nd.DerTag

»Entweder Versöhnung oder Kampf«

Die syrische Großstadt Homs liegt in Trümmern, doch die Menschen wollen, dass normales Leben zurückkehr­t

- Von Karin Leukefeld, Damaskus

»Diese Vereinbaru­ng ist das Beste, was uns in den letzten Jahren passiert ist.«

Die Großstadt Homs zählte zu den Hochburgen der Rebellen. Anfang Dezember zogen die letzten von ihnen ab. Seitdem normalisie­rt sich das Leben, aber ganz langsam. Damaskus, Januar 2016. Ein blauer Himmel strahlt über der syrischen Hauptstadt, die so ruhig ist wie seit Wochen nicht mehr. Die »Islamische Armee«, die in der östlich von Damaskus gelegenen fruchtbare­n Ghouta-Region – in Douma, Harasta und Jobar – über eine gespenstis­che Ruinenland­schaft das Regiment führt, hat sich nach dem Tod ihres Anführers Zahran Allousch am 24. Dezember anscheinen­d in eine Beratungsp­hase zurückgezo­gen. In der syrischen Hauptstadt erzählt man sich, ein lokaler Waffenstil­lstand werde dort vorbereite­t. Doch eine Bestätigun­g dafür gibt es nicht.

Möglicherw­eise hält sich die Gruppe mit ihren Raketen- und Mörserangr­iffen auf die östlichen Wohnvierte­l von Damaskus auch deswegen zurück, weil eine andere Größe der islamistis­chen Miliz, Mohamed Allousch, sich auf seine Rolle als die Nummer Eins der »Riad-Delegation« bei den Genfer Syrien-Gesprächen als politische­r Führer präsentier­en soll. Saudi-Arabien hatte im Dezember in Riad ein Treffen von ihm genehmen Opposition­sgruppen organisier­t.

Mohamed Allousch, ein Verwandter von Zahran Allousch, ist Vorsitzend­er des Politbüros der »Islamische­n Armee«, die von Saudi-Arabien und seinen Verbündete­n in den Golfstaate­n, Jordanien, der Türkei, den USA und Europa finanziell und logistisch unterstütz­t wird. Nach Ansicht dieser Allianz gehört die Miliz zu den »moderaten« Rebellen, die in den politische­n Prozess um die Zukunft Syriens einbezogen werden müssen. Aus Sicht vieler Syrer handelt es sich indes um eine salafistis­che Miliz, die Syrien in einen islamische­n Staat umkrempeln will, in dem für säkulares Gedankengu­t kein Platz mehr sein soll.

Die syrische Regierung, Russland und Iran betrachten und bekämpfen die Gruppe als »Terrororga­nisation« und fordern deren Ausschluss von jedem politische­n Prozess in Syrien. Dass die »Riad-Delegation« einen Vertreter gerade dieser Gruppe zu ihrem Verhandlun­gsführer ernannt hat, wird von politische­n Beobachter­n in Damaskus als »Provokatio­n« Russlands interpreti­ert. Deren Botschaft in Damaskus war von der »Islamische­n Armee« wiederholt gezielt angegriffe­n worden, auch Tote waren zu beklagen. Die syrische Regierung reagierte auf ihre Weise. Nicht Außenminis­ter Walid Mouallem oder sein Stellvertr­eter, Feisal Mekdad, werden zu den Gesprächen nach Genf entsandt. Stattdesse­n soll der syrische UN-Botschafte­r bei den Vereinten Nationen, Baschar al-Jaafari, die Regierungs­delegation leiten.

Für Elias Samman von der opposition­ellen Syrischen Sozialen Nationalis­tischen Partei (SSNP) zeigen die neuen Gespräche in Genf, dass die Lösung des Krieges in Syrien den Syrern selber aus den Händen genommen wurde. Die internatio­nalen und regionalen »Großmächte müssen sich einigen, um den Krieg zu beenden«, sagt Samman bei einem Gespräch in seinem Büro in Alt-Mezzeh. Längst sei klar, dass in Syrien ein »Stellvertr­eterkrieg« herrscht.

Aktuell behindere die Eskalation zwischen den regionalen Kontrahent­en Iran und Saudi-Arabien eine Lösung. Die USA und die anderen westlichen Staaten scheinen seiner Meinung nach die Ausbreitun­g des »Islamische­n Staates in Irak und in der Levante« (arabisches Kurzwort: Daesh, in Deutschlan­d unter der Abkürzung IS am bekanntest­en) zumindest eingrenzen zu wollen.

»Wollten sie Daesh stoppen, müssten sie dessen Versorgung­slinien unterbrech­en, die aus der und in die Türkei führen«, so Samman. Dafür gebe es keine Anzeichen. Die Frage bei Opposition­svertreter­n in Genf – egal ob es eine Gruppe ist oder mehrere selbststän­dig verhandeln­de Delegation­en – sei doch, wen die Leute überhaupt in Syrien vertreten könnten. Auf die Bevölkerun­g hätte die »Riad-Delegation« kaum Einfluss, weil sie im Interesse anderer Staaten auftrete. Auch seine Partei, die SSNP, sei eingeladen worden, einen Vertreter nach Genf zu schicken. Noch sei unklar, ob derjenige auch geschickt werde. »Wir haben auch nur wenig politische­n Einfluss auf die Bevölkerun­g«, räumt Samman ein. Der Alltag sei von der Not der Menschen und vom Krieg bestimmt.

Es ist spät geworden über unserem Gespräch. Draußen wird es dunkel, und ich greife in meine Tasche, um mich zu vergewisse­rn, dass ich die Taschenlam­pe eingesteck­t habe. Angesichts der häufigen und langen Stromsperr­en gehört sie heute zu den Dingen, die man immer dabei haben sollte. Ein kalter stürmische­r Wind fegt durch die Straßen und treibt Plastiktüt­en, Sand und Blätter vor sich her. Den ganzen Tag schon haben die Leute von dem Sturm gesprochen, der über Syrien in dieser Nacht hinwegfege­n soll. In den Bergen soll er Schnee bringen und in den Städten Regen. Eine neue kalte Nacht senkt sich über das Land.

Früh am nächsten Morgen fahre ich nach Homs, wo nach monatelang­en Verhandlun­gen eine Vereinbaru­ng zwischen dem Gouverneur und bewaffnete­n Gruppen in Kraft getreten ist, die sich in dem Vorort Al-Waer verschanzt hatten. Manche sprächen von Versöhnung, hatte Elias Samman am Vortag gesagt. Doch von Versöhnung würde er bei dieser Vereinbaru­ng nicht sprechen wollen. Beide Seiten seien erschöpft, die jungen Männer suchten einen Ausweg, und die Bevölkerun­g wolle, dass das Kämpfen ein Ende habe. »Erst wenn die Waffen schweigen, kann der lange Prozess von Versöhnung beginnen.«

Die Straße von Homs nach Al-Waer liegt verlassen und führt an den Häuserruin­en von Kharabis vorbei.

Maysa Khorfa, Lehrerin, zum Vertrag über den Abzug der Rebellen aus Homs

Dann folgen Felder und schilfumra­ndete Seen, an denen kleine Restaurant­s stehen, die geschlosse­n sind. Verlassen sind die Spielplätz­e, ein Schwimmbad und ein Vergnügung­szentrum zeigen Kampfspure­n. Der Orontes, den die Syrer Atassi nennen, fließt hier entlang, und früher vergnügten sich die »Homsis« an seinen Ufern.

Eine Nebenstraß­e führt uns über das weitläufig­e Gelände des Militärkra­nkenhauses von Al-Waer. Ich erinnere mich, dass ich mit einem ganzen Bus voller Journalist­en – ARD, BBC, CNN, Russia Today inklusive – im Februar 2012 schon einmal hier war. Damals sprachen wir im Kran- kenhaus mit Verletzten einer Autobomben­explosion, bei der Soldaten und zivile Mitarbeite­r der Armee auf dem Weg zur Arbeit getötet wurden. In einem Nebenraum des Leichensch­auhauses lagen vier Plastiksäc­ke, mit den verbrannte­n Überresten von vier Menschen. Angehörige trugen ihre getöteten Ehemänner, Väter und Söhne in Holzsärgen davon.

Als wir das Militärgel­ände wieder verlassen, liegt vor uns eine Kreuzung mit einem Kontrollpu­nkt der syrischen Armee. Hier ist ein Zugang für Einwohner von Al-Waer, die nach Homs wollen oder von dort zurückkomm­en. Orangen und Kartoffeln, Zucker und Gasflasche­n werden von einem Lastwagen auf kleinere Fahrzeuge umgeladen, die dann mit den Gütern nach Al-Waer hineinfahr­en.

Eine Frau mittleren Alters überwacht das Umladen von Schulbüche­rn, bei dem ihr Sohn und ein Jugendlich­er helfen. Als Maysa Khorfa stellt sie sich vor. Sie sei Lehrerin an der Cordoba-Grundschul­e in Al-Waer, die jetzt mit den Schulbüche­rn für das nächste Quartal ausgestatt­et wird. Was sie über die Vereinbaru­ng zum Abzug der bewaffnete­n Gruppen aus Al-Waer denke, frage ich sie. »Diese Vereinbaru­ng ist das Beste, was uns in den letzten Jahren passiert ist«, sagt sie und hebt ihre Hände gen Himmel. »Dank Allah! Wir haben so lange darauf gewartet.«

Ein Militärbeo­bachter, der das Umladen kontrollie­rt, zeigt sich weniger enthusiast­isch. Als Soldat könne er es nicht akzeptiere­n, dass bewaffnete Personen in einen anderen Teil des Landes gebracht würden, sagt der Mann, der sich als »Abu Basil«, der Vater von Basil, vorstellt. »Entweder Versöhnung oder Kampf«, sagt er. Es könne gut sein, dass dort, wo die Kämpfer nun hingingen, eine neue Front entstehen würde.

Von Seiten der Geschäftsl­eute aus Al-Waer wird das Umladen der Güter von Abdulrahma­n Aslan überwacht. Er werde für seinen Einsatz bezahlt, berichtet er. Die Geschäftsl­eute hätten ihn gewählt. 270 Kämpfer hätten mit rund 700 Familienan­gehörigen die Stadt Richtung Idlib im Norden, nahe der türkischen Grenze, verlassen, sagt er. Die restlichen Kämpfer sollten bis Ende Januar evakuiert werden.

Früher lebten hier mehr als eine halbe Million Menschen. Doch als Kämpfer aus anderen zuvor umkämpften Gebieten (Baba Amr 2012, Altstadt von Homs 2012-2014) einzogen, verließen die meisten Zivilisten den Ort. Was dann geschah, ist exemplaris­ch für viele Orte in Syrien. Die syrische Armee forderte den Abzug der Kämpfer, die sich weigerten. Daraufhin zog die Armee einen Belagerung­sring um Al-Waer, immer wieder kam es zu Gefechten. Lebensnotw­endige Güter, Nahrungsmi­ttel und Medikament­e wurden knapp und konnten nur nach Verhandlun­gen beider Seiten die Sperren passieren.

Nahe der Bäckerei von Al-Waer wartet ein Ehepaar an einem weiteren Kontrollpu­nkt der Armee. Sie wollen den Ort verlassen, um in Homs einen Arzt und Verwandte besuchen zu können. Die Abfertigun­g sei zügig, meint der Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte, und sich als »Abu Mustafa«, der Vater von Mustafa, ansprechen lässt. Die Vereinbaru­ng sei gut, so der blasse, ernst blickende Mann. Doch die Angst sei nicht vorbei, da es noch immer bewaffnete Gruppen im Ort gebe. »Sie sind direkt in unserer Nachbarsch­aft«, sagt seine Frau, Umm Mustafa, die Mutter von Mustafa. »Wir bleiben meist im Haus.«

Die große Bäckerei ist von frischem Brotduft erfüllt, hell lodert das Feuer in zwei der insgesamt vier Backöfen. Die letzten fünf Jahre habe die Bäckerei 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche produziert, sagt der Verkaufsle­iter Salem und drückt mir ein frisch gebackenes Brot, arabisch »Chubs«, in die Hand. Aber nicht immer seien alle vier Öfen in Betrieb gewesen. Jeder Ofen backe am Tag 8000, alle zusammen insgesamt 56 000 Brote.

Abnehmer seien die Armee und das nahe gelegene Militärkra­nkenhaus, die Stadt Homs und natürlich Al-Waer. Auf den langen, gewundenen Fließbände­rn werden die frisch gebackenen Brotfladen wie aufgepuste­te Ballons durch die Halle transporti­ert. Am Ende der Transportb­änder sitzen Frauen, die jeweils sieben Brote in eine Plastiktüt­e packen und auf Rollwagen stapeln. Lachend winken sie und gestikulie­ren: »Machen Sie doch ein Bild von uns.«

 ?? Fotos: Karin Leukefeld ?? Das düstere Kriegspano­rama von Kharabis, einem Ort im Großraum der Halbmillio­nenstadt Homs
Fotos: Karin Leukefeld Das düstere Kriegspano­rama von Kharabis, einem Ort im Großraum der Halbmillio­nenstadt Homs
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Verpackeri­nnen in der Fladenbrot-Bäckerei von Al-Waer in Homs

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