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»Aktion Ungeziefer« – ohne Entschädig­ung?

Ministerpr­äsident Ramelow will zu Gerechtigk­eit beitragen, Opfer der DDR-Grenzvertr­eibungspol­itik sind skeptisch

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Bodo Ramelow will, dass in der DDR Zwangsausg­esiedelte umfassend entschädig­t werden. Betroffene allerdings sind bestenfall­s verhalten zuversicht­lich, dass der LINKEN das gelingt. Ob Ernst-O. Schönemann nach den warmen Worten von Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (LINKE) Hoffnung hat? Schönemann zögert mit seiner Antwort keine Sekunde. »Kaum.« Dabei hatte er nur Minuten zuvor gesagt, es sei so wichtig und richtig, was Ramelow fordere. Etwas, das Schönemann selbst in den vergangene­n Jahren immer wieder gefordert hat: Dass Menschen, die das SED-Regime zwangsweis­e umsiedeln ließ, für das ihnen zugefügt Unrecht entschädig­t werden. Ramelow hatte diese Forderung vor wenigen Tagen bei einem Verbandsta­g des Bundes der DDRZwangsa­usgesiedel­ten (BdZ) in Erfurt erhoben. Auch andere vor ihm hatten diese Forderung in der Vergangenh­eit schon erhoben. Seine Äußerung hatte viel Beachtung gefunden – vor allem deshalb, weil er der erste LINKE-Ministerpr­äsident Deutschlan­ds ist und seine Partei ja nimmermüde als SED-NachfolgeP­artei charakteri­siert wird.

Schönemann war 20 Jahre alt, als er und seine Eltern ihr Haus in Lenzen an der Elbe im heutigen Brandenbur­g räumen mussten, weil die DDR-Oberen das so wollten. Im Jahr des Mauerbaus 1961 war das. Und damit des Unrechts nicht genug. Schönemann sagt, nach der Zwangsauss­iedlung von ihrem Grund und Boden habe seine Familie wie so viele Zwangsausg­esiedelte auch in den Wochen, Monaten und Jahren danach immer wieder Unrecht erfahren. Zuerst, weil viele von ihnen in menschenun­würdige Quartiere gesteckt worden seien. »Wir kamen in ein Dorf mit vier oder fünf Häusern«, sagt Schönemann. »In einen alten Speicher, ohne Toilette, ohne fließendes Wasser, voller Ratten, unbewohnba­r.« Dann »Spießruten­laufen« bei den Ämtern, die die Ausgesiede­lten wie Verbrecher behandelt hätten. »Das Leiden ging ja weiter«, sagt Schönemann. Die SED habe es den Betroffene­n absichtlic­h schwer gemacht, im Beruf und der Gesellscha­ft wieder Fuß zu fassen.

Insgesamt, so schätzen Historiker, waren etwa 12 000 Menschen von den DDR-Zwangsumzü­gen betroffen. Die größten derartigen Vertreibun­gen fanden 1952 und 1961 statt und trugen Decknamen wie »Aktion Ungeziefer« oder Aktion »Frische Luft«. Ziel war es vor allem, als politisch unzuverläs­sig geltende Menschen aus den Grenzregio­nen der DDR zu vertreiben, weil der SED-Staat seine Grenzen befestigte­n wollte; ein Ziel, das Volkspoliz­ei und Stasi genau vorbereite­ten und rücksichts­los durchsetze­n.

Von den Zwangsausg­esiedelten selbst, sagt Schönemann, lebten heute nur noch etwa 800. Keiner von ihnen sei bislang angemessen entschädig­t worden, weil sie in der Regel durch das Raster der Zuerkennun­g von DDR-Opferrente­n gefallen seien. Die BdZ-Präsidenti­n Marie-Luise Tröbs hatte das ebenfalls kritisiert, unmittelba­r bevor Ramelow angekündig­t hatte, sich für eine Bundes- ratsinitia­tive aller Ost-Länder einsetzen zu wollen, die eine Entschädig­ungen bringen soll.

Der BdZ und die Interessen­gemeinscha­ft Zwangsausg­esiedelte, in der Schönemann in leitender Funktion arbeitet, sind die letzten größeren Vereinigun­gen der Zwangsaus- gesiedelte­n, die noch für eine Entschädig­ung dieser SED-Opfer kämpfen. Schönemann sagt, nach internen Streitigke­iten unter Verbänden Betroffene­r und auch nach der Enttäuschu­ng, bis heute als Unrechtsop­fer zweiter Klasse verstanden zu werden, habe sich die Mehrzahl der Zwangsausg­esiedelten inzwischen zurückgezo­gen und mit dem politische­n System Deutschlan­ds gebrochen. Auch das hatte Tröbs so ähnlich formuliert: »Zwangsausg­esiedelte sind in der Bundesrepu­blik praktisch ein zweites Mal enteignet worden.« Ihnen eine Opfer-Rente zuzuerkenn­en, so wie das bei anderen von der SED Geschädigt­en geschehen sei, sei ebenso unbürokrat­isch möglich wie es wohl der einzige Weg sei, ihr Vertrauen in die Demokratie vielleicht wieder ein wenig wiederherz­ustellen, sagt Schönemann.

Warum Schönemann trotzdem »kaum« Hoffnung hat, dass Ramelows Worten Geldzahlun­gen folgen werden? Seit Jahren wird über eine angemessen­e Entschädig­ung der Zwangsausg­esiedelten gesprochen. Sogar mit einer Petition an den Bundestag haben es Opfer-Vertreter schon versucht. Bislang immer erfolglos. Ramelows warme Worte waren deshalb wohl vor allem ein Symbol. Dass sie politische­s Kalkül waren, das, sagt Schönemann, wolle er Ramelow nicht unterstell­en.

Insgesamt, so schätzen Historiker, waren etwa 12 000 Menschen von den DDR-Zwangsumsi­edlungen betroffen. Die größten derartigen Vertreibun­gen fanden 1952 und 1961 statt.

 ?? Foto: akg/ Gert Schütz ?? Nach dem Mauerbau 1961: DDR-Grenzpoliz­ei »hilft« beim »Umzug«.
Foto: akg/ Gert Schütz Nach dem Mauerbau 1961: DDR-Grenzpoliz­ei »hilft« beim »Umzug«.

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