Debatte nach erfundenem LAGeSo-Todesfall
Berliner Initiative »Moabit hilft« bedauert Lüge eines Helfers
Berlin. Die Flüchtlingsinitiative »Moabit hilft« hat am Donnerstag nach dem durch einen Helfer erfundenen Flüchtlingstod Fehler eingeräumt. Die Falschmeldung, dass in der Hauptstadt ein syrischer Flüchtling nach tagelangem Warten am Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) auf dem Weg in ein Krankenhaus verstorben sei, hatte sich am Mittwoch wie ein Lauffeuer über die sozialen Netzwerke und Medien verbreitet. Erst am Mittwochabend stand fest, dass es sich um eine frei erfundene Geschichte handelte. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) bezeichnete die Lüge des Helfers als »eine der miesesten und perfidesten Aktionen«, die er jemals erlebt habe. Der Landesvorsitzende der LINKEN, Klaus Lederer, wies die Vorwürfe zurück. »Was haben Sie dafür getan, dass die Möglichkeit eines solchen Falles ausgeschlossen wird?«, attackierte Lederer den Senator im Abgeordnetenhaus.
Der erfundene Tod eines Flüchtlings schlug auch am Donnerstag hohe Wellen und wirft ein Schlaglicht auf die Grenzen freiwilliger Helfer.
»Ich möchte mich hiermit bei euch aus tiefstem Herzen entschuldigen. Es tut mir unendlich leid, dass ich viele Menschen mit meiner falschen Aussage verletzt habe«, hieß es am Donnerstag in einem Post bei Facebook. Absender der mittlerweile wieder gelöschten Nachricht soll Dirk V. sein. Derselbe Mann, der Dienstagnacht behauptet hatte, dass ein Flüchtling nach dem Warten am Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) einen Herzstillstand erlitten habe und gestorben sei. V. war seit einigen Wochen ehrenamtlicher Unterstützer bei der Initiative »Moabit hilft«.
Öffentlich gemacht hatte den ursprünglich privaten Facebook-Chat mit dem Flüchtlingshelfer eine weitere Mitstreiterin der Initiative. »Moabit hilft« hatte die Nachricht dann am Mittwochmorgen ungeprüft weiterverbreitet und damit viel öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt. »Berlins Behörden mussten über Stunden mit hohem Aufwand nach einem erfundenen › LAGeSo-Toten‹ suchen«, sagte Innensenator Frank Henkel (CDU). Er forderte rechtliche Konsequenzen gegen den Flüchtlingshelfer.
Bei »Moabit hilft« gab man sich bei einer Pressekonferenz am Donnerstag zerknirscht. »Wir haben da auf Deutsch gesagt echt Mist gebaut«, sagte eine Sprecherin. Es sei ein Fehler gewesen. »Es war tatsächlich aus diesem Vertrauensverhältnis heraus.« Die Geschichte sei aber »nicht ganz so unwahrscheinlich«, betonte sie. »Das kann sich jeder Helfer, jeder Politiker und jeder Pressevertreter hier mittlerweile vorstellen.« Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum die Nachricht ohne eine Bestätigung solche Wellen schlagen konnte.
Seit einigen Wochen merkte Dirk V. nach eigenem Bekunden in seiner mittlerweile wieder gelöschten Er- klärung, dass sein Engagement ihn »mehr und mehr an die Grenzen der psychischen und auch körperlichen Belastung« bringe. In besagter Nacht sei er betrunken von einer Feier gekommen. Er müsse sich »in eine Geschichte hinein gesteigert haben, die ich in diesem Moment wohl selbst geglaubt habe«. Am Morgen konnte er sich laut dem Facebook-Post »an fast nichts mehr erinnern, erst im Laufe des Tages wurde mir klar, was ich angerichtet habe«.
Die Polizei hatte ihn am Mittwochabend als Zeugen in einem »Todesermittlungsverfahren« befragt. »Zunächst hat V. den Beamten nicht geöffnet, nach telefonischem Kontakt hat er sie schließlich in seine Wohnung gebeten«, sagte Polizeisprecher Stefan Redlich dem »nd«. Nach etwas über anderthalb Stunden war ein 16-seitiges handschriftliches Protokoll angefertigt. »Die Aussagen decken sich im Großen und Ganzen mit der Stellungnahme auf Facebook«, sagte Redlich.
Die Erfindung eines toten Flüchtlings sei der »Gipfel einer monatelangen Diskreditierung des Berliner Sozialsenators Mario Czaja sowie des gesamten LAGeSo«, polterte CDUFraktionschef Florian Graf in einer Mitteilung. Es wurde dem »Vertrauen in die Redlichkeit der Flüchtlingsinitiativen in unserer Stadt Schaden zugefügt«, sagte er weiter. Auf der Seite von »Moabit hilft« finden sich inzwischen hunderte Kommentare. Neben berechtigter Kritik an dem Umgang mit der Nachricht fin-
Nivedita Prasad, Professorin Alice Salomon Hochschule
den sich auch viele haltlose Vorwürfe oder die generelle Ablehnung von Flüchtlingen.
»Die ehrenamtlichen Helfer sind Fluch und Segen zugleich«, sagte Nivedita Prasad, Professorin an der Alice Salomon Hochschule. Sie erarbei- tet derzeit ein gemeinsames Positionspapier der Hochschulen zu Qualitätsstandards professioneller Sozialer Arbeit mit Geflüchteten. »Einerseits helfen sie den Menschen, andererseits fehlt ihnen eine Ausbildung«, sagte sie. »Ein professioneller Sozialarbeiter weiß zum Beispiel, dass es nicht geht, Klienten nach Hause zu nehmen.« Dirk V. war schon vor einigen Monaten in der Presse mit der Nachricht, dass er über den Sommer 24 Flüchtlinge bei sich zu Hause übernachten hat lassen. »Die Aktion war ein Hilfeschrei, der absurderweise geholfen hat«, sagt Prasad, allerdings sollte das niemand nachmachen. Sie fordert Begleitkurse für die Helfer, um ihnen Standards der Sozialarbeit nahezubringen. »Sie müssen lernen, mit Frust umzugehen, um nicht auszubrennen.« Insgesamt sei eine Koordination des Ehrenamts notwendig. So hält sie die Kinderbetreuung durch Freiwillige, die nicht überprüft wurden, für sehr bedenklich. »Eigentlich ist der Skandal, dass die Ehrenamtler Aufgaben übernehmen, für die der Staat zuständig ist«, sagt Nivedita Prasad.
»Die Aktion war ein Hilfeschrei, der absurderweise geholfen hat.«