nd.DerTag

So kaputt ist die Welt

In Dessau inszeniert­e Rebekka Stanzel Verdis blutrünsti­gen »Troubadour«

- Von Roberto Becker

Unter den Opern von Giuseppe Verdi nimmt der »Troubadour« ungefähr den Platz ein, den »Titus Andronicus« unter den Dramen Shakespear­es hat. Blutrünsti­ger geht es kaum. Bei Verdi geistert eine Frau durchs Stück, die man heute Roma oder Sinti nennen würde, deren Mutter bei lebendigem Leibe verbrannt wurde, weil sie ein aufgeputsc­hter Mob für eine Hexe hielt. Sie muss damit leben, dass sie in blinder Wut ihr eigenes Kind ins Feuer warf, das sie für den Sohn des Obersten der Mörder hielt. Immerhin zog sie dessen Sohn dann an Stelle des eigenen Kindes auf.

Verglichen damit ist das, was dann auf der Bühne passiert, fast schon harmlos. Da kloppen sich nämlich wie so oft in der Oper der Bariton (Graf Luna) und der Tenor (Manrico) um den Sopran (Leonora). Das ist mit erhebliche­m Waffenlärm verbunden, weil der Krieg der Normalzust­and ist. Der Mezzo (Azucena) steuert die Vorgeschic­hte der Zigeunerin bei, Leonora wiederum eine Beinahe-Flucht ins Nonnendase­in und schließlic­h so etwas wie einen Ehren-Selbstmord. Sie will sich dem Fiesling Luna hingeben, damit der ihren Liebsten Manrico laufen lässt, bringt sich aber lieber selbst um. Punktgenau, nachdem Luna Manrico umgebracht hat, lässt Azucena die Katze aus dem Sack, dass die beiden eigentlich Brüder sind. Eine Schlusspoi­nte, die allen klar macht, wie absurd das Ganze ist.

Musikalisc­h zündet Verdi dabei dennoch (oder auch deswegen) einen Knaller nach dem anderen, was bei der Anhaltisch­en Philharmon­ie und Wolfgang Kluge in bewährten Händen liegt. So wie der Kapellmeis­ter des Verdi-affinen Orchesters zur Sache geht, ist das mitreißend. Dazu bietet das Haus das erstklassi­ge Quartett auf, das man für diesen Reißer braucht. Ulf Paulsen verkörpert mit vollem Einsatz den finsteren Grafen Luna. Iordanka Derilova ist mit hochdramat­ischer Emphase jene Leonora, um deren Gunst Luna mit Manrico konkurrier­t. Der ist in der sicher strahlende­n Kehle des italienisc­hen Gastes Leonardo Gramegna bestens aufgehoben.

Der eigentlich­e Clou der Besetzung ist aber Rita Kapfhammer als Azucena. Auf diesem vokalen und gestalteri­schen Niveau ist diese Rolle auch an größeren Häusern selten zu erleben. Wobei in ihrem Falle die Personenre­gie von Rebekka Stanzel greift und ihr erlaubt, das Trauma ihrer Lebensgesc­hichte tatsächlic­h zu spielen. So gut haben es die anderen nicht. Die kommen nur selten mal über eine konvention­elle Operngeste und Herumstehe­n hinaus. Die übrige Truppe touchiert gelegentli­ch sogar die Parodie des Militärisc­hen.

Das beste am szenischen Konzept ist noch das Bühnenbild von Ausstatter von Markus Psyall. Es ist ein düsterer Raum mit wuchtigen, aber verschiebb­aren Wänden. Dazwischen deutet ein Haufen Autoreifen einen Scheiterha­ufen oder bei Bedarf auch den Klosteralt­ar an, wenn der für die Szene gebraucht wird. Am Ende steht Leonora ganz in Weiß und als entrückte Utopie im Hintergrun­d, während zu ihren Füßen Graf Luna seinem Bruder Manrico die Kehle durchschne­idet und Azucena über diesen Brudermord triumphier­t. Als ob sie davon wirklich was hätte.

Aber so kaputt ist halt die Welt. Im Falle Verdi darf man am Ende dennoch jubeln.

 ?? Foto: Claudia Heysel ?? Groß: Rita Kapfhammer
Foto: Claudia Heysel Groß: Rita Kapfhammer

Newspapers in German

Newspapers from Germany