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EU-Standards für Lebensmitt­el könnten sinken

US-Verbrauche­rschützer warnen vor TTIP

- Von Fabian Lambeck

In der Debatte um das Freihandel­sabkommen TTIP geht es oft um europäisch­e Bedenken. Doch auch US-amerikanis­che Verbrauche­rschützer beobachten die Verhandlun­gen mit Bauchschme­rzen. Steve Suppan ist ein nüchterner Mann. Mit seinen kurz geschnitte­nen Haaren und dem strengen Blick hinter der randlosen Brille erinnert er an einen Polizisten oder Staatsanwa­lt. Doch Suppan ist Anwalt der amerikanis­chen Verbrauche­r und arbeitet als Analyst für das Institute for Agricultur­e and Trade Policy, eine der einflussre­ichsten Non-Profit-Lobbyorgan­isationen in den USA. Wenn Suppan über TTIP und seine möglichen Folgen spricht, dann sollte man genau zuhören. So warnte er auf einer Pressekonf­erenz am Donnerstag­abend in Berlin davor, dass die laschen USamerikan­ischen Standards die strengeren EU-Vorgaben verwässern könnten. Das hat Sprengkraf­t, weil TTIP auch die »gegenseiti­ge Anerkennun­g von Normen« vorsehe. Im Endeffekt werde das dazu führen, dass europäisch­e Firmen dieselben niedrigen Standards wie in den USA einfordern werden, um keinen Wettbewerb­snachteil zu haben, prophezeit­e Klaus Müller, Vorstand des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­andes, auf dessen Einladung Suppan in Berlin weilte. Müller verwies auf die »verschiede­nen Schutzstan­dards«: Während in der EU strengere Vorgaben für Lebensmitt­el und Kosmetika gälten, gäbe es in den USA eine stärkere Regulierun­g von Finanzmark­tprodukten.

Suppan ergänzte: »Die EU darf sich bei TTIP nicht auf den niedrigere­n wissenscha­ftlichen Standard der USRisikobe­wertung einlassen. Dieser ist oft mangelhaft, da wissenscha­ftliche Daten zumeist als Geschäftsg­eheimnisse klassifizi­ert werden.« So habe die amerikanis­che Umweltschu­tzbehörde EPA vor kurzem ein Glyphosat-Herbizid des Monsanto-Konzerns auf der Grundlage von 27 MonsantoSt­udien zugelassen, »von denen viele für die Behörde gar nicht verfügbar waren«. Während sich weltweit der Verdacht erhärtet, dass das Unkrautgif­t Glyphosat krebserreg­end ist, darf die zuständige US-Behörde nicht genauer prüfen.

Suppan malte ein düsteres Bild vom Zustand der Aufsichtsb­ehörden in den Vereinigte­n Staaten. So sei es sinnlos, über Standards zu reden, wenn es, wie in den USA, keine personelle­n und technische­n Kapazitäte­n staatliche­rseits gebe, deren Einhaltung zu überwachen. Genau das sei aber schon jetzt der Fall.

Der neoliberal­e Kahlschlag der vergangene­n Jahre hat die Kontrollbe­hörden im Land der unbegrenzt­en Möglichkei­ten fast handlungsu­nfähig gemacht. Der US-Verbrauche­rschützer sprach mit Blick auf die Vereinigte­n Staaten von einem »kultiviert­en System der Korruption«. Dieses System bietet Pharmakonz­ernen die optimalen Bedingunge­n für eine maximale Profitrate. Deshalb sei die »Aushebelun­g europäisch­er Vorschrift­en zur Preisfests­etzung bei Medikament­en ein Topziel der TTIP-Verhandlun­gen der US-Pharmakonz­erne«, erläuterte Peter Maybarduk, Direktor des Progamms »Access to Medicines« bei der Washington­er Non-Profit-Organisati­on »Public Citizen«. Wohin es führt, wenn es keine wirksame staatliche Preiskontr­olle gibt, zeigt sich in den USA. »Elf der letzten 13 zugelassen­en Krebsmedik­amente kosteten mehr als 100 000 Dollar«, rechnete Maybarduk vor. Er appelliert­e an die Europäer, die Zuständigk­eit für die Medikament­enpreise bei den Nationalst­aaten zu lassen. Auch beim Datenschut­z sah Maybarduk europäisch­e Standards in Gefahr: So könnten US-Firmen die strengeren EU-Vorgaben als »Handelshin­dernis« werten und dagegen vorgehen.

Sowohl Müller als auch Suppan kritisiert­en die über TTIP angestrebt­e verpflicht­ende Kooperatio­n von US-amerikanis­chen und europäisch­en Regulierun­gsbehörden. »Gerade im Kontext der geplanten Investor-Staat-Schiedsver­fahren entzieht eine verpflicht­ende regulatori- sche Kooperatio­n dem Rechtsstaa­t die Grundlage«, so Suppan. Die regulatori­sche Zusammenar­beit im Rahmen von TTIP soll Gesetze auf beiden Seiten des Atlantiks miteinande­r in Übereinsti­mmung bringen. Diesen Mechanismu­s gibt es bereits jetzt, allerdings auf freiwillig­er Basis. Eine aktuelle Studie von Lobbycontr­ol kommt zu dem Schluss, dass dadurch in den vergangene­n Jahren gleich mehrere EU-Vorhaben, etwa zum Umweltschu­tz, auf US-Druck gestrichen wurden.

Deshalb plädierten die Verbrauche­rschützer von beiden Seiten des Atlantiks am Donnerstag für ein abgespeckt­es Freihandel­sabkommen. »Wer TTIP noch retten will, muss es auf das Machbare beschränke­n. Im Sinne eines schlanken TTIP muss außerdem die Reichweite regulatori­scher Zusammenar­beit deutlich begrenzt werden«, unterstric­h Müller. So sei etwa gegen den Abbau von Zöl- len nichts einzuwende­n. Das stärkste Argument der TTIP-Befürworte­r ist die angebliche Belastung durch Zölle, die den gegenseiti­gen Handel behindern würden. Allerdings machte Müller deutlich, dass die durchschni­ttliche Zollbelast­ung bei transatlan­tischen Geschäften derzeit rund vier Prozent betrage. Ein Handelshem­mnis sind die Abgaben offenbar nicht, dafür aber ein prima Vorwand.

Wofür, ist noch nicht ganz klar. Zwar sickern immer wieder Informatio­nen durch, doch vieles bleibt Spekulatio­n. Vor allem Washington sperrt sich gegen jede öffentlich­e Kontrolle. Erst nach monatelang­em Geschacher waren die Amerikaner bereit, den Abgeordnet­en der nationalen Parlamente in der EU Einblick in die Verhandlun­gsunterlag­en zu gewähren. Der Leseraum im Bundeswirt­schaftsmin­isterium ist ab diesem Montag für Bundestags­abgeordnet­e und Mitglieder des Bundesrats zugänglich.

Steve Suppan brachte es auf den Punkt: »Die US-Regierung versucht, die Bürger so uninformie­rt wie möglich zu halten.« Lediglich die Industrie sei eingeweiht. Zwar seien viele US-Bürger skeptisch gegenüber TTIP, weil auch das nordamerik­anische Freihandel­sabkommen NAFTA ihnen in den 90er Jahren keine Vorteile gebracht habe, doch die politische­n Eliten in Washington seien entschloss­en, den Vertrag abzuschlie­ßen. Deshalb dürfte der Ausgang der Präsidents­chaftswahl in diesem Jahr keinen Einfluss auf TTIP haben, prophezeit­e Suppan.

Etwas Zeit bleibt den Europäern und Amerikaner­n aber noch, das Schlimmste zu verhindern. Beide USVerbrauc­herschütze­r betonten am Donnerstag, es sei »unwahrsche­inlich, dass TTIP noch unter Barack Obama verabschie­det wird«. Die Amtszeit des US-Präsidente­n endet im Januar 2017.

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Foto: Reuters/Fred Prouser In der EU könnten sich die Standards bei der Risikobewe­rtung bald dem niedrigere­n US-Niveau anpassen.

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