Schlechtes Wetter – Dienst nach Vorschrift
Beschäftigte bei Israels einzigem Stromversorger setzen Lohnerhöhungen und die Rücknahme von Entlassungen durch – die Kälte half dabei
Seit langem kämpfen die Mitarbeiter des einzigen Stromversorgers in Israel für weniger unbezahlte Überstunden und bessere Bezahlung. Nun haben sie einen Erfolg errungen – weil das Wetter gestreikt hat.
In der Ferne zieht der nächste Sturm auf, doch im Call Center des israelischen Stromversorgers Chaverat HaChaschmal donnert es schon. »Hoffentlich nicht: Noch so einen Shit Storm halte ich nicht durch«, sagt eine nette ältere Dame namens Tali, als sie am Telefon gefragt wird, ob es wieder Stromausfälle geben wird: »Garantieren kann ich es nicht: Der Betriebsrat meint es ernst.«
Seit Monaten steht das mächtige Gremium, das eher eine Kleingewerkschaft mit einem Organisationsgrad von nahezu 100 Prozent ist, auf Kriegsfuß mit der Geschäftsführung; es geht um mehr Lohn für die mehr als 2300 Beschäftigten, und noch viel mehr als dies, um die vielen unbezahlten Überstunden, die vor allem die Techniker vor sich herschieben. In den vergangenen Jahren hatte die Regierung versucht, das Unternehmen hübsch für eine Privatisierung zu machen und deshalb viel Personal abgebaut. Aber die Widerstände waren zu groß; das Unternehmen blieb zu 97 Prozent in Staatsbesitz. »Offiziell sollen die Mitarbeiter die Überstunden abfeiern können«, sagt der Betriebsratsvorsitzende David Zarfati; »Aber das kann niemand, weil es nicht genug Personal gibt.«
Doch in dieser Woche hat das Gremium einen wichtigen Sieg errungen: Es soll mehr Personal eingestellt werden und die Geschäftsführung will erstmals über Lohnerhöhungen, bezahlte Überstunden und Nachtund Feiertagszuschläge verhandeln. Dabei wurde nicht eine einzige Minute gestreikt – der Betriebsrat ließ einfach das Wetter streiken. Und die Angestellten machten nur die Arbeit, für die sie bezahlt werden, zu den vertraglich festgelegten Zeiten.
Es regnete und stürmte, als die Mitarbeiter im November damit begannen: Während die in Israel oft oberirdisch verlaufenden Stromleitungen vom Winde verweht wurden, machten die Mitarbeiter pünktlich Feierabend. Als abends vielerorts die Lichter ausgingen, war niemand mehr für die Reparaturen da. Denn bisher hatte man vor Stürmen einfach einigen Beschäftigten gesagt, sie sollen nachts arbeiten oder länger bleiben. »Am nächsten Tag sollten die Nachtarbeiter dann einfach mit der nor- malen Tagesschicht weitermachen«, so Zarfati.
Im Call Center machten daraufhin Tausende ihrem Unmut Luft – meist über die Geschäftsführung, nicht die Mitarbeiter. »Da wurden schon einige harte Worte gesagt«, sagt Servicemitarbeiterin Tali: »Aber es hat uns allen ziemlich gut getan, dass viele ihre Solidarität erklärt und nur wenige uns Mitarbeitern die Schuld gegeben haben.«
Die Geschäftsführung warf dem Betriebsrat vor, er habe sich auch dagegen gesperrt, nachts Leiharbeiter einzusetzen. »Wir haben nichts gegen zusätzliches Personal,« sagt Zarfati: »Aber wird sind gegen Leiharbeit. Und die Arbeit mit Elektrizität ist nichts, was man nach ein paar Minuten Einarbeitung drauf hat.«
Dass die Geschäftsführung nun eingelenkt hat, liegt mehr daran, dass das eine im November war, und nun Januar ist: Der Januar ist in diesem Jahr kälter als sonst und der Februar wird wohl noch kälter. Während in Is- rael überwiegend mit Gas gekocht wird, sind viele Menschen bei der Heizung auf Elektroöfen angewiesen. »Es wäre schwer geworden, so weiter zu machen, wie bisher; wir wollen keinesfalls Menschenleben gefährden«, sagt Zarfati. Sollten sich die Chefs aber nicht an die Abmachung halten, werde man wieder Dienst nach Vorschrift machen. In den vergangenen Wochen hatte man für Wohngebiete mit vielen Altbauten auch außerhalb der Arbeitszeiten Personal zur Verfügung gestellt. In Neubaugebieten mit gut isolierten Wohnungen und in Geschäftsvierteln wurden Störungen hingegen wie schon seit November erst am nächsten Werktag repariert – sehr zum Missfallen der betroffenen Unternehmen. Einmal hatte man deshalb versucht, das Arbeitsgericht einzuschalten: »Sie wollen also ernsthaft, dass ich Menschen dazu verpflichte, etwas zu tun, wozu sie nicht verpflichtet sind?«, so der Richter, bevor er den Unternehmensanwalt nach Hause schickte.
Es wurde nicht eine einzige Minute gestreikt; der Betriebsrat ließ einfach das Wetter streiken.