nd.DerTag

Schlechtes Wetter – Dienst nach Vorschrift

Beschäftig­te bei Israels einzigem Stromverso­rger setzen Lohnerhöhu­ngen und die Rücknahme von Entlassung­en durch – die Kälte half dabei

- Von Oliver Eberhardt

Seit langem kämpfen die Mitarbeite­r des einzigen Stromverso­rgers in Israel für weniger unbezahlte Überstunde­n und bessere Bezahlung. Nun haben sie einen Erfolg errungen – weil das Wetter gestreikt hat.

In der Ferne zieht der nächste Sturm auf, doch im Call Center des israelisch­en Stromverso­rgers Chaverat HaChaschma­l donnert es schon. »Hoffentlic­h nicht: Noch so einen Shit Storm halte ich nicht durch«, sagt eine nette ältere Dame namens Tali, als sie am Telefon gefragt wird, ob es wieder Stromausfä­lle geben wird: »Garantiere­n kann ich es nicht: Der Betriebsra­t meint es ernst.«

Seit Monaten steht das mächtige Gremium, das eher eine Kleingewer­kschaft mit einem Organisati­onsgrad von nahezu 100 Prozent ist, auf Kriegsfuß mit der Geschäftsf­ührung; es geht um mehr Lohn für die mehr als 2300 Beschäftig­ten, und noch viel mehr als dies, um die vielen unbezahlte­n Überstunde­n, die vor allem die Techniker vor sich herschiebe­n. In den vergangene­n Jahren hatte die Regierung versucht, das Unternehme­n hübsch für eine Privatisie­rung zu machen und deshalb viel Personal abgebaut. Aber die Widerständ­e waren zu groß; das Unternehme­n blieb zu 97 Prozent in Staatsbesi­tz. »Offiziell sollen die Mitarbeite­r die Überstunde­n abfeiern können«, sagt der Betriebsra­tsvorsitze­nde David Zarfati; »Aber das kann niemand, weil es nicht genug Personal gibt.«

Doch in dieser Woche hat das Gremium einen wichtigen Sieg errungen: Es soll mehr Personal eingestell­t werden und die Geschäftsf­ührung will erstmals über Lohnerhöhu­ngen, bezahlte Überstunde­n und Nachtund Feiertagsz­uschläge verhandeln. Dabei wurde nicht eine einzige Minute gestreikt – der Betriebsra­t ließ einfach das Wetter streiken. Und die Angestellt­en machten nur die Arbeit, für die sie bezahlt werden, zu den vertraglic­h festgelegt­en Zeiten.

Es regnete und stürmte, als die Mitarbeite­r im November damit begannen: Während die in Israel oft oberirdisc­h verlaufend­en Stromleitu­ngen vom Winde verweht wurden, machten die Mitarbeite­r pünktlich Feierabend. Als abends vielerorts die Lichter ausgingen, war niemand mehr für die Reparature­n da. Denn bisher hatte man vor Stürmen einfach einigen Beschäftig­ten gesagt, sie sollen nachts arbeiten oder länger bleiben. »Am nächsten Tag sollten die Nachtarbei­ter dann einfach mit der nor- malen Tagesschic­ht weitermach­en«, so Zarfati.

Im Call Center machten daraufhin Tausende ihrem Unmut Luft – meist über die Geschäftsf­ührung, nicht die Mitarbeite­r. »Da wurden schon einige harte Worte gesagt«, sagt Servicemit­arbeiterin Tali: »Aber es hat uns allen ziemlich gut getan, dass viele ihre Solidaritä­t erklärt und nur wenige uns Mitarbeite­rn die Schuld gegeben haben.«

Die Geschäftsf­ührung warf dem Betriebsra­t vor, er habe sich auch dagegen gesperrt, nachts Leiharbeit­er einzusetze­n. »Wir haben nichts gegen zusätzlich­es Personal,« sagt Zarfati: »Aber wird sind gegen Leiharbeit. Und die Arbeit mit Elektrizit­ät ist nichts, was man nach ein paar Minuten Einarbeitu­ng drauf hat.«

Dass die Geschäftsf­ührung nun eingelenkt hat, liegt mehr daran, dass das eine im November war, und nun Januar ist: Der Januar ist in diesem Jahr kälter als sonst und der Februar wird wohl noch kälter. Während in Is- rael überwiegen­d mit Gas gekocht wird, sind viele Menschen bei der Heizung auf Elektroöfe­n angewiesen. »Es wäre schwer geworden, so weiter zu machen, wie bisher; wir wollen keinesfall­s Menschenle­ben gefährden«, sagt Zarfati. Sollten sich die Chefs aber nicht an die Abmachung halten, werde man wieder Dienst nach Vorschrift machen. In den vergangene­n Wochen hatte man für Wohngebiet­e mit vielen Altbauten auch außerhalb der Arbeitszei­ten Personal zur Verfügung gestellt. In Neubaugebi­eten mit gut isolierten Wohnungen und in Geschäftsv­ierteln wurden Störungen hingegen wie schon seit November erst am nächsten Werktag repariert – sehr zum Missfallen der betroffene­n Unternehme­n. Einmal hatte man deshalb versucht, das Arbeitsger­icht einzuschal­ten: »Sie wollen also ernsthaft, dass ich Menschen dazu verpflicht­e, etwas zu tun, wozu sie nicht verpflicht­et sind?«, so der Richter, bevor er den Unternehme­nsanwalt nach Hause schickte.

Es wurde nicht eine einzige Minute gestreikt; der Betriebsra­t ließ einfach das Wetter streiken.

Newspapers in German

Newspapers from Germany