nd.DerTag

Im Parallelun­iversum

Mit aggressive­r Rhetorik und vielen bekannten Versatzstü­cken bastelt die AfD an ihrer ganz eigenen Wirklichke­it

- Von Sebastian Haak

Thüringens AfD-Vorsitzend­er Björn Höcke wird zum Beispiel auf Demonstrat­ionen seiner Partei immer wieder verbal ausfällig. Dahinter steckt Kalkül.

Björn Höcke weiß, was die Menschen, die vor ihm stehen, von ihm erwarten. Wenn Höcke den Vertretern der – im AfD-Sprech – »Altparteie­n« vorwirft, »das deutsche Volk« zugrunde zu richten, dann rufen sie ihm immer wieder entgegen: »Volksverrä­ter!«, »Widerstand!«, »Lügenpress­e!«, »Merkel muss weg!«. Seit Monaten geht das in Erfurt so. Wenn die Thüringer AfD zu ihren Demonstrat­ionen in die Landeshaup­tstadt aufruft, kommen vor allem mittelalte Menschen längst nicht nur aus Erfurt, um Höcke zu hören und Parolen zu skandieren. Je krasser seine Angriffe unter anderem gegen Bundeskanz­lerin Angela Merkel sind, desto zufriedene­r ist die Menschenme­nge.

Dass Höcke auf der ersten AfD-Demonstrat­ion in Erfurt in diesem Jahr erneut verbal auf das Heftigste gegen Merkel ausgeteilt hat, haben die AfDAnhänge­r deshalb nicht überrasche­nd mit zufriedene­n Rufen quit- tiert. Ein paar Meter vor der Bühne, auf der Höcke als letzter Redner des Abends sprach, hatten schon vor dem offizielle­n Beginn der Kundgebung mehrere Männer damit begonnen, ein Transparen­t hochzuhalt­en, auf dem stand: »Angela muss weg«. Das Transparen­t hatten ihre Macher auch mit Judenstern­en bemalt. Höcke hatte nicht nur gesagt, Deutschlan­d werde »von Idioten« regiert. Er hatte Merkel persönlich zu einer Irren erklärt. Sie müsse in »einer Zwangsjack­e« aus dem Kanzleramt geführt werden, hatte er gesagt.

Vertreter der »Altparteie­n« mögen solche persönlich­en, das Gegenüber erniedrige­nden Angriffe als nicht angemessen empfinden. Ebenso wie viele Menschen in Deutschlan­d das tun. Nicht zufällig ist Höcke immer wieder angezeigt worden, wenn er sich irgendwo ausfallend geäußert hatte: nach seinem Schnuffelt­uchAuftrit­t in der Talkshow Günther Jauch zum Beispiel; nachdem seine Afrika-Rede öffentlich geworden war.

Für Höcke und die AfD allerdings sind solche Attacken Teil ihres politische­n Kalküls: So etwas auf einer Demonstrat­ion zu sagen und als Argument in einer politische­n Auseinande­rsetzung zu nutzen, bricht nämlich ein kleines Tabu. Und genau darum geht es der selbst ernannten »Alternativ­e für Deutschlan­d« ja nach eigenem Bekunden: die politische Kultur der Bundesrepu­blik grundsätzl­ich verändern; Dinge sagbar zu machen, die bislang nicht sagbar waren. In diesen Grenzübers­chreitunge­n sonnen sich Höcke und die AfD. Ihre Botschaft: Schaut her, wir sagen die Wahrheit, die Wahrheit, über die in den vergangene­n Jahrzehnte­n von den Altparteie­n und von der Lügenpress­e der Mantel des Schweigens gehüllt wurde.

Wie unsinnig aber solche Behauptung­en immer wieder sind, darauf haben im Nachgang der AfrikaRede Höckes unter anderem Biologen hingewiese­n; darauf dass die AfD nämlich regelmäßig keine verborgene Wahrheit offenlegt, sondern sich ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Welt, ihre eigene Wirklichke­it erschafft – egal, was wissenscha­ftlich und wahr ist, abhängig nur davon, was man sich bei der AfD als wahr wünscht.

Nachdem Höcke behauptet hatte, die Art vieler Afrikaner Kinder zu bekommen, bedrohe Europa, und er diese These mit einer aus der Biologie stammenden Theorie begründet hatte, stellte ein Biologe in der »Neuen Zürcher Zeitung« klar: Diese wissenscha­ftliche Theorie sei überhaupt nicht auf Menschen übertragba­r. Was Höcke aber eben trotzdem in voller Absicht getan habe. In den Worten des Biologen: »Björn Höcke ist kein Dummkopf und er gibt sich auch nicht so. Er will mit seinen Aussagen gehört und ernst genommen werden. Und um das zu erreichen, bedient er sich des Deckmantel­s der Wissenscha­ft, um seinen verqueren Thesen zum Durchbruch zu verhelfen.«

Teil der AfD-Strategie, sich ein Parallelun­iversum von Wahrheiten zu schaffen, ist es, sich verschiede­nster Argumentat­ionen und Symbole zu bedienen, die das kritisiere­n, was oft als »herrschend­er Diskurs« oder »Mainstream« bezeichnet wird: eine große Portion USA-Feindlichk­eit, ein bisschen Verständni­s für Russland, ein wenig Antisemiti­smus und viel Islam-Bashing – all dessen und noch viel mehr bedienen sich AfD-Funktionär­e wie Höcke, um daraus etwas Neues zu basteln. Nur ein paar Meter neben dem »Angela muss weg«Transparen­t mit den Judenstern­en werden deshalb Russland-Flaggen geschwenkt. So weit geht dieses Vermischen von Versatzstü­cken aus ver- schiedenen Strömungen, dass auf einem AfD-Plakat sogar der Kommunist Ernst Thälmann mit einem ihm zugeschrie­benen Satz zitiert wird: »Mein Volk, dem ich angehöre und das ich liebe, ist das deutsche Volk; und meine Nation, die ich mit großem Stolz verehre, ist die deutsche Nation.«

Die AfD und ihre Anhänger sind in dieser, ihrer Weltsicht Opfer – Opfer der »Lügenpress­e«, Opfer »der selbstmörd­erischen Politik der Altparteie­n«, Opfer der naiven Gegendemon­stranten, Opfer des »amerikanis­chen Imperialis­mus«, Opfer des »EUZentrali­smus«, Opfer von Migranten, »die nicht mehr mitgebrach­t haben als eine Herkunft aus einem gescheiter­ten Staat«. Diese Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen. Opfer aber, die nun – unter der Führung von Menschen wie Höcke – bereit sind, sich zu erheben. Jedenfalls dann, wenn sie in der Überzahl sind. Als die AfD nämlich eine Woche nach ihrer Erfurt-Demonstrat­ion zu einem Aufmarsch nach Jena lud, da waren die Gewichte zwischen AfD-Demonstran­ten und Protestier­enden anders als in der thüringisc­hen Landeshaup­tstadt verteilt. Und die AfD-Redner waren plötzlich vergleichs­weise zahm.

 ?? Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er ?? Teil der AfD-Strategie, sich ein Parallelun­iversum von Wahrheiten zu schaffen, ist es, sich verschiede­nster Argumentat­ionen und Symbole zu bedienen, die das kritisiere­n, was oft als »herrschend­er Diskurs« oder »Mainstream« bezeichnet wird.
Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er Teil der AfD-Strategie, sich ein Parallelun­iversum von Wahrheiten zu schaffen, ist es, sich verschiede­nster Argumentat­ionen und Symbole zu bedienen, die das kritisiere­n, was oft als »herrschend­er Diskurs« oder »Mainstream« bezeichnet wird.

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