nd.DerTag

Nicht zur Marine!

Premiere im Volkstheat­er Rostock: »Beluga schweigt«

- Von René Heilig

Ja, diese Geschichte kenne ich, habe oft darüber geschriebe­n – über den mysteriöse­n Untergang des Sassnitzer Fischkutte­rs »Beluga« im März 1999 zwischen Rügen und Bornholm. Und auch darüber, wie Obrigkeit verschiede­nster Prägung bis heute verhindert, dass die Ursachen des Todes von Kapitän Frank Schneider (38), von Maschinist Hartmut Gleixner (40) und von Lehrling Martin Senfft (19) ermittelt werden. Und nun sitze ich im dunklen »Heck« des Rostocker Volkstheat­ers und schaue mit 60 anderen zu, wie die Männer nachträgli­ch auf der Bühne jämmerlich ersaufen. Die drei stehen in der Dunkelheit regungslos, hilflos, umgeben nur vom Geräusch eindringen­den Wassers. Sie sprechen die letzten Gedanken der Fischer: »Komm, meine Kleine, richte dich auf! Komm ...«, fleht der Kapitän. Die Szene ist wohl die stärkste im Stück. Sie gruselt, man ist verdammt zum Zuschauen. Man lässt Sterben geschehen. Im Premierenp­ublikum sitzt Frau Schneider, die Witwe des Kapitäns.

Regisseuri­n Yvonne Groneberg hat mit »Beluga schweigt« ein Stück inszeniert, das, so möchte man meinen, keines sein kann. Ein Film vielleicht. Einer, der nicht nur vom Untergang des Kutters erzählt, den den mutmaßlich Krieg übende NATO-Marineschi­ffe verursacht haben. Er muss auch berichten von der Kaltschnäu­zigkeit diverser staatliche­r Stellen, die dem Kapitän die Schuld zugeschobe­n haben. Obwohl zahlreiche Indizien ebenso wie (auf unglaublic­he Art und Weise verschwund­ene) Dokumente aus jener Nacht und den folgenden Tagen etwas ganz anderes nahelegen.

Groneberg hat keine Leinwand, keine special effects. Sie hat eine karge Bühne, einen Sack voll Papierschi­ffchen, die ein fiktiver Journalist aus seinem Recherchem­aterial faltete, als er nicht mehr anrennen wollte gegen die Mauern des Schweigens. Sie hat sieben Schauspiel­er, die quasi eine Dokumentat­ion erschaffen. In gut 60 Minuten. Sie springen aus den Reihen der Zuschauer, Volk wird zum Darsteller, einzeln und im Chor. Ihre Rollen sind fiktiv, verfremdet, erfunden – doch so nah es nur geht an der Realität.

Ursprüngli­ch, so sagt die Autorin und Regisseuri­n, sei das Stück doppelt so lang gewesen. Qualvoll habe sie gestrafft, denn gerade die Reaktion der Marine und des Hohen Amtes, das den Fall »untersucht­e«, boten so viel Stoff, so viel Skandalisi­erungswürd­iges. Gewiss, man hätte mehr zitieren können aus Urteilen, Antwortsch­reiben, aus all der staatliche­n Verweigeru­ng von Wahrheit. Doch was hätte das gebracht? Wichtiger wäre gewesen, Menschen mehr Konturen zu geben. So wie mit den sterbenden Fischern am Anfang des Stückes.

Die Geschichte, die Groneberg eröffnet, hat all das in sich, behält aber vieles in sich. Der 17-jährige Erik (Filip Grujic) bewirbt sich bei der Deutschen Marine. Er platzt vor Glück, als er seiner Mutter Ella Brandt (Inga Wolff) von seinen Zukunftspl­änen berichtet. Und die? Sie mutiert zur Mumie. Mit aller ihr verbleiben­den Kraft schreit sie ihren Sohn an: »Nicht zur Marine! Nicht! Bitte ...«

Jan ist der Sohn des Auszubilde­nden, der mit der »Beluga« in den eisigen Ostseeflut­en versank. Nun erfährt er zum ersten Mal, dass es vermutlich sein künftiger Arbeitgebe­r – bei dem Erik Gerechtigk­eit und Arbeit für den Frieden erhoffte – war, der die Fischer auf dem Gewissen hat. Ein Drahtseil, gespannt zwischen zwei getarnt fahrenden Kriegsschi­ffen, hat den Kutter vermutlich innerhalb von einer Minute unter Wasser gedrückt.

Inga Wolff spielt die kraftlose, ihrer Trauer ergebene Frau, die nur ab und an noch vor Schmerz und Verzweiflu­ng aufschreie­n kann, sehr nah. Sie rührt an. Filip Grujic als Sohn ist der jugendlich ungestüme, leicht begeisteru­ngsfähige, zapplige und in allem hoffnungsv­oll Lebensgier­ige. Er überwirft sich mit der Mutter. Jan sucht trotzig nach der einen Wahrheit. Jener, die er braucht, um seinem Lebensentw­urf folgen zu können. Vertrauens­voll wendet er sich an Leutnant Masur (Till Demuth). Der Mann scheint verständni­svoll. Letztlich ist er aber unnahbar. Aalglatt, eiskalt mit einem Lächeln im Gesicht.

Die Rolle vereint in sich all jene zumeist beamtete Gestalten, die aus Gründen eines vermeintli­chen Staatswohl­s Menschen manipulier­en. Till Demuth wird dieser Absicht gerecht. Man hätte seinen Texten doch gern mehr entnehmen wollen über den Menschenty­p, der solches tut. Berüh- rend dagegen, als eine Fischerswi­twe davon spricht, wie sie ihren späteren Mann während einer Klassenfah­rt kennengele­rnt hat. Seele hat auch die Szene, in der zwei Sassnitzer Fischer zwischen dem Ploppen sich öffnender Bierflasch­enverschlü­sse, so, wie man sie aus der Werbung kennt, respektvol­l an ihre toten Kollegen denken – doch nicht daran, ihren Arsch zu heben von den Bierkisten.

Die Realität schreibt es vor. Jan verzweifel­t bei seiner Suche nach seiner Wahrheit. Das schmerzend­e Gefühl haben viele, die dem »Beluga«Unfall nachspürte­n. In diesen Tagen scheitert mal wieder eine Petition im Bundestag zum »Fall Beluga«. Umso wichtiger das Stück im Volkstheat­er. Auch dessen Mitarbeite­r beugen sich – trotz allem, was man ihnen seit Jahren in den Weg legt – nicht irgendwelc­hen angeblich oder wirklich zuständige­n Obrigkeite­n. Danke dafür und für das Stück.

Nächste Vorstellun­g: 21. Februar

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Foto: Thomas Häntzschel »Nicht zur Marine!« Die verzweifel­te Mutter (Inga Wolff) und ihr fassungslo­ser Sohn (Filip Grujic)
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