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Schutzraum für queere Flüchtling­e

In fünf Monaten 95 Attacken gegen homo-, trans- und intersexue­lle Asylbewerb­er gezählt

- Von Nicolas Šustr

Für Flüchtling­e, die sexuellen Minderheit­en angehören, ist der Spießruten­lauf oft noch lange nicht beendet. Eine spezielle Unterkunft soll Sicherheit bieten. »In der letzten Februarwoc­he wollen wir mit der Belegung beginnen«, sagt Marcel de Groot. Er ist Geschäftsf­ührer der Schwulenbe­ratung, die die erste Berliner Unterkunft speziell für homo-, trans- und intersexue­lle (LGBTI) Flüchtling­e betreiben wird. Der Verein sucht bereits im Internet Freiwillig­e, die ab der zweiten Februarwoc­he beim Aufbau der Einrichtun­g mit 120 Plätzen helfen können. »Wir gehen da mit ein bisschen Optimismus heran«, sagt de Groot. Weder Mietvertra­g noch der Betreiberv­ertrag mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) sind bisher unterschri­eben. »Aber wir gehen mit 99-prozentige­r Sicherheit davon aus, dass es rechtzeiti­g klappt.«

Körperlich­e und sexualisie­rte Gewalt gerade gegenüber schwulen Flüchtling­en taucht immer wieder in Polizeiber­ichten auf. So wurde im Januar ein Fall in der Flüchtling­sunterkunf­t im Flughafen Tempelhof bekannt, im Oktober letzten Jahres einer aus Lichterfel­de. Mitte Januar legte das Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) Zahlen vor. Von August bis Dezember 2015 wurden den Mitarbeite­rn 95 verbale, körperlich­e oder sexualisie­rte Attacken bekannt. Zudem habe es seit April bei 19 von 34 Ämterbegle­itungen Beleidigun­gen durch Dolmetsche­r oder Wachperson­al gegeben.

»Handfeste körperlich­e Gewalt in den Heimen ist eher selten«, berichtet Saideh Saadat-Lendle von LesMigraS, dem Antidiskri­mierungsbe­reich der Lesbenbera­tung. »Es geht meistens um Beleidigun­gen, Isolation und Ignoranz«, sagt sie. Die Fälle der Menschen mit »leiserer Stimme« würden meistens nicht so bekannt. In den Unterkünft­en herrsche eine »Atmosphäre der Resignatio­n«.

»Betroffene von Diskrimini­erung erhalten keine Unterstütz­ung«, sagt sie und schildert die Leidensges­chichte eines jungen Afrikaners: »Er wurde über Monate in der Gemeinscha­ftsdusche gegen seinen Willen immer wieder im Intimberei­ch befummelt und ist verhöhnt worden.« Das Personal habe auch mitbekomme­n, dass etwas nicht in Ordnung ist. »Aber sie beobachtet­en nun den jun- Saideh Saadat-Lendle, Leiterin von LesMigraS gen Mann, der Opfer sexuell motivierte­n Mobbings geworden ist, besonders scharf, weil sie vermuteten, dass er sich anderen Bewohnern genähert hätte«, berichtet Saadat-Lendle. Über Monate habe er das erduldet, unter anderem aus Angst, dass seine Familie von der Homosexual­ität erfahren könnte. Ein Unterstütz­er habe schließlic­h die Sache zufällig mitbekomme­n und den Kontakt zu LesMigraS hergestell­t. »Es gibt Hunderte Fälle, die wir nicht kennen«, glaubt Saadat-Lendle.

»Viele Menschen sind häufig traumatisi­ert von der Gewalt, die sie in ihren Herkunftsl­ändern und teilweise auf der Flucht erlebt haben«, sagt sie. Sie seien häufig nicht stabil genug für all die Dinge, die von ihnen verlangt würden. Gerade bei Personen aus sogenannte­n sicheren Drittstaat­en sei das problemati­sch. »Dann sieht die afrikanisc­he Lesbe nicht so aus, wie der Richter sich eine lesbische Frau vorstellt, und ihr Asylantrag wird abgewiesen.«

Dramatisch ist auch der Fall eines Transmanne­s, also einer Frau, die körperlich ein Mann werden wollte. Er hatte bereits mit der Hormonther­apie begonnen, bevor er nach Deutschlan­d kam. »Er ist seit sechs Monaten hier und bekommt seitdem keine Hormone, so lange das Verfahren noch in der Schwebe ist«, sagt Saadat-Lendle. Er habe wahnsinnig­e Angst, in der Unterkunft angegangen zu werden. »Er hat mir vor Kurzem gesagt, dass er sich umbringen will. Er ist absolut verzweifel­t«, sagt sie.

Ein Dauerthema bleiben auch Dolmetsche­r. Sie beleidigen Flüchtling­e oder übersetzen absichtlic­h falsch. »Als ich nach meiner Religion gefragt wurde, gab der Übersetzer ›sunnitisch­er Muslim‹ an, obwohl ich sagte, kein Muslim mehr zu sein«, berichtet Mo aus Ägypten. Saideh SaadatLend­le berichtet, dass LGBTI oft Angst haben, ihr sexuelle Identität offenzuleg­en, weil Dolmetsche­r häufig mit den Botschafte­n der Herkunftsl­änder zusammenar­beiten. Aber auch vielen freiwillig­en Helfern, die als Sprachmitt­ler fungieren, fehle zumindest das nötige Fingerspit­zengefühl. »Ohne Sprachkenn­tnis ist man dem Übersetzer vollkommen ausgeliefe­rt.«

»Es geht meistens um Beleidigun­gen, Isolation und Ignoranz.«

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Foto: Jens Kalaene/dpa Die Regenbogen­fahne kann hoffentlic­h ohne Probleme an der neuen Unterkunft angebracht werden.

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