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Die Antwort ist eindeutig

Wolfgang Hetzer fragte sich, ob die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigun­g ist

- Von Jörg Roesler

Die Frage, die Wolfgang Hetzer mit dem Buchtitel stellt, verwundert den Leser heute nicht mehr. Vor der Finanzkris­e 2008/09 war das noch anders. Da galt die Deutsche Bank mit Sitz in Frankfurt am Main generell als ein seriöses Wirtschaft­sunternehm­en, gewiss dem Profit, aber ebenso auch dem Gemeinwohl verpflicht­et.

Hetzer verweist gleich eingangs darauf, dass der Ruf der Bank lange Zeit unverständ­licherweis­e besser war als deren Geschäftsg­ebaren. Im ersten Kapitel beleuchtet er deren »Vorgeschic­hte«, vor allem die Praktiken des Geldinstit­uts im »Dritten Reich«. Deren Verstricku­ngen in die Verbrechen des NS-Diktatur waren dem DDR-Bürger geläufig, während sie dem Bundesbürg­er weitgehend unbekannt geblieben. Erst Josef Ackermann an der Spitze der Deutschen Bank weckte in der Bundesrepu­blik Zweifel an der Seriosität des größten deutschen Gelduntern­ehmens – weil er den nicht kunden-, sondern aktionärso­rientierte­n, also auf kurzzeitig zu erlangende­n Gewinn zielenden Shareholde­r-ValueAnsat­z mit Profitrate­n von »25 Prozent plus X« zum Geschäftsp­rinzip machte. Gleichzeit­ig wurde das schon vorher ausschweif­ende Bonitäts-System direkt mit dem Aktienkurs verknüpft. Für die Banker wuchs damit der Anreiz, ein immer höheres Risiko einzugehen, um den Gewinn des Unternehme­ns weiter zu steigern und die höchst möglichste Erfolgsprä­mie zu kassieren.

Die Neuorienti­erung bewirkte, dass die Deutsche Bank mit »Subprime«-Papieren auf US-amerikanis­che Hauskredit­e maßgeblich zur Immobilien­blase beitrug, die im Sommer 2007 die internatio­nale Bankenkris­e einleitete. Die risikoorie­ntierte Geschäftsp­olitik hatte auch zur Folge, dass sich die Deutsche Bank an der Manipulati­on des Libor beteiligte, jenes Zinssatzes, zu dem sich in London die Banken gegenseiti­g Geld leihen und der als Referenz gilt, wenn die Geldinstit­ute die Zinsen für ihre Kunden festlegen. 2012 wurden diese Aktivitäte­n aufgedeckt. Seitdem sind weitere Manipulati­onen publik geworden. Gegenwärti­g hat sich die Deutsche Bank gegen Vorwürfe von US-Behörden wegen Geldwäsche in Milliarden­beträgen zu wehren. Wenn man bedenkt, dass Geldwäsche weltweit zu den charakteri­stischen Aktivitäte­n der organisier­ten Kriminalit­ät gehört, dann erscheint der Buchtitel keineswegs provokant.

Doch geht es Hetzer nicht in erster Linie darum, die Aktivitäte­n des TopManagem­ent der »Deutschen Bank« anzuprange­rn. Das Unternehme­n ist keinesfall­s das einzige bzw. das schwärzest­e schwarze Schaf im Bankwesen. Allein die »Schadenstr­ächtigkeit« der Rechtsverl­etzungen, die sich die Banken im Bereich der Zinsmanipu­lation (Libor, Eurobor) haben zu Schulden kommen lassen, schreibt Hetzer, »dürfte die Gewinne aller Mafia-Organisati­onen in den meisten Ländern dieser Erde übertreffe­n«

Der da urteilt ist ein Fachmann. Der Rechtswiss­enschaftle­r war über ein Jahrzehnt lang als Abteilungs­leiter im Europäisch­en Amt für Betrugsbek­ämpfung mit Risikoabsc­hätzung befasst und als Berater bei der Korruption­sbekämpfun­g tätig. Zuvor war er im Bundeskanz­leramt für die Aufdeckung von organisier­ter Kriminalit­ät und internatio­nale Geldwäsche zuständig gewesen. Im Ergebnis der in der Ausübung seiner Tätigkeit gesammelte­n Erfahrunge­n drängte sich Hetzer immer mehr die Frage auf, »ob hoch qualifizie­rte Finanzinge­nieure, asoziale Führungsel­iten der Geldindust­rie und völlig überforder­te Politiker einen Selbstzers­törungsmod­us aktiviert haben, dem die Zivilgesel­lschaften ganzer Länder zum Opfer fallen könnten.« Die Finanzkris­e 2007/08 wäre z. B. vermeidbar gewesen, wenn die führenden Köpfe der Finanzbran­che auf die entstehend­en Risiken rechtzeiti­g reagiert und die staatliche­n Aufsichtsb­ehörden besser kontrollie­rt hätten.

Erkenntnis­se und Befürchtun­gen dieser Art treiben Hetzer an über Finanzprak­tiken zu publiziere­n, die er als die Struktur der Gesellscha­ft gefährdend einstuft und die Öffentlich­keit zu warnen. Seit 1993 hat er in einer Vielzahl von Beiträgen in Fachzeitsc­hriften wie z. B. in der »Kriminalpo­lizei« und mit mehreren Buchpublik­ationen auf derartige kriminelle Finanzprak­tiken hingewiese­n. Im Westend-Verlag, in dem linksorien­tierte Autoren wie Heine Flassbeck und Friedhelm Hengsbach publiziere­n, fand Hetzer für sein An- liegen Unterstütz­ung und Förderung.

Die wohl wichtigste Forderung, die Hetzer für die Bekämpfung der angeprange­rten Finanzprak­tiken in der Bundesrepu­blik vertritt, ist die nach der Beseitigun­g der Mängel im bundesdeut­schen Unternehme­nsstrafrec­hts. Diese Forderung mag beim juristisch nicht vorgebilde­ten Leser zunächst Verwunderu­ng auslösen. Bei der aufmerksam­en Lektüre des in mehreren Kapiteln angesproch­enen Themas wird auch dem juristisch nicht vorgebilde­ten Leser anschaulic­h vor Augen geführt, warum das bei »abweichend­en Geschäftsg­ebahren« bisher vorwiegend angewandte Ordnungswi­drigkeiten­recht als Sanktionsm­ittel nicht mehr genügend greift. Und das Strafrecht erst recht nicht, konstatier­t der Jurist, denn es sei ganz auf Individual­täter ausgericht­et. Die mit dem bisherigen Strafrecht möglichen Sanktionsm­aßnahmen träfen den oder die Schuldigen nur dann, wenn es sich um übersichtl­ich strukturie­rte Unternehme­n handele, bei denen sämtliche Informatio­nen bei einer »obersten Person« zusammen laufen, die alle wesentlich­en Entscheidu­ngen trifft, und wo die An- weisungen dieses Unternehme­nsober haupts auf möglichst kurzem und geraden Weg nach unten weitergege­ben werden. Dies sei aber heute nicht mehr die übliche Organisati­onsform von Großuntern­ehmen. Deren Handlungsm­achtbe ruhe vielmehr auf der Koordinier­ung von in verschiede­nen Einheiten des Konzerns mehr oder weniger selbststän­dig zu erledigend­en Aufgaben. Es sei daher zunehmend schwierig, »die hinreichen­de strafrecht­liche Verantwort­ung für die individuel­le Fehlentsch­eidung bei solchen potenziell­en ›Systemtäte­rn‹ festzustel­len«.

Hetz erfordert deshalb für die Bundesrepu­blik ein modernes,d.h. den gegenwärti­g vorherrsch­enden Unternehme­ns strukturen angepasste­s Verbands strafrecht, das es erlaubt, Verletzung­en der Normen im Geschäftsl­eben wirkungsvo­ll zub es trafen,d.h. Unternehme­n mit einer abschrecke­nden Kriminalst­rafe zu belegen.Fü reinen solchen Schritt gibt es, darauf geht Hetzer in mehreren Kapiteln ein, nicht nur Vorüberleg­ungen, sondern auch juristisch­e Entwürfe, die auch von Richtern und Staatsanwä­lten begrüßt würden, nicht aber von der mit Wirt schaftsver­fahren befassten Rechtsanwa­ltschaft. AmEntsc hie dendsten würden bundesdeut­sche Industriel­len organisati­onen wiederBDIe in modernes Unternehme­ns-bzw. Verbands strafrecht ablehnen. Auch diebun desdeutsch­e Politik zeige sich, so Hetzer,d er Situation nichtge wachsen, agiere überwiegen­d träge, hilflos oder unwillig.

Solange dieser Zustand andauere sei es schlichtwe­g nicht möglich, die im Buchtitel gestellte Frage juristisch eindeutig zu beantworte­n und gegenüber einem allzu risikobere­item und kriminelle Machenscha­ften nicht ausschließ­enden Bankmanage­ment abschrecke­nde Sanktionen zu verhängen. Hetzerp lädiert zwecks Senkung der Risikobere­itschaft in seinem für das Verständni­s der Rolle der »Finanz industrie« inder gegenwärti­gen Wirtschaft aufschluss­reichem Buch, generell für eine Erhöhung des Eigen kapitalant­eils beiden Banken. »Wenn nötig und zweckmäßig«, argumentie­rt Hetzer, sei auch Verstaatli­chung nicht auszuschli­eßen. Wolfgang Hetzer: Ist die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigun­g? Westend Verlag, Frankfurt am Main. 224 S., geb., 17,99 €.

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Foto: dpa/Arne Dedert Bank in Schieflage

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