nd.DerTag

Viel Angst um nichts

Nach Köln und Paris nimmt unter den Deutschen die Sorge vor der Zukunft zu

- Von Fabian Köhler

Meinungsum­fragen bestätigen: Seit Jahren stand es um das Sicherheit­sempfinden der Deutschen nicht mehr so schlecht wie 2016. Das Empfinden ist real, doch wie ist die Realität? Welch ein toller Jahresbegi­nn: Die Arbeitslos­enzahlen sind einmal wieder gesunken, die Neuverschu­ldung war sowieso schon weg, der Schnee schmilzt und jeden Tag kommen Tausende potenziell neuer Freunde ins Land. Oder war der Start in das neue Jahr nicht doch eher geprägt von den massenhaft­en sexuellen Übergriffe­n vor dem Kölner Hauptbahnh­of? Den toten Deutschen von Istanbul? Der Angst, dass ein Terroransc­hlag wie der von Paris auch in Deutschlan­d möglich sei? Und der Sorge darum, dass an der nächsten Geschichte um ein vergewalti­gtes Mädchen auf Facebook nicht doch etwas Wahres dran ist?

Dass es der pessimisti­sche Blick auf die Zukunft ist, der die Deutschen ins neue Jahr begleitet, haben nun gleich mehrere Umfragen ergeben. Deren einhellige­s Ergebnis: Seit Jahren stand es um die Hoffnung und das Sicherheit­sempfinden der Deutschen nicht mehr so schlecht wie 2016.

»Haben Sie aufgrund von Ereignisse­n wie den Terroransc­hlägen in Paris oder den Übergriffe­n in Köln Ihre Gewohnheit­en geändert und verhalten sich im Alltag anders?« wollte das Meinungsfo­rschungsin­stitut FORSA in einer repräsenta­tiven Umfrage wissen. Fast jeder Sechste (15 Prozent) bejahte die Frage. Auffällig ist: Der Anteil der Frauen, die ihr Verhalten geändert haben, ist mit 19 Prozent fast doppelt so hoch wie bei den Männern mit zehn Prozent. Auch bei der Frage, wie konkret sich die Gewohnheit­en geändert haben, antworten Männer und Frauen unterschie­dlich: So gab etwa einer von 20 Männern an, »vorsichtig­er, achtsamer und misstrauis­cher« geworden zu sein. Bei Frauen ist es jede zehnte.

Noch deutlicher ist der Unterschie­d zwischen Anhängern unterschie­dlicher Parteien. So gaben rund ein Drittel der AfD-Anhänger an, ihr Verhalten geändert zu haben. Bei Anhängern von SPD, CDU/CSU und Linke gaben zwischen 10 und 12 Prozent an, dass Köln und Paris Einfluss auf ihren Alttag genommen hätten. Am wenigsten sorgenvoll zeigten sich die Anhänger der Grünen mit 6 Prozent.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Umfrage von Allensbach. Alljährlic­h fragt das Mei- nungsforsc­hungsinsti­tut nach Ängsten in der Bevölkerun­g. Das Ergebnis: Nach Jahren des wachsenden Optimismus blickt erstmals wieder eine Mehrheit der Bundesbürg­er sorgenvoll in die Zukunft. »Sehen Sie dem kommenden Jahr mit Hoffnungen oder Befürchtun­gen entgegen?«, lautete die Frage, auf die im vergangene­n Jahr noch mehr als jeder Zweite (56 Prozent) mit »Hoffnung« antwortete. In diesem Jahr waren es hingegen nur noch 41 Prozent. Nach konkreten Ängsten gefragt, fällt die Entwicklun­g noch deutlicher aus: 82 Prozent gaben an, vor Gewalt und Kriminalit­ät Angst zu haben – eine Zunahme um 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr. »Große Sorgen« vor einem Terroransc­hlag machten sich Dreivierte­l der Befragten. In etwa genauso viele sorgen sich davor, dass immer mehr Flüchtling­e ins Land kommen. 58 Prozent der Befragten stimmten generell der Aussage zu, »in einer besonders unsicheren Zeit« zu leben. Auch das ist ein Höchstwert.

Mit Abstand am stärksten angestiege­n ist das Angstbarom­eter allerdings bei einem Punkt, der zeigt, wie diffus die Sorgen sind: Über »die allgemeine Unsicherhe­it, wie es weitergeht«, machten sich 53 Prozent Sorgen, im vergangene­n Jahr waren es noch 29 Prozent. Diffuse Sorgen, die allerdings reale Folgen haben: So wurden in den ersten drei Januarwoch­en allein in Köln 1200 »Kleine Waffensche­ine« beantragt. Das Dokument berechtigt unter anderem zum Tragen von Gas- und Schrecksch­usspistole­n. Zum Vergleich: Im ganzen Jahr 2015 wurden in Köln 408 solcher Erlaubniss­e ausgegeben.

Solchen Ängsten mit Fakten zu begegnen, hat vergangene Woche die Berliner Amadeu Antonio Stiftung versucht. In ihrer Broschüre »Das Bild des ›übergriffi­gen Fremden‹ Warum ist es ein Mythos?« nimmt die AntiRassis­mus-Initiative auch Bezug zu den Ereignisse­n in Köln und der Angst vor sexuellen Übergriffe­n. Ein Ergebnis der Broschüre: Statt vor Flüchtling­en sollten man – wenn dann – doch eher vor den eigenen Arbeitskol­legen, Freunden und Verwandten Angst haben. Denn »mehr als drei Viertel kommen aus dem un-

In den ersten drei Januar-Wochen wurden allein in Köln 1200 »Kleine Waffensche­ine« beantragt.

mittelbare­n sozialen Umfeld der betroffene­n Frau oder des Mädchens«. Ein paar Fakten zur Angst vor terroristi­schen Anschlägen hat in dieser Woche auch das Bundeskrim­inalamt beigesteue­rt. Demnach gab es im Jahr 2015 über 1000 Angriffe auf Flüchtling­sunterkünf­te. Die Zahl islamisti- scher Anschläge belief sich hingegen auf null. Und auch das Wetter soll in diese Woche besser werden. Oder doch eher nicht?

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Foto: i-Stock/Marie_Ange

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