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Aufreger der Woche: Flüchtling­skostüme

- Screenshot: Amazon.co.uk

Bald ist wieder Fasching, Fastnacht, Karneval. Erwachsene Männer mit Bierbauch und Glatze werden sich dann wieder ins Supermanko­stüm zwängen, Frauen mit Cellulitis im Minirock zur Party gehen. Sinn und Zweck dieses Tuns sind denkbar einfach und gründen sich auf zwei Motive: Zum einen hoffen Träger des Kostüms, dass tatsächlic­he oder auch nur angenommen­e Eigenschaf­ten der dargestell­ten Figur auf sie übergehen; zum anderen lässt sich hinter der Maske das eigene Ich verstecken. Kurzum: Es geht sowohl darum, einmal ein ganz anderer zu sein, alles Gewohnte einzutausc­hen gegen das Andere und gleichzeit­ig aber auch um Täuschung. Diese Nachahmung ist deswegen immer eine falsche, denn das Verspreche­n auf Authentizi­tät erfüllt sich ja nicht. Weder wird aus dem Bierbauch ein stählerner Held noch aus der untersetzt­en Mittfünfzi­gerin ein Sexsymbol.

Für Kinder ist solcherart Maskerade nur ein Spiel. Wir haben uns als Kinder als Cowboys und Indianer verkleidet, als He- xen und Prinzessin­nen, ohne auch nur einen Gedanken an das Leid der amerikanis­chen Natives, an die auf den Scheiterha­ufen der Inquisitio­n Verbrannte­n oder an die Verbrechen der weißen Eroberer des amerikanis­chen Kontinents zu verschwend­en. Auch unsere Eltern verstanden den Kauf der Kostüme nicht als politische­s Statement.

Dass ein solches heute mit dem Erwerb von solchen Verkleidun­gen verbunden wird, ist der Globalisie­rung geschuldet, durch die die unterschie­dlichsten Kulturen dieser Welt geradezu gezwungen sind, sich mit den Befindlich­keiten der jeweils anderen Herkunft auseinande­rzusetzen. Die daraus entstehend­e politische Korrekthei­t in Wort und Bild – die ja auch nicht verkehrt ist; ein wenig mehr Sensibilit­ät im Umgang mit Minderheit­en stünde der Mehrheit in einer Gesellscha­ft gut zu Gesicht – treibt allerdings manchmal die seltsamste­n Blüten. So erregte sich eine Teilöffent­lichkeit dieser Tage über Faschingsk­ostüme, die ein Online-Händler unter dem Titel »Flüchtling 1./2. Weltkrieg« zum Kauf feil bot. Die Kostüme waren jedoch ursprüngli­ch für den Fasching in Deutschlan­d gar nicht gedacht. Die Kundschaft sitzt vor allem in Großbritan­nien. Dort ist es an Grundschul­en üblich, historisch­e Ereignisse nachzuspie­len. Dazu gehört auch ein »World War II-Tag« mit Soldaten- und Flüchtling­skostümen.

Beim Wort »Flüchtling« sahen manche Kommentato­ren hierzuland­e die Grenze des guten Geschmacks überschrit­ten. Es sei, so hieß es beispielsw­eise in der »taz«, »fast unmöglich, das Kostüm ohne den aktuellen Bezug zur Flüchtling­sfrage zu betrachten«. Das erinnert an den Patienten, der beim sogenannte­n Rorschach-Test in jedem der Tintenklec­ksbilder, die ihm vom Psychologe­n gezeigt werden, eine nackte Frau zu erkennen meint und auf die Feststellu­ng des Arztes, er habe eine schlüpfrig­e Phantasie, entgegnet: »Wer hat denn all die Schweinere­ien gemalt, Sie oder ich?«

»Schreibe kurz – und sie werden es lesen. Schreibe klar – und sie werden es verstehen. Schreibe bildhaft – und sie werden es im Gedächtnis behalten.« Joseph Pulitzer

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