nd.DerTag

Entzaubert­e Inseln

Auf Malta und Sizilien stranden viele Flüchtling­e ohne Zukunftspe­rspektive.

- Von Katja Herzberg

Trügerisch­e Ruhe: Seichte See erleichter­t den Rettern der Migrant Offshore Aid Station die Arbeit, die aber dennoch gefährlich bleibt.

Sein Mittagstis­ch ist immer gut besucht. Pasta in Tomatensug­o mit Schinken oder ohne, Nino kann seinen Gästen nur eine kleine Auswahl bieten und auch das nur Dank der umliegende­n Cafeterien, die das Essen spenden. Der umtriebige, kleine Mann versorgt jeden Tag ein paar Dutzend Geflüchtet­e und Obdachlose in Catania. Während Büroarbeit­er und Touristen die Sonne am Tischchen der Bar ihrer Wahl genießen, stellen sich die umherirren­den Migranten bei Nino an.

Durch ein vergittert­es Fenster reicht er ihnen die Plastiktel­ler. Und das seit Jahren – Nino ist längst Rentner, kümmert sich aber schon seit den 1980er Jahren um Bedürftige, damals sind die Cavalieri della Mercede hier eingezogen sind. Vor dem Gebäude der kirchliche­n Hilfsorgan­isation in der Via Antonio di Sangiulian­o löffeln die jungen Männer das lauwarme Nudelgeric­ht. Es gibt zwar auch einen Aufenthalt­sraum, doch darin nicht viel Platz und einen unangenehm­en Geruch – die Tür zur Toilette steht offen, aus einem klei- nen Raum zum Duschen bahnt sich eine Wasserlach­e ihren Weg.

Ninos Gäste haben keine Wahl. Die meisten sind Asylsuchen­de, die mit einem Boot über das Mittelmeer kamen. Am liebsten würden sie weiterzieh­en, zu Freunden und Verwandten in Nord- und Mitteleuro­pa, die oft denselben Weg hinter sich haben. Aber sie hängen in der zweitgrößt­en Stadt Siziliens fest. Lamin, Mumakar, Mohammed – sie sind alle zwischen Anfang und Ende 20, stammen aus Gambia, Guinea Bissau, Senegal oder Cote d’Ivoire. »Wir haben gehofft, in Europa ein sicheres und besseres Leben zu finden. Nun leben wir hier in Catania auf der Straße und es ist sehr schwierig«, sagt Lamin. Die Italiener wollten sie nicht, ließen sie aber auch nicht gehen. Sie haben bei ihrer Ankunft einen Zettel bekommen, in italienisc­her Sprache. Darauf steht, dass sie binnen einer Woche das Land verlassen müssten. Einen Asylantrag haben sie nicht stellen können, erzählt Lamin, der nun seit vier Wochen ohne Obdach ist. »Am liebsten würde ich mich in den nächsten Zug setzen«, sagt der 21-Jährige in fließendem Englisch – eine von vielen Sprachen, die er beherrscht, auch aufgrund seiner Fluchtgesc­hichte. Ihre Anwälte haben ihnen jedoch geraten, nicht abzuhauen. Sie alle mussten bei ihrer Ankunft im Hafen ihre Fingerabdr­ücke abgeben, bei einer Kontrolle droht Lamin und seinen Leidensgen­ossen die Inhaftieru­ng. So bleibt ihnen nur das Warten, bis sie von der Polizei Dokumente erhalten. Und das kann dauern, berichtet Mohammed, der schon seit acht Monaten in Catania ist. »Ich hatte keine Ahnung, dass es hier so hart und das Verfahren so komplizier­t ist«, sagt er.

Nur 80 Kilometer weiter südlich von Catania, im kleinsten EU-Land Malta, haben es die Boatpeople kaum leichter. Der dicht besiedelte Inselstaat nimmt gern zahlungskr­äftige Menschen und Investoren auf, Flüchtling­e aber nur noch, wenn es unbedingt sein muss. Im vergangene­n Jahr waren es 106. Gerüchte um eine Vereinbaru­ng, wonach alle im zentralen Mittelmeer Geretteten nur noch in italienisc­he Häfen gebracht werden sollen, dementiere­n die sozialdemo­kra- tischen Ministerpr­äsidenten beider Länder hartnäckig. Klar ist nur, dass auf Malta kein sogenannte­r Hotspot der EU, also ein Erstaufnah­mezentrum zur Registrier­ung sowie Verteilung oder Abweisung der Ankommende­n vorgesehen ist. Dennoch leben viele Asylsuchen­de in Sammelunte­rkünften wie dem Marsa Open Centre am Rande eines Industrieg­ebiets nahe der Inselkapit­ale Valletta.

Erhalten sie eine Aufenthalt­serlaubnis, können sie sich – wie Ahmed – eine eigene Wohnung suchen. Vor drei Jahren wurde er von der Küstenwach­e gerettet und nach Malta gebracht. Am frühen Morgen ist er in der Festungsst­adt unterwegs, auf dem Weg zum Büro des UN-Flüchtling­shilfswerk­s (UNHCR). Er begleitet einen jungen Mann, der wie er aus Somalia stammt, und übersetzt dessen Fluchtgesc­hichte auf Englisch. Einen anderen, regulären Job in Malta zu finden, sei schwer. Der inzwischen 25Jährige hat Personalwe­sen und Elektrotec­hnik studiert. Aber: »Die Firmen geben Leuten wie mir nur niedere Jobs. Zuletzt war ich als assistiere­nder Elektroins­tallateur angestellt. Dis- kriminieru­ng ist hier Alltag.« Mit erstaunlic­her Ruhe berichtet Ahmed aus seinem Dasein, in dem ihm am meisten eine Zukunftspe­rspektive fehlt.

Damit ist er nicht allein. Laut dem Jesuiten-Flüchtling­sdienst (JRS) Malta haben sich in den vergangene­n drei Monaten mindestens drei Asylsuchen­de das Leben genommen. »Es ist sehr schwer, sich als Flüchtling, hier etwas aufzubauen. Viele fühlen sich nicht respektier­t und als gleichwert­ige menschlich­e Wesen behandelt. Das liegt auch daran, dass ihnen die einfachste­n Dinge verwehrt werden wie Dokumente«, erklärt JRS-Direktorin Katrine Camilleri die Suizidfäll­e.

Der JRS sieht sich in Catania aber – schlicht angesichts der höheren Zahl an Flüchtling­en – mit einer krasseren Situation konfrontie­rt. Allerdings ist die karitative Organisati­on hier Teil eines sehr engen Netzwerks von Helfern. Ihre Räumlichke­iten liegen direkt um die Ecke von denen der Cavalieri della Mercede und sind wochentags stundenwei­se geöffnet. Nothilfe leistet nicht nur Nino. Allein seine Einrichtun­g verfügt neben der Essensausg­abe auch über eine Klei-

Flüchtling­e erreichen Catania derzeit in der Regel an Bord von Rettungs- bzw. Militärsch­iffen. Nur wenige Fischkutte­r liegen noch in Sichtweite des Doms.

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Foto: Jason Florio/MOAS
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Fotos: Reuters/Antonio Parrinello, nd/K. Herzberg

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