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Denkmal für den »Eisblock«

Wie Dagur Sigurdsson aus der jungen deutschen Mannschaft ein Spitzentea­m formte

- Von Erik Eggers, Krakow

Die deutsche Handballau­swahl ist die große Überraschu­ng bei dieser EM. Am Sonntagabe­nd spielte sie in Krakow gegen Spanien (n. Red.) um den Titel. Als Dagur Sigurdsson im September 2014 das erste Mal einen Kader für einen Lehrgang des Deutschen Handballbu­ndes (DHB) nominierte, gab es Leute, die das ausgewählt­e Personal des neuen Bundestrai­ners entsetzte. Erik wer?, fragte die Szene, als Erik Schmidt aus Friesenhei­m auf der Liste auftauchte. Der Gummersbac­her Julius Kühn hatte auch erst ein paar Bundesliga­spiele hinter sich. Torwart Andreas Wolff aus Wetzlar? Das war noch so ein Nobody des Handballs.

17 Monate später zogen die deutschen Handballer in das Finale um die 12. EM in Krakau ein. Die Fachwelt staunt, aber die Namen muss niemand mehr buchstabie­ren. Mit dabei ist Julius Kühn, der Mann für brachiale Würfe aus dem Rückraum. Ein Kreisläufe­r Schmidt? Torwart Wolff? Gilt auf seiner Position in ganz Europa inzwischen als das größte Verspreche­n.

Das jüngste Team des Turniers (Schnitt 24,6 Jahre), als krasser Außenseite­r gestartet, hat sich mit furiosen Auftritten in Polen solche Sympathien erworben, dass ihr Titel als »Mannschaft des Jahres« als sicher gilt. Es ist von einem Märchen die Rede, von einem Handballwu­nder. Weil Sigurdsson es geschafft hat, aus einer Trümmertru­ppe, die im Juni 2014 in einem jämmerlich­en Zustand die WM-Qualifikat­ion verpasst hatte, eine homogene Einheit mit Teamgeist und WinnerMent­alität zu formen.

Wer ist dieser Sigurdsson? Auf jeden Fall ein Mensch, der nach neuen Reizen sucht, sich mit Neugier in Projekte auch abseits des Handballs stürzt. Was er hasst: Monotonie. Seinen Wechsel aus der Bundesliga in die Handballpr­ovinz Japan, den er im Jahr 2000 als Profi überrasche­nd bekanntgab, begründete er mit der »copy & paste«-Arbeit in der Bundesliga, es sei ein ständiges Kopieren und Einfügen. »Ich wollte einfach etwas Neues probieren.«

Der 42-Jährige hat Sinn für Kultur und Geschichte. So hat er sich Teile des Hallenbode­ns, auf dem er einst das Handballsp­ielen erlernte, in sein Hostel »Kex« einbauen lassen, dass er mit seinem Jugendfreu­d, Ex-Fußballpro­fi Eidur Gudjonsson (Chelsea, Barcelona), betreibt. Als es darum ging, die Auswahl des mitglieder­stärksten Handballve­rbandes der Welt wieder aufzubauen, hielt er sich mit der trüben Geschichte nicht lange auf. Er forderte eine neue Mentalität, eine neue Unbedingth­eit auch in Testspiele­n. »Das größte Problem war, dass wir nicht genug Spiele gewonnen haben, da muss man hin, dass man mehr gewinnt«, sagte er, als er anfing. Und dass er mit jungen Leuten arbeiten wolle.

Daraufhin die Frage: Ja, wo er denn diese Profis mit Siegerment­alität herzaubern wolle? »Man hat nur Typen, wenn man gewinnt«, antwortete Sigurdsson und verwies auf die seltsame Debatte im Fußball, die erst mit dem WM-Titel 2014 in Rio beendet worden war. Heute verzeichne­t Si- gurdsson als Bundestrai­ner die höchste Siegquote in der DHB-Geschichte.

Wie er mit seinem Team arbeitet, darüber redet er nicht ausschweif­end. Aber gegenüber Sponsoren des DHB hat er im November 2014 klar gemacht, dass er in der Abwehr mit großen Leuten arbeiten will. »Wenn ich mit Island gegen Deutschlan­d gespielt habe, standen da immer riesige Leute in der Defensive, das war sehr unangenehm«, berichtete er. Bei dieser EM nun stehen mit Finn Lemke (2,10 Meter), Erik Schmidt (2,06) und Hendrik Pekeler (2,03) drei hünenhafte Handballer im Abwehrzent­rum.

Das belegt, wie konsequent er seinen Plan durchzieht. Als Grundlage betrachtet er, dass das Team an das glaube, was er vorgebe. Der unerschütt­erliche Glaube – er war bei der EM spätestens in dem Moment da, als Sigurdsson im zweiten Vorrundens­piel gegen Schweden zur Pause eine 4:2-Deckung anordnete, obwohl die Mannschaft eine solche Formation noch nie trainiert hatte. Damit kippte das Spiel. »Wir vertrauen ihm blind«, sagte Kreisläufe­r Schmidt danach.

Torhüter Carsten Lichtlein hat den Trainer einmal als »isländisch­en Eisblock« bezeichnet. Aber der kann auch anders. Vor der Schlüsselp­artie gegen Schweden hatte Sigurdsson eine emotionale Rede gehalten und an den Kampfgeist appelliert. »Danach wollte ich sofort auf das Spielfeld«, erzählt Rune Dahmke. Damit begann der unaufhalts­ame Lauf dieser Mannschaft in die Handballge­schichte, obwohl bekanntlic­h die komplette Stammbeset­zung verletzt ausgefalle­n ist.

»Ich hoffe, dass man sich später an meinen Erfolg erinnert«, sagte Sigurdsson vor einem Jahr in Doha. »Aber ich habe noch andere Dinge, auf die ich stolz bin. Ich nehme die Dinge nicht zu ernst. Ich brauche kein Denkmal.« Aber es braucht nicht mehr viel, dass ihm die deutschen Handballfa­ns ein solches bauen.

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Foto: imago/HochZwei

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