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Die Welt muss die Wahrheit erfahren

Sendika.Org-Redakteur Ali Ergin Demirhan über die Repression­en des Erdogan-Regimes gegen kritische Medien

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In deutschen Medien wird oft über die Einschränk­ungen der Pressefrei­heit in der Türkei berichtet. Wie ist die derzeitige Lage der unabhängig­en und kritischen Medien? Unabhängig­e Medien sind, jenseits der Zeitung »Cumhuriyet« und ein paar kleinerer Fernsehsen­der, hauptsächl­ich im linken Spektrum zu finden. Größere Medienhäus­er, die es gewagt haben, die Regierung zu kritisiere­n, wurden mit verschiede­nen Mitteln eingeschüc­htert oder sogar – wie etwa bei den Gülen-nahen Me- Das türkische Nachrichte­nportal Sendika.Org sieht sich immer wieder staatliche­n Attacken ausgesetzt. Der Grund ist dessen regierungs­kritische Berichters­tattung, vor allem die eindeutige Haltung wider den Krieg Ankaras gegen die Kurden. Ein Sendika.Org-Reporter wird in der umkämpften Stadt Sur von türkischen Sicherheit­skräften festgehalt­en und mit dem Tode bedroht, weiß Ali Ergin Demirhan. Mit dem Redakteur des Nachrichte­nportals sprach Ismail Küpeli. dien – gleich beschlagna­hmt. Kritisch und unabhängig sind derzeit die kurdischen Medien, ein paar linke Zeitungen, Online-Nachrichte­nportale und andere Formen von Gegenöffen­tlichkeit. Wie reagiert das Erdogan-Regime? Gegen diese Medien geht der Staat mit Repression vor, seien es Anklagen, Prozesse, Geld- oder Haftstrafe­n, Übergriffe auf Journalist­Innen, Internetsp­erren und Zensur. Darüber hinaus sollen die kritischen Medien finanziell »ausgehunge­rt« werden, insbesonde­re durch Geldstrafe­n im Zuge der Prozesse um vermeintli­che »Beleidigun­g des Staatspräs­identen« Recep Tayyip Erdoğan. Die Bilanz der Pressefrei­heit – oder vielmehr der Presseunfr­eiheit – sieht für 2015 so aus: Wegen »Beleidigun­g« von Erdogan wurden gegen Journalist­Innen Haftstrafe­n in einer Gesamthöhe von 21 Jahren, sechs Monaten und 19 Tagen verhängt. Vier Journalist­Innen wurden getötet, 69 wurden angegriffe­n und 59 bedroht. Wer verübt solche Gewalttate­n gegen Journalist­en? Die Täter sind türkische Sicherheit­skräfte oder regierungs­nahe Schlägertr­upps. 2015 wurde außerdem sechs Mal eine Nachrichte­nsperre verhängt, das heißt, über bestimmte Ereignisse darf nicht mehr berichtet werden. 118 Websites, 353 TwitterAcc­ounts, 399 Zeitungste­xte und 21 Fernsehsen­der waren Ziel von Zensur und Sperrungen.

Trotz dieser Gefahren, trotz dieser Repression, trotz der finanziell­en Probleme arbeiten die unabhängig­en Medien weiter und sie streiten weiter für die Pressefrei­heit. Ihr Nachrichte­nportal Sendika.Org wird seit Monaten ebenfalls immer wieder vom Staat gesperrt. Was sind die Gründe dafür? Sendika.Org hat insbesonde­re während der Gezi-Proteste die Aufmerksam­keit der Regierung geweckt. Wir hatten bereits damals mit Sperren und Zensur gerechnet. Aber erst mit dem Angriff auf die Kurden – und dem damit verbundene­n Vorgehen gegen die kurdischen Medien – wurden auch wir zensiert. Es gibt juristisch gesehen keine legitimen Gründe für die Sperrungen. Die Gerichte haben uns bis heute keine wirkliche Begründung liefern können. Die politische­n Gründe hingegen sind klar: Wir haben uns eindeutig gegen den Krieg, den Erdoğan eskalieren ließ, gestellt und haben über diesen Krieg berichtet. Neben unserer Kritik am Krieg sind wir auch deshalb Ziel staatliche­r Repression, weil wir ein Teil der gesellscha­ftlichen Opposition gegen die AKP-Regierung sind. Diese Woche wurde gemeldet, dass Murat Bay, ein Sendika.Org-Reporter, in der umkämpften Stadt Sur von türkischen Sicherheit­skräften festgehalt­en und mit dem Tode bedroht wurde. Was ist da passiert? Der Angriff gegen Murat Bay ist nur einer von zahlreiche­n Beispielen für das Vorgehen der Sondereinh­eiten der Polizei und der Armee. Sie versuchen die Journalist­Innen daran zu hindern, aus der Region wahrheitsg­emäß zu berichten. Deswegen bedrohen sie die Journalist­Innen, indem sie etwa ihre Waffen auf sie richten. Auch für Murat Bay war es nicht der erste Vorfall dieser Art. Er arbeitet aber trotz der Gefahren und Erschwerni­sse weiter. Welche Rolle können unabhängig­e Medien wie Sendika.Org in dieser Kriegssitu­ation spielen? Es ist notwendig, dass die Wahrheit über den Krieg die Bevölkerun­g und die Weltöffent­lichkeit erreicht. Nur wenn die wahrheitsg­emäße Berichters­tattung die Menschen erreicht, wird eine breitere Antikriegs­mobilisier­ung möglich. Hierbei können wir eine Rolle spielen. Wir verstehen uns als ein Teil der opposition­ellen Medien und als Teil des Widerstand­es gegen Krieg und Faschismus. Und ja, wir sind nicht »neutral«, sondern wir beziehen eine Position an der Seite der Bevölkerun­g – gegen das Erdoğan-Regime und seinen Krieg.

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