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Auf den Hund gekommen

- Fühlen als Kernkompet­enz und Standortfa­ktor: Vielleicht könnte das nächste Mal in Dortmund einfach der Hund vom Schluss ermitteln. Matthias Dell über den Tatort »Hundstage«

Wenn man sich als Zuschaueri­n für das Fernsehen schämt, also den Blick vom Bildschirm wendet und nicht nur woanders hinzuschau­en, sondern auch an etwas anderes zu denken versucht, um die unangenehm­en Gefühle loszuwerde­n, während derer man sich schämt, vergisst sich leicht, dass es in solchen Situatione­n Betroffene gibt, die sich nicht so leicht entziehen können. Schauspiel­erinnen etwa, die die schrecklic­hen Szenen auch noch spielen müssen. Schauspiel­erinnen wie Maren Eggert, Anne Ratte-Polle (mit grandioser GudrunEnss­lin-Undercover-Gedächtnis­frisur) und Roland Kukulies oder Charaktere wie Dirk Borchardt – Darsteller, die man schätzt für Rollen, die sie gespielt haben.

Wie muss sich das für die anfühlen?

Im Dortmunder »Tatort: Hundstage« (WDR-Redaktion: Frank Tönsmann) ist das Fühlen Kernkompet­enz und Standortfa­ktor. Es wird unheimlich viel gefühlt, es wird nicht ermittelt, sondern erfühlt. Das Hineinfühl­en ist das, was Jörg Hartmanns Dortmunder Kommissar Homo Faber in den »Tatort« eingebrach­t hat, auch wenn es in einem gewissen Kontrast zu dem sozial dysfunktio­nalen Verhalten steht, dass Faber im Büroalltag performt.

In »Hundstage« hat Faber allerdings seinen Zauber verloren, während das Method Acting des TäterIchs von den anderen drei aus der Abteilung wie selbstvers­tändlich praktizier­t wird. Das führt zu einer erschütter­nden Szene in der Mitte des Films (Regie: Stephan Wagner): »Ich habe mein Kind verloren«, souffliert sich Faber wieder und wieder wie das Zauberwort, das ihn in das Reich von Tätermotiv­ation und Opfergedan­kenwelt führen soll. Aber es klappt nicht, wieder und wieder klappt es nicht, so dass Faber am Ende ein fließendes Gewässer mit schick illuminier­tem Turm im Hintergrun­d anbrüllt: »Was ist los, Faber, was ist los mit Dir?«

Weil die Antwort auf die Frage so uninteress­ant ist wie die Frage, wer denn nun der Mörder war, könnte man an dieser Stelle abschweife­n zu

Matthias Dell der lebenswelt­lich-distinktiv­en Preisfrage – nämlich ob Menschen, die sich selbst mit Familienna­men ansprechen (»Faber«), einen Grund haben, sich über Menschen (Kollege Kossik, von Stefan Konarske gespielt) lustig zu machen, die das Wort »Disziplina­rverfahren« mit »Diszi« abkürzen. Ich würde eher die Ansicht vertreten, dass Sich-selbst-mit-«Faber«Anbrüller auch »Diszi« sagen. Und: »Tel-Aviv – so ist das Leben«.

Es wäre völlig übertriebe­n, Christian Jeltschs Drehbuch für solche Feinheiten zu kritisiere­n; es hat schon genügend Probleme. Dass in Dortmund gleich vier Leute Text brauchen, dass sich in Dortmund permanent angehasst wird, dass die Zeit dazwischen mit dem generische­n Material bestritten wird, das in zwei Wochen wieder in einem »Tatort« Verwendung finden kann, ohne dass es jemandem auffällt: »Was wollen Sie denn hier? Ich bin spät dran« – »Das geht uns schon was an« – »Sie waren bei Ihrer Frauenärzt­in« – »Ich weiß, wie's Ihnen geht« – »Ich möchte jetzt nach Hause, bitte.« In Drehbuchse­minaren sollte mit »Hundstage« Phrasen-Bingo gespielt werden.

Am interessan­testen wird »Hundstage« in ein paar Jahren für Ethnologin­nen womöglich als Ausdruck medialer deutscher Mentalität­sgeschicht­e Mitte der zehner Jahre. Diese schlechte Laune, diese hilflosen Versuche, smart zu sein, ohne es zu können. Diese privaten Konflikte, die alle haben und in denen sich jedes Mal der Fall spiegeln soll, als ginge es darum, Memory zu spielen und zusammenpa­ssende Paare zu finden. Diese widersprüc­hlichen Bewegungen: dass ein »Tatort« als Hochamt des öffentlich-rechtliche­n Apparats Rebell sein will. Wie sich ein Staatsdien­er dauernd über alles hinwegsetz­en kann (Disziplina­rverfahren, Psychologe­nexpertise), weil im deutschen Fernsehfil­m das Führerprin­zip der Besetzung gilt (die Hauptrolle kann sich alles erlauben).

Was sagt es bloß über den empfundene­n Konformism­us in der »Tatort«-Landschaft und darüber hinaus (unsere Gesellscha­ft!), wenn das die Abweichung, der Nonkonform­ismus sein soll – diese lächerlich­e Hin und Her, dieser dämliche Ego-Psycho-Quatsch? Vielleicht könnte das nächste Mal in Dortmund einfach der Hund vom Schluss ermitteln.

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Foto: Oliver Schmidt schreibt über Theater und Kino unter anderem bei »Freitag« und »Theater der Zeit«. Von ihm erschien: »Herrlich inkorrekt«. Die Thiel-BoerneTato­rte (Bertz+Fischer, 2012).

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