Selbstvertrauen schafft Teilhabe
»Kinderreport« fordert Bildungsreformen
Der Weg aus der Armut führt über Bildung. Keine Binse ist medial präsenter – und kaum eine beherzigt die Politik weniger. Das Deutsche Kinderhilfswerk mahnt die Verantwortlichen nun zum Handeln.
Eigentlich war die Pressekonferenz zur Vorstellung des »Kinderreports 2016« schon beendet, als Thomas Krüger noch einmal das Wort ergriff. Dem Präsidenten des Deutschen Kinderhilfswerkes war es am Donnerstag in den Räumen des Bundespresseamts in Berlin ein Anliegen, abschließend die Ergebnisse einer Studie der FU Erfurt zu erwähnen.
Nach aller Kritik an der Politik erscheine dieses Beispiel aus der Praxis ermutigend: »Kinder müssen mehr Mitbestimmungsrechte erhalten, und zwar schon in der Kita!« Dort, so hätten die Thüringer Wissenschaftler herausgefunden, fördern Entscheidungskompetenzen der Kleinsten das Selbstvertrauen vor allem von Kindern aus armen Familien. »Und wer selbstbewusster auftritt«, folgert Krüger, »der hat nachweislich auch viel größere Chancen, in diesem schwer durchlässigen Bildungssystem erfolgreich zu sein und sich Teilhabechancen zu erkämpfen.«
Zuvor hatte Krüger die Politik wortreich aufgefordert, endlich mehr in die Bildung von Kindern aus einkommensschwachen Haushalten zu investieren. Es sei die Aufgabe der Öffentlichkeit, den Handlungsdruck auf die Politik weiter zu erhöhen, gerade aufgrund einer sich verschärfenden Diskrepanz: »Während Deutschland wirtschaftlich so gut dasteht wie selten zuvor, verharrt die Zahl der in Armut lebenden Kinder bei 2,4 Millionen. Und da sind Flüchtlinge noch nicht mitgezählt.« Das sei nicht länger hinnehmbar, weshalb sich strukturell vieles verbessern müsse.
Insbesondere sei das Bildungssystem an sich grundlegend zu reformieren. Thomas Krüger macht für die Missstände vor allem den deutschen Bildungsföderalismus verantwortlich, der als »Bremse der sozialen Mobili- tät« wirke, weil die notwendigen Schritte verschiedene Politikfelder beträfen, in denen Bund und Länder ständig um ihre Kompetenzen rangeln. Das beträfe die mangelhafte Schulspeisung für arme Kinder, ein inkonsequent umgesetzter Ganztagsschulbetrieb, die kaum vorhandene Stärkung sozialer Kompetenzen, die schlechte personelle Ausstattung von Bildungseinrichtungen und natürlich die zu geringe finanzielle Unterstützung armer Familien.
»Im Durchschnitt«, so Krüger, »geben einkommensstarke Eltern pro Woche 87 Euro für die Nachhilfe ihrer Kinder aus, selbst wenn sie gut in der Schule sind. Dagegen sieht das Bildungspaket bei Hartz IV dafür nur 2,50 Euro vor – pro Monat.«
Um das Problembewusstsein innerhalb der Bevölkerung zu ergründen, beauftragte das Kinderhilfswerk für den »Kinderreport 2016« auch das Forschungsinstitut Infratest dimap mit einer repräsentativen Befragung. Dabei wurden im Juli 2015 rund 500 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 17 Jahren sowie etwa 500 Erwachsene nach ihrer Meinung zu Kinderarmut, Bildungschancen und Kinderrechten befragt.
Das Ergebnis: Die große Mehrheit der Deutschen befürwortet die Forderungen des Deutschen Kinderhilfswerks. 93 Prozent der Befragten gaben an, dass sie ein einheitliches Bildungssystem ohne deutliche Unterschiede zwischen den Ländern für »sehr wichtig« oder »wichtig« halten.
Jeweils 95 Prozent wollen eine spezielle Förderung von benachteiligten Kindern in Kitas und Schulen sowie mehr Erzieher und Lehrer. 92 Prozent plädieren für geringere Beiträge für Kita und Schule sowie für Lernmaterial, Tagesverpflegung und die Teilnahme an Sport oder Kultur.
Nachdem Uwe Meergans von Infratest diese Zahlen präsentiert hatte, appellierte Krüger nochmals an die Politik. Denn er vermisse »an vielen Stellen den politischen Willen, sich dem drängenden, strukturellen Problem der schlechten Bildungschancen der von Armut betroffenen Kinder in Deutschland anzunehmen«. Das »bittere Problem« der Bildungsbenachteiligung sei »skandalös« und Fortschritte »in keiner Weise ersichtlich«.