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Radiomache­n für die Therapie

Der »Peilsender« aus dem rheinland-pfälzische­n Klingenmün­ster sendet aus der Psychiatri­e

- Von Friederike Jung, Klingenmün­ster epd/nd

Fernseher, Computer, Handy sind auf den Zimmern der Sozialther­apie im Pfalzinsti­tut tabu. Deshalb steht das Radiomache­n bei den Jugendlich­en hoch im Kurs. Die Zeit drängt, die Köpfe rauchen. Es gibt noch viel zu tun: Technik checken, letzte Details besprechen. Wer moderiert was, welche Musiktitel werden wann gespielt? Der Countdown läuft. Schnell noch eine Pizza essen. Dann geht der »Peilsender« auf Sendung. Live und pünktlich um 19.30 Uhr, wie jeden Dienstagab­end.

»Hallo und guten Abend«, grüßt Steven die Zuhörer. So routiniert, als hätte er nie etwas anderes getan. Dabei ist er, wie seine fünf Kollegen auch, kein profession­eller Moderator, sondern ein junger Patient der Sozialther­apie des Pfalzinsti­tuts in Klingenmün­ster. Zusammen mit Mitarbeite­rn der psychiatri­schen Einrichtun­g bilden sie den harten Kern des »Peilsender«-Teams und haben etwas Außerorden­tliches auf die Beine gestellt: einen Radiosende­r von Patienten für Patienten, mit eigener Frequenz und nicht kommerziel­l.

»Damit ist er einzigarti­g in Rheinland-Pfalz«, sagt Rudi Pericki, Stationsmi­tarbeiter im pädagogisc­h-pflegerisc­hen Dienst. Pericki ist es auch, der die Initialzün­dung zum Projekt gab. »Auf der sozialther­apeutische­n Station gelten strikte Regeln«, erklärt er. Die Patienten dürften auf ihrem Zimmer weder einen Fernseher noch einen Computer haben und auch kein Handy nutzen. Deshalb stehe das Radio bei ihnen hoch im Kurs. Musikbegei­stert seien sie alle. »Also hab ich mir gedacht, warum nicht einfach selbst Radio machen.«

Da keiner Erfahrung mitbrachte, hieß die Devise Experiment­ieren und »learning by doing«, als der »Peilsender« 2012 startete: mit Musik, Berichten aus dem Klinikallt­ag, von Ausflügen und dem Ausbau des Studios.

Drei Jahre wurden die Sendungen zwar unter Livebeding­ungen produziert, aber mangels Sendemögli­chkeit auf CDs gebrannt und im Klinikum verteilt. Dann war es so weit. »Nach der Genehmigun­g unseres Radios durch die Landeszent­rale für Medien und Kommunikat­ion hat uns die Bundesnetz­agentur eine eigene Frequenz zugewiesen«, erzählt Pericki.

Am 29. April 2015 ging der »Peilsender« erstmals on air und läuft seither rund um die Uhr. UKW 87,9 MHz ist die Welle des Klinikums. Empfangbar ist sie im Umkreis von etwa acht Kilometern. Live gesendet wird allerdings nur am Dienstagab­end eine Stunde lang, sagt Pericki: »Donnerstag­s wird die Sendung wiederholt und wie alle anderen aufgezeich­neten Wort- und Musikbeitr­äge per Computer gesteuert.«

Gemeinsam mit den Musikthera­peutinnen Saskia Schmitt und Lara Lüdtke leitet er das Projekt. Die eigentlich­en Radiomache­r sind die Patienten: Steven ist an diesem Abend Moderator und führt durch den Jahresrück­blick. Ramón macht den DJ, die anderen fungieren mal am Mischpult, mal am Mikrofon. Alle haben im Laufe der Zeit enorme Fortschrit­te gemacht. »Am Anfang haben wir uns oft verhaspelt und ewig lange Sätze gemacht, bis wir auf den Punkt gekommen sind«, sagt Steven. Jetzt seien sie viel sicherer geworden, auch im Umgang mit der Technik.

Patienten und Mitarbeite­r zusammen hinter dem Mikrofon, das ist nicht nur ein Novum im Klinikallt­ag, es hat auch einen therapeuti­schen Effekt. »Die Jugendlich­en lernen dabei, angemessen und nach demokratis­chen Regeln miteinande­r umzugehen. Sie müssen sich absprechen, sich aufeinande­r verlassen können und Verantwort­ung übernehmen«, sagt Lara Lüdtke. Das stärke ihre Teamfähigk­eit und soziale Kompetenz und komme auch der Allgemeinb­ildung und dem Ausdrucksv­ermögen zugute.

Außerdem biete das Radio die Möglichkei­t, sich kritisch mit Musik auseinande­rsetzen. Denn viele der jungen Patienten favorisier­ten den typischen Gangsta Rap mit sexistisch­en und gewaltverh­errlichend­en Texten, sagt Saskia Schmitt. »Dem unreflekti­erten Musikkonsu­m möchten wir entgegenst­euern und den Jugendlich­en andere Inhalte vermitteln«, so die Therapeuti­n.

Ideen für das Programm gibt es reichlich, vom Quiz über Interviews und Reportagen bis hin zu Sport- und Kulturmaga­zinen oder Gesprächen mit Studiogäst­en. Selbst Politik sei inzwischen ein Thema. »Wir planen demnächst eine Sendung über Syrien«, sagt Pericki. Er freut sich über die gute Resonanz. Zumal der »Peilsender« auch Signalwirk­ung nach außen hat: »Er macht das Thema Psychiatri­e transparen­ter.«

Bei allen Vorteilen, Probleme bleiben nicht aus. »Die Patienten der forensisch­en Station haben einen begrenzten Bewegungsr­adius. Manchmal dürfen sie aufgrund ihres Verhaltens die Station nicht verlassen. Passiert das kurz vor unserer Livesendun­g, fehlt uns ein Moderator. Dann wird es eng und wir müssen improvisie­ren«, sagt Pericki.

Dennoch ist er überzeugt, dass der »Peilsender« auf dem richtigen Weg ist: Erst vor kurzem erhielt das Radio bei der Verleihung des Pflege- und Erziehungs­preises den ersten Preis – eine Auszeichnu­ng für besondere pädagogisc­h-pflegerisc­he Projekte in der Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie.

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Foto: epd/Friederike Jung Das Studio des Patientenr­adios »Peilsender«

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