Parlamentarier bleiben »unwürdig«
Thüringer Koalition stimmt wegen Beratungsbedarfs gegen den eigenen Antrag
Rot-Rot-Grün war sicher, alle seine Abgeordneten hinter dem Ziel versammeln zu können, die Parlamentsunwürdigkeit abzuschaffen. Am Ende steht ein außergewöhnliches Abstimmverhalten. Der rot-rot-grünen Regierungskoalition in Thüringen ist es nicht gelungen, die Parlamentsunwürdigkeit abzuschaffen. Damit ist jene rechtliche Regelung aus dem Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz gemeint, über die in der Vergangenheit die LINKE-Landtagsabgeordneten Frank Kuschel und Ina Leukefeld abgestempelt wurden – als nicht würdig, dem Parlament anzugehören. Diese Einschätzung war teilweise rechtswidrig, wie sich später herausstellte. Bei der entscheidenden Abstimmung am Mittwochabend im Thüringer Landtag in Erfurt schaffte es das Regierungsbündnis aus Linkspartei, SPD und Grünen allerdings nicht, alle seine Abgeordneten hinter dem Vorhaben zu versammeln. Bis zuletzt hatten die Spitzen der rot-rotgrünen Fraktionen – vor allem auch nach innen – für die Abschaffung der Klausel geworben. Diese Niederlage für Rot-Rot-Grün hatte sich aber schon in den vergangenen Tagen angedeutet. Am Mittwochmittag musste die Koalition sich eingestehen, dass es in den eigenen Reihen zu großen Widerstand gibt – und ersann einen Plan, wie damit umzugehen sei.
Vor allem innerhalb der SPD-Fraktion hatte es massiven Widerstand gegen das Vorhaben der Koalitionsspitzen gegeben. Das Vorhaben ist vor allem der LINKEN in Thüringen wichtig. Aber auch aus der Grünen-Fraktion gab es zuletzt einzelne Stimmen, die sich dagegen aussprachen, die Kategorie »parlamentsunwürdig« abzuschaffen, die vor allem eine moralische ist. Selbst dann, wenn ein Abgeordneter für parlamentsunwürdig erklärt worden ist, darf er sein Mandat nämlich behalten. Die höchstrichterliche Begründung dafür lautet: Über die Zusammensetzung des Landtages entscheidet der Wähler und nicht die Abgeordneten.
Als parlamentsunwürdig können nach der geltenden Rechtslage Abgeordnete unter anderem dann eingestuft werden, wenn sie vor 1990 mit den Sicherheitsbehörden der DDR als Inoffizielle Mitarbeiter zusammengearbeitet haben – so wie Kuschel und Leukefeld das taten. Beide Fälle sind seit langem bekannt, wurden intensiv diskutiert und aufgearbeitet.
Die Thüringer CDU spricht sich seit Monaten dafür aus, Abgeordnete weiterhin als parlamentsunwürdig klassifizieren zu können. Entsprechend schadenfroh gibt sich Thüringens Fraktionsvorsitzender Mike Mohring nun ob der Niederlage für Rot-Rot-Grün – obwohl die rot-rotgrüne Parlamentsmehrheit am Mittwochabend auch einen CDU-Entwurf zur Fortschreibung des Abgeordnetenüberprüfungsgesetz verwarf. In ihrem war die Kategorie »parlamentsunwürdig« weiter enthalten gewesen.
Allerdings hat der von den Koalitionären am Mittwochmittag ersonnene Plan, wie mit dem Widerstand in eigenen Reihen umzugehen ist, tatsächlich zu mehr als ein bisschen ungewöhnlichen Abstimmverhalten geführt: Hatte die Koalition im Justizausschuss vor einigen Tagen noch mehrheitlich für die Abschaffung der Parlamentsunwürdigkeit gestimmt, stimmte Rot-Rot-Grün nun im Plenum geschlossen gegen den eigenen, entsprechenden Antrag – der daraufhin genau null Ja-Stimmen erhielt.
Während der Debatte über die Parlamentsunwürdigkeit – während der die CDU-Abgeordneten Kerzen anzündeten, um an die friedliche Revolution zu erinnern – erklärten alle Vertreter von Rot-Rot-Grün, sie wollten noch einmal grundsätzlich und ausführlich darüber diskutieren, wie mit der Parlamentsunwürdigkeit künftig umgegangen werden solle. Ehemaligen DDR-Bürgern einfach nur das entsprechende Label aufzudrücken, sei sicher keine Lösung. Das, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Dorothea Marx, gelte umso mehr, weil im aktuellen Thüringer Landtag ja auch andere Abgeordnete säßen, bei denen man sich fragen könne, ob sie würdig seinem, dem Hohen Haus anzugehören. Sie lugte dabei in Richtung der AfD-Parlamentarier.