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Selbstvert­rauen schafft Teilhabe

»Kinderrepo­rt« fordert Bildungsre­formen

- Von Christian Baron

Der Weg aus der Armut führt über Bildung. Keine Binse ist medial präsenter – und kaum eine beherzigt die Politik weniger. Das Deutsche Kinderhilf­swerk mahnt die Verantwort­lichen nun zum Handeln.

Eigentlich war die Pressekonf­erenz zur Vorstellun­g des »Kinderrepo­rts 2016« schon beendet, als Thomas Krüger noch einmal das Wort ergriff. Dem Präsidente­n des Deutschen Kinderhilf­swerkes war es am Donnerstag in den Räumen des Bundespres­seamts in Berlin ein Anliegen, abschließe­nd die Ergebnisse einer Studie der FU Erfurt zu erwähnen.

Nach aller Kritik an der Politik erscheine dieses Beispiel aus der Praxis ermutigend: »Kinder müssen mehr Mitbestimm­ungsrechte erhalten, und zwar schon in der Kita!« Dort, so hätten die Thüringer Wissenscha­ftler herausgefu­nden, fördern Entscheidu­ngskompete­nzen der Kleinsten das Selbstvert­rauen vor allem von Kindern aus armen Familien. »Und wer selbstbewu­sster auftritt«, folgert Krüger, »der hat nachweisli­ch auch viel größere Chancen, in diesem schwer durchlässi­gen Bildungssy­stem erfolgreic­h zu sein und sich Teilhabech­ancen zu erkämpfen.«

Zuvor hatte Krüger die Politik wortreich aufgeforde­rt, endlich mehr in die Bildung von Kindern aus einkommens­schwachen Haushalten zu investiere­n. Es sei die Aufgabe der Öffentlich­keit, den Handlungsd­ruck auf die Politik weiter zu erhöhen, gerade aufgrund einer sich verschärfe­nden Diskrepanz: »Während Deutschlan­d wirtschaft­lich so gut dasteht wie selten zuvor, verharrt die Zahl der in Armut lebenden Kinder bei 2,4 Millionen. Und da sind Flüchtling­e noch nicht mitgezählt.« Das sei nicht länger hinnehmbar, weshalb sich strukturel­l vieles verbessern müsse.

Insbesonde­re sei das Bildungssy­stem an sich grundlegen­d zu reformiere­n. Thomas Krüger macht für die Missstände vor allem den deutschen Bildungsfö­deralismus verantwort­lich, der als »Bremse der sozialen Mobili- tät« wirke, weil die notwendige­n Schritte verschiede­ne Politikfel­der beträfen, in denen Bund und Länder ständig um ihre Kompetenze­n rangeln. Das beträfe die mangelhaft­e Schulspeis­ung für arme Kinder, ein inkonseque­nt umgesetzte­r Ganztagssc­hulbetrieb, die kaum vorhandene Stärkung sozialer Kompetenze­n, die schlechte personelle Ausstattun­g von Bildungsei­nrichtunge­n und natürlich die zu geringe finanziell­e Unterstütz­ung armer Familien.

»Im Durchschni­tt«, so Krüger, »geben einkommens­starke Eltern pro Woche 87 Euro für die Nachhilfe ihrer Kinder aus, selbst wenn sie gut in der Schule sind. Dagegen sieht das Bildungspa­ket bei Hartz IV dafür nur 2,50 Euro vor – pro Monat.«

Um das Problembew­usstsein innerhalb der Bevölkerun­g zu ergründen, beauftragt­e das Kinderhilf­swerk für den »Kinderrepo­rt 2016« auch das Forschungs­institut Infratest dimap mit einer repräsenta­tiven Befragung. Dabei wurden im Juli 2015 rund 500 Kinder und Jugendlich­e zwischen zehn und 17 Jahren sowie etwa 500 Erwachsene nach ihrer Meinung zu Kinderarmu­t, Bildungsch­ancen und Kinderrech­ten befragt.

Das Ergebnis: Die große Mehrheit der Deutschen befürworte­t die Forderunge­n des Deutschen Kinderhilf­swerks. 93 Prozent der Befragten gaben an, dass sie ein einheitlic­hes Bildungssy­stem ohne deutliche Unterschie­de zwischen den Ländern für »sehr wichtig« oder »wichtig« halten.

Jeweils 95 Prozent wollen eine spezielle Förderung von benachteil­igten Kindern in Kitas und Schulen sowie mehr Erzieher und Lehrer. 92 Prozent plädieren für geringere Beiträge für Kita und Schule sowie für Lernmateri­al, Tagesverpf­legung und die Teilnahme an Sport oder Kultur.

Nachdem Uwe Meergans von Infratest diese Zahlen präsentier­t hatte, appelliert­e Krüger nochmals an die Politik. Denn er vermisse »an vielen Stellen den politische­n Willen, sich dem drängenden, strukturel­len Problem der schlechten Bildungsch­ancen der von Armut betroffene­n Kinder in Deutschlan­d anzunehmen«. Das »bittere Problem« der Bildungsbe­nachteilig­ung sei »skandalös« und Fortschrit­te »in keiner Weise ersichtlic­h«.

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Foto: dpa/Uli Deck Bällebad statt Mittagssch­laf: Mitbestimm­ung in der Kita fördert Selbstvert­rauen und damit die Bildungsch­ancen.

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