Viel Angst um nichts
Nach Köln und Paris nimmt unter den Deutschen die Sorge vor der Zukunft zu
Meinungsumfragen bestätigen: Seit Jahren stand es um das Sicherheitsempfinden der Deutschen nicht mehr so schlecht wie 2016. Das Empfinden ist real, doch wie ist die Realität? Welch ein toller Jahresbeginn: Die Arbeitslosenzahlen sind einmal wieder gesunken, die Neuverschuldung war sowieso schon weg, der Schnee schmilzt und jeden Tag kommen Tausende potenziell neuer Freunde ins Land. Oder war der Start in das neue Jahr nicht doch eher geprägt von den massenhaften sexuellen Übergriffen vor dem Kölner Hauptbahnhof? Den toten Deutschen von Istanbul? Der Angst, dass ein Terroranschlag wie der von Paris auch in Deutschland möglich sei? Und der Sorge darum, dass an der nächsten Geschichte um ein vergewaltigtes Mädchen auf Facebook nicht doch etwas Wahres dran ist?
Dass es der pessimistische Blick auf die Zukunft ist, der die Deutschen ins neue Jahr begleitet, haben nun gleich mehrere Umfragen ergeben. Deren einhelliges Ergebnis: Seit Jahren stand es um die Hoffnung und das Sicherheitsempfinden der Deutschen nicht mehr so schlecht wie 2016.
»Haben Sie aufgrund von Ereignissen wie den Terroranschlägen in Paris oder den Übergriffen in Köln Ihre Gewohnheiten geändert und verhalten sich im Alltag anders?« wollte das Meinungsforschungsinstitut FORSA in einer repräsentativen Umfrage wissen. Fast jeder Sechste (15 Prozent) bejahte die Frage. Auffällig ist: Der Anteil der Frauen, die ihr Verhalten geändert haben, ist mit 19 Prozent fast doppelt so hoch wie bei den Männern mit zehn Prozent. Auch bei der Frage, wie konkret sich die Gewohnheiten geändert haben, antworten Männer und Frauen unterschiedlich: So gab etwa einer von 20 Männern an, »vorsichtiger, achtsamer und misstrauischer« geworden zu sein. Bei Frauen ist es jede zehnte.
Noch deutlicher ist der Unterschied zwischen Anhängern unterschiedlicher Parteien. So gaben rund ein Drittel der AfD-Anhänger an, ihr Verhalten geändert zu haben. Bei Anhängern von SPD, CDU/CSU und Linke gaben zwischen 10 und 12 Prozent an, dass Köln und Paris Einfluss auf ihren Alttag genommen hätten. Am wenigsten sorgenvoll zeigten sich die Anhänger der Grünen mit 6 Prozent.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Umfrage von Allensbach. Alljährlich fragt das Mei- nungsforschungsinstitut nach Ängsten in der Bevölkerung. Das Ergebnis: Nach Jahren des wachsenden Optimismus blickt erstmals wieder eine Mehrheit der Bundesbürger sorgenvoll in die Zukunft. »Sehen Sie dem kommenden Jahr mit Hoffnungen oder Befürchtungen entgegen?«, lautete die Frage, auf die im vergangenen Jahr noch mehr als jeder Zweite (56 Prozent) mit »Hoffnung« antwortete. In diesem Jahr waren es hingegen nur noch 41 Prozent. Nach konkreten Ängsten gefragt, fällt die Entwicklung noch deutlicher aus: 82 Prozent gaben an, vor Gewalt und Kriminalität Angst zu haben – eine Zunahme um 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr. »Große Sorgen« vor einem Terroranschlag machten sich Dreiviertel der Befragten. In etwa genauso viele sorgen sich davor, dass immer mehr Flüchtlinge ins Land kommen. 58 Prozent der Befragten stimmten generell der Aussage zu, »in einer besonders unsicheren Zeit« zu leben. Auch das ist ein Höchstwert.
Mit Abstand am stärksten angestiegen ist das Angstbarometer allerdings bei einem Punkt, der zeigt, wie diffus die Sorgen sind: Über »die allgemeine Unsicherheit, wie es weitergeht«, machten sich 53 Prozent Sorgen, im vergangenen Jahr waren es noch 29 Prozent. Diffuse Sorgen, die allerdings reale Folgen haben: So wurden in den ersten drei Januarwochen allein in Köln 1200 »Kleine Waffenscheine« beantragt. Das Dokument berechtigt unter anderem zum Tragen von Gas- und Schreckschusspistolen. Zum Vergleich: Im ganzen Jahr 2015 wurden in Köln 408 solcher Erlaubnisse ausgegeben.
Solchen Ängsten mit Fakten zu begegnen, hat vergangene Woche die Berliner Amadeu Antonio Stiftung versucht. In ihrer Broschüre »Das Bild des ›übergriffigen Fremden‹ Warum ist es ein Mythos?« nimmt die AntiRassismus-Initiative auch Bezug zu den Ereignissen in Köln und der Angst vor sexuellen Übergriffen. Ein Ergebnis der Broschüre: Statt vor Flüchtlingen sollten man – wenn dann – doch eher vor den eigenen Arbeitskollegen, Freunden und Verwandten Angst haben. Denn »mehr als drei Viertel kommen aus dem un-
In den ersten drei Januar-Wochen wurden allein in Köln 1200 »Kleine Waffenscheine« beantragt.
mittelbaren sozialen Umfeld der betroffenen Frau oder des Mädchens«. Ein paar Fakten zur Angst vor terroristischen Anschlägen hat in dieser Woche auch das Bundeskriminalamt beigesteuert. Demnach gab es im Jahr 2015 über 1000 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Die Zahl islamisti- scher Anschläge belief sich hingegen auf null. Und auch das Wetter soll in diese Woche besser werden. Oder doch eher nicht?