die Familie ging schließlich nach Belgien, ließ sich in Gent nieder, wo der Vater Geschäftspartner hatte und sich einen Neubeginn erhoffte. Joachim schloss die Schule ab und schrieb sich an der Universität ein, für Germanistik und Philosophie.
In dieser Zeit kaufte er ein Notizheft und führte darin Tagebuch. In Gedichtform. Seine Gedanken, Gefühle fasste er in Verse; alles, was junge Menschen eben bewegt. Aber immer öfter schrieb er bald über seine Angst vor erneuter Verfolgung. Verse wie dieser häuften sich: »Tat etwa ich, wie man nicht tut? / Bin ich nicht, was ihr alle seid: / Ein Mensch voll seiner Menschlichkeit? / Ach, ich vergaß – bin ja ein Jud’.«
Die Nachrichten aus der Heimat wurden immer düsterer, und irgendwann drohte der Einmarsch der Wehrmacht nach Belgien. Das geschah tatsächlich im Mai 1940; Esberg kam nicht mehr dazu, sich für das nächste Studienjahr zu immatrikulieren. Er wurde in Gent von den deutschen Besatzern verhaftet, erst in ein französisches Internierungslager und schließlich nach Auschwitz deportiert. Dort verlor sich seine Spur. Auf seinem Grabstein in Wolfenbüttel steht: »Im KZ umgekommen«.
Gerhard Schulze, der bei Leipzig lebt, hat seit der Wende in der DDR vor 25 Jahren viel Familienforschung betrieben. Das Schicksal seines Cousins Joachim hat ihn nicht losgelassen; erst recht nicht, nachdem er das Tagebuch erhalten hatte. Er wandte sich an das »neue deutschland«, wo Ende 2012 eine Reportage über die Geschichte des Joachim Esberg erschien. Dieser Text ist nun Teil eines Buches, das Wolfenbütteler Regionalhistoriker herausgegeben haben. Enthalten sind ein weiterer Zeitungstext aus dem »Zeit-Magazin«, Recherchen über die Geschichte der Juden in Gent und die Familie Esberg. Und vor allem natürlich Esbergs ergreifende Gedichte.