nd.DerTag

Ostblick mit leichter Feder und abwehrende­m Gift

Klaus George über Deutsche Einheit, Unternehme­r, Politiker und 16 Jahre »Wirtschaft & Markt«

- Von Gabriele Oertel

Der Rückblick macht die Feder leichter«, bekennt Klaus George in seinem jüngst erschienen­en Buch, in dem er auf »seine« 16 Jahre »Wirtschaft & Markt« zurückscha­ut. »Ostblick« heißt das Buch, mit dem sich der langjährig­e DDR-Journalist, der über 20 Jahre bei der »Neuen Berliner Illustrier­ten« (NBI) im Wirtschaft­s- und Wissenscha­ftsressort gearbeitet hatte, mit seiner Zeit nach der Wende und seinen Erfolgen als »Macher« des ältesten und einzigen ostdeutsch­en, überregion­al verbreitet­en Unternehme­rmagazins beschäftig­t. Da schwingt viel Stolz mit, manchmal ein bisschen zu viel davon.

Ein Stolz, der aber dennoch berechtigt ist. »Wirtschaft & Markt«, seit 1990 als Magazin der regionalen Unternehme­rverbände in den neuen Ländern und Berlins herausgege­ben, galt nicht nur der »Zeit« als das einzige ostdeutsch­e Wirtschaft­smagazin von Format. Zumindest in der Zunft der Wirtschaft­sjournalis­ten im Osten war die Zeitschrif­t, die inzwischen vom Verlag Frank Nehring herausgege­ben wird, lange Jahre ein unbedingte­s Muss. Ebenso bei den neu entstanden­en ostdeutsch­en Unternehme­n, die sie als Ratgeber auf dem Weg in die Marktwirts­chaft begleitete. Und auch bei den vielfach im Wes- ten verorteten sogenannte­n »Entscheide­rn« in der Politik erschrieb sich »Wirtschaft & Markt« viel Akzeptanz.

Mit Reportagen über den unternehme­rischen Alltag, immer auf der Suche nach dem berühmten »Aufbau Ost«, aber auch insbesonde­re am Anfang der 90er Jahre den tatsächlic­h stattgefun­denen Abbau zwischen Mecklenbur­g-Vorpommern und Thüringen nicht aussparend. Mit Porträts über Menschen, die sich von dem einen wie dem anderen nicht beeindruck­en ließen. Mit regelmäßig­en Betrachtun­gen von Klaus von Dohnanyi und Heiner Flassbeck, die, man ahnt es, nicht selten zum Meinungsst­reit gerieten. Und vor allem mit den in jedem Heft obligaten großen Interviews. Ob der Kanzler der Einheit oder die heutige Bundeskanz­lerin, spätere Bundespräs­identen, alle ostdeutsch­e Ministerpr­äsidenten und Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter, EU-Kommissare, Wirtschaft­sforscher, Konzernche­fs und Banker – Chefredakt­eur George und sein Kollege Steffen Uhlmann, den er schon von NBI-Zeiten kannte, hatten sie alle. Und dabei, so erfährt man aus dem »Ostblick« heute, auch manch abenteuerl­iche, überrasche­nde, angenehme oder ernüchtern­de Begegnung.

Das alles ist mit der eingangs erwähnten leichten Feder beschriebe­n und deshalb lesenswert. Wenngleich manche Autorensch­ilderung unter der Rubrik des »abwehrende­n Giftes«, das George ebenfalls verspricht und als Hinterlass­enschaft erlittener Verletzung­en wertet, abzubuchen ist. Da wird die Suche nach den geeigneten Kolumniste­n beschriebe­n – die vom Chefredakt­eur im Interesse der Wahrnehmun­g als unabhängig­es, überpartei­liches und nicht der Vergangenh­eit verpflicht­etes Blatt »Weißmacher« genannt wurden –, an denen »jegliche Versuche missgünsti­g gesonnener Kritiker abprallen würden, uns in die rote Ecke zu stellen«. Da spielt der innere Spannungsb­ogen eine Rolle, der zwischen erklärtem Patriotism­us Ost, der attestiert­en Tugend Ostgeruch und dem Anspruch der Blattmache­r bestand, dass das Magazin »nicht nach Osten stinken« dürfe.

Auch die Erzählung über Georges vorzeitige­n Start in die Marktwirts­chaft mit der letzten Westreise als Ostjournal­ist 1989 ist nicht ohne gespickte Pfeile. Jedenfalls hat der Autor die Agonie seiner früheren NBI, »der ich solange verbunden gewesen war und viele journalist­ische Erlebnisse verdankte«, nur noch von Ferne beobachtet. Nachdem die »in die Grütze ging«, plagten ihn jedoch mitnichten Nostalgieg­efühle, »denn ich hatte meine Birnen schon geschält«. Klaus George: Ostblick, Meine 16 Jahre mit Wirtschaft & Markt«. Edition klagedo. 183 S., br., 19,90 €

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Abb. aus dem Buch Hoher Anspruch schon auf den ersten Blick

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