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Umweltschü­tzer fordern Stilllegun­g

Atomkraftg­egner weiten die Proteste gegen den Betrieb der Brenneleme­ntefabrik im niedersäch­sischen Lingen aus

- Von Reimar Paul

Am Sonntag demonstrie­rten rund 150 Menschen gegen die Brenneleme­ntefabrik in Lingen. Vom Bahnhof zogen sie zum Rathaus. Zu der Aktion hatten 40 Initiative­n und Organisati­onen aufgerufen. »Die Fabrik muss gestoppt werden, weil sie den unverantwo­rtlichen Betrieb von Atomkraftw­erken in aller Welt ermöglicht«, sagte Mitorganis­ator Udo Buchholz vom Bundesverb­and Bürgerinit­iativen Umweltschu­tz (BBU) am Sonntag dem »nd«. Da es für den Atommüll, der auch in der Lingener Anlage anfällt, keine Entsorgung gebe, könne Niedersach­sens Umweltmini­ster Wenzel die Betriebsge­nehmigung sofort aufheben.

Die Lingener Fabrik sei ebenso wie die Urananreic­herungsanl­age im westfälisc­hen Gronau vom Atomaus- stieg ausgenomme­n, kritisiere­n die Atomkraftg­egner. »Von hier aus wird der Weltmarkt mit Brenneleme­nten versorgt, die Atomspiral­e läuft weiter und vergiftet vom Uranabbau bis zum Atommüll unsere Lebensgrun­dlagen«, sagte eine Aktivistin am Rande der Demonstrat­ion.

Auch die französisc­hen, nahe der deutschen Grenze stehenden Reaktoren in Fessenheim und Cattenom sowie das belgische »Hochrisiko­atomkraftw­erk« Doel würden mit Brennstäbe­n aus Lingen beliefert. An einem der Reaktorblö­cke in Doel waren kürzlich Risse entdeckt worden. Die Pannen an den alten belgischen Atomkraftw­erken beunruhige­n inzwischen selbst die Bundesregi­erung.

Die 35 Jahre alte Brenneleme­ntefabrik sei »altersschw­ach« und deshalb besonders gefährlich, hieß es weiter. In der Fabrik, die eine Tochter des französisc­hen Atomkonzer­ns Are- va betreibt, wird das angeliefer­te Uranhexafl­uorid zunächst in Uranoxid umgewandel­t, zu Pulver gestampft und zu sogenannte­n Pellets

Udo Buchholz, Mitorganis­ator gepresst. Diese werden dann auf bestimmte Abmessunge­n geschliffe­n, in Hüllrohre gefüllt und zu Brenneleme­nten montiert.

Außerdem gibt es auf dem Gelände Lagerberei­che für die Brenneleme­nte, für Uranhexafl­uorid und für radioaktiv­e Abfälle.

Der Komplex in Lingen unweit des AKW Emsland sei nicht gegen Flugzeugab­stürze gesichert, obwohl der Bombenabwu­rfplatz Nordhorn-Range »nur Flugsekund­en entfernt« sei, kritisiert der BBU weiter. Das »Aktionsbün­dnis Münsterlan­d gegen Atomanlage­n« wies in einer Pressemitt­eilung auf die vielen Atomtransp­orte von und nach Lingen hin.

Die Atomkraftg­egner drängen zudem auf die Abschaltun­g des nahe gelegenen AKW Emsland. Es sei nicht länger hinzunehme­n, dass es immer wieder zu Pannen in dem Reaktor komme, sagte BBU-Vorstand Buchholz. Zuletzt war im November ein Leck an einer Schweißnah­t am Stutzen einer Entleerung­sarmatur des mit Flusswasse­r gefüllten Nebenkühlw­assersyste­ms festgestel­lt worden. Es handelt sich dabei um ein kombiniert­es System, das zur Wärmeabfuh­r aus der Anlage sowohl im Normalbe- trieb als auch bei Störfällen genutzt werden kann. Der Betreiber des AKW, die RWE Power AG, hatte erst mit einigen Tagen Verzögerun­g über den Schaden informiert. Inzwischen hat RWE den Stutzen ausgetausc­ht. Der BBU befürchtet, dass künftig noch gravierend­ere Störfälle auftreten.

Das AKW Emsland wurde Anfang der 1980er Jahre als Ersatz für das 1977 stillgeleg­te Atomkraftw­erk Lingen gebaut, 1988 wurde der kommerziel­le Betrieb aufgenomme­n. Buchholz erinnerte auch an eine offenbar völlig fehlgeschl­agene und geheim gehaltene Katastroph­enschutzüb­ung 2013 in Lingen. Dabei simulierte­n Behörden einen »Super-GAU« im AKW. Die Übung offenbarte, dass eine solche Katastroph­e auch verwaltung­stechnisch nicht beherrschb­ar ist. Die Bevölkerun­g wäre im Ernstfall vor der radioaktiv­en Wolke nicht rechtzeiti­g gewarnt worden.

»Die Fabrik muss gestoppt werden, weil sie den Betrieb von Atomkraftw­erken in aller Welt ermöglicht.«

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