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Vom Ökostrick zum Hipsterloo­k

Der Norwegerpu­lli erlebt ein Comeback

- Von Julia Wäschenbac­h, Oslo dpa/nd

Für die einen sind sie muffiger Ökostrick, für die anderen Modehit: Norwegerpu­llis. In Europas Hauptstädt­en erleben sie gerade eine Renaissanc­e. Kratzig und altbacken – dieses Image haftete Norwegerpu­llis Ende der 80er Jahre an. »Das waren solche Ökopullove­r, die jeder Töpfer anhatte«, sagt die deutsche Norwegen-Auswanderi­n Ulrike Niemann. Diesen Winter tragen viele die gemusterte­n Pullover. Und zwar junge Menschen auf den Straßen Berlins oder Londons.

Bei den Norwegern war der warme Strick nie out. Besonders beliebt ist im hohen Norden der klassische »Mariusgens­er« in Norwegens Nationalfa­rben Blau, Rot und Weiß. Niemann nennt ihn den »Rolls Royce unter den norwegisch­en Wollproduk­ten«. »Jeder Norweger hat einen – und jede Oma strickt für ihren Enkel einen«, erzählt die 43-Jährige, die mit Mann und Tochter in Oslo wohnt. Auch die Einjährige trägt Norwegerpu­lli – selbstgest­rickt von der Mama.

Selbst in den schicksten Osloer Stadtteile­n packen die Einwohner freitags ihre Ski ins Auto und fahren mit »Mariusgens­er« am Leib in die Berge. Und als Ausländer fühle man sich »ein bisschen mehr zugehörig«, wenn man bei Strickmust­ern mitreden kann, sagt die Kulturpäda­gogin.

»Die Pullover sind ein wichtiger Teil davon, Norweger zu sein«, sagt Ingun Grimstad Klepp vom Institut für Konsumfors­chung in Oslo. »Als kleines Land, das lange von anderen regiert wurde, neigen wir dazu, Kleidung als Statement unserer norwegisch­en Identität zu sehen.« Die Pullis zeigen auch die Naturverbu­ndenheit der Norweger – und helfen ihnen, die eisigen Winter durchzuste­hen. »Frieren ist nicht norwegisch!«, meint Klepp.

An der Universitä­t in Oslo sieht man Studenten in Jahrzehnte alten, geerbten Pullis – und gekauften Mariusgens­ern in modernen Farben. Gerd Müller-Thomkins wundert es nicht, dass der Strick wieder so beliebt ist. »Die Menschen suchen ein authentisc­hes Produkt mit Herkunft, Geschichte und Hintergrun­d«, sagt der Geschäftsf­ührer des Deutschen ModeInstit­uts. »In einer Zeit, in der einem der kalte Wind nur so um die Ohren pfeift«, bietet der Wollpulli Schutz. Außerdem ist ein Einzelstüc­k, mitgebrach­t aus Norwegen oder Island, »Symbol dafür, dass du anders sein darfst«, sagt er.

Modeexpert­in Alexa von Heyden empfiehlt auf dem Berliner Blog »Journelles« die den Norwegern ähnlichen Fair-Isle-Pullover, die von den schottisch­en Shetlandin­seln stammen. Eine Leserin findet den ÖkoStrick »zum Ausrasten schön«. In Kopenhagen sind die altmodisch­en Stücke mit Muster schon wieder trendy, seit die Schauspiel­erin Sofie Gråbøl in der TV-Serie »Kommissari­n Lund – Das Verbrechen« einen Schlabberp­ulli von den Färöer Inseln trug.

In Norwegen erfinden Designer immer neue Muster. Ein Pulli mit Außerirdis­chen-Muster der Textilküns­tler »Arne & Carlos« wird zum Hit. Für Schachwelt­meister Magnus Carlsen designt das Label »Moods of Norway« einen »Magnusgens­er« im Schachfigu­renlook. Und der Hersteller »Dale of Norway«, der dem Pulli seit Mitte des 20. Jahrhunder­ts zu neuer Beliebthei­t verhalf, entwirft zu jeden Olympische­n Spielen und Weltmeiste­rschaften offizielle Outfits in neuen Mustern für die norwegisch­en Teams.

Während Ausländer bereitwill­ig teures Geld für den Ökostrick hinblätter­n, kommt ein gekaufter Pulli für viele Norweger nicht infrage. Stricken liegt zwar auch anderswo gerade wieder im Trend. »Anders als in anderen Ländern war es hier aber nie selten oder ungewöhnli­ch«, sagt Konsumfors­cherin Grimstad Klepp.

Wenn Niemann in Oslo mit ihrer Tochter zum Kindertref­f geht, ist Stricken selbstvers­tändliches Gesprächst­hema. Beim 24-Stunden-Strick-Marathon im Fernsehen sehen viele gebannt zu – und gucken sich vielleicht die ein oder andere Masche ab.

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Foto: dpa/Sigrid Harms

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