nd.DerTag

Lob des Nachfolger­s

- Klaus Joachim Herrmann über eine russische Umfrage zu Boris Jelzin

Russlands erster Präsident Boris Jelzin wäre am 1. Februar 85 Jahre alt geworden. Doch als Ehrung dürfte die jüngste Umfrage des Moskauer Meinungsfo­rschungsze­ntrums WZIOM kaum gedacht sein. Schließlic­h förderten die Demoskopen zutage, dass immer weniger Russen in dessen »Epoche« positive Momente entdecken. Dabei pries doch besonders der Westen den Sibirier trotz seines verfassung­swidrigen Putsches 1993 gegen das gewählte Parlament stets als den starken, wenn auch etwas zu trinkfreud­igen Kerl, der dem Volke Freiheit und Demokratie gebracht habe.

Dem einstigen starken Mann kreiden seine Landsleute hingegen bis heute sehr vieles und am übelsten den Krieg gegen Tschetsche­nien und eine vernichten­de Finanzkris­e an. Für sie ist er jener Kremlchef, der Russland in eine Zeit der Wirren, der Demütigung und brutalster Marktwirts­chaft nach Art des frühen Chicago-Kapitalism­us führte. Massenarbe­itslosigke­it und die Vernichtun­g der Ersparniss­e der Millionen kleiner Leute wurde begleitet von der Anhäufung gewaltiger Reichtümer durch einzelne Günstlinge dank der Verschleud­erung des Sowjet-Eigentums.

Bliebe noch die Frage nach Sinn und Zeck solcher Umfrage. Ganz einfach: Ohne das Wirken Jelzins wäre das große Ansehen seines Nachfolger­s Wladimir Putin nicht zu erklären, zu verstehen und zu würdigen.

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