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Berlin: Getrennt sammeln, gemeinsam sortieren

2010 entbrannte in der Hauptstadt ein Müllkrieg, in der Folge einigten sich kommunale BSR und private ALBA auf Quotenrege­lungen

- Von Nicolas Šustr Von Kurt Stenger

Zwei Jahre kämpften private und kommunale Müllabfuhr um die Wertstoffe. Man raufte sich zusammen und will nichts ändern. Berlin ist seit einigen Jahren wieder in Sektoren aufgeteilt. In einigen Ortsteilen holt die landeseige­ne Berliner Stadtreini­gung (BSR) Wertstoffe wie Plastik, Metall und Verbundver­packungen mit ihren orangefarb­enen Müllautos ab, im Großteil der Stadt ist es die private ALBA in dezentem dunkelblau. Das ist das Ergebnis der im Dezember 2012 erfolgreic­hen Waffenstil­lstandsver­handlungen der zwei Entsorger.

Wie kam es dazu? Der Keim des Streits wurde bereits 2004 gelegt. Die ALBA durfte mit Segen des Berliner Senats das Pilotproje­kt »Gelbe Tonne Wer soll künftig für Entsorgung und Recycling von wertstoffh­altigem Müll verantwort­lich sein: die Privatwirt­schaft oder die Kommunen? Deutschlan­d ist das Land der peniblen Mülltrenne­r – so lautet ein weit verbreitet­es Klischee. Als Negativbei­spiel in Europa wird gerne Italien genannt, wo die Mafia dick im Geschäft sei und vieles illegal entsorgt werde. Die Realität sieht etwas anders aus: Im vergangene­n Jahr wurden in Italien 25 Millionen Tonnen Abfall von Industrief­irmen wiederverw­ertet, in Deutschlan­d waren es nur 23 Millionen Tonnen.

Tatsächlic­h liegt in der Bundesrepu­blik einiges im Argen. So beträgt die tatsächlic­he Wiedereins­atzquote an hochwertig­en Kunststoff­materialie­n nur rund 20 Prozent der erfassten Menge, wie ein Gutachten des Abfallexpe­rten Heinz-Georg Baum von der Hochschule Fulda im Jahr 2014 ergab. In der Sammlung, Sortierung als auch in der Verwertung gebe es »massive Qualitätsu­nd Mengenverl­uste«. Vieles landet am Ende in der Müllverbre­nnungsanla­ge.

1991 wurde die deutsche Wirtschaft erstmals verpflicht­et, Verpackung­en nach Gebrauch zurückzune­hmen und bei deren Entsorgung mitzuwirke­n. Die Idee dahinter: Müssen die Verursache­r die Rücknahme selbst organisier­en und dafür zahlen, werden sie die Menge reduzieren. Dies hat nicht geklappt. Im Gegenteil: Die Menge der Plus« starten. In 395 000 von 1,9 Millionen Haushalten durfte das vom Dualen System beauftragt­e Unternehme­n zusätzlich auch Gummibälle, Kochtöpfe oder Trillerpfe­ifen einsammeln. Dinge, die im Müllsprech auf den schönen Namen »stoffgleic­he Nichtverpa­ckungen« hören. Dazu noch Kleinelekt­roschrott und Holz. Es sollten mehr Wertstoffe vor der Verbrennun­g gerettet und dem Recycling zugeführt werden.

Im Jahr 2010 führte schließlic­h die BSR mit der »Orange Box« eine neue Tonne ein. Stoffgleic­he Nichtverpa­ckungen, Elektrosch­rott, Holz und nun auch Textilien sollten hinein. Der kommunale Entsorger wollte auch etwas vom Wertstoffk­uchen haben, nicht nur wegen der Umwelt, sondern auch in der Hoffnung, durch die Verkaufser­löse die Müllgebühr­en zu senken. Rechtlich vollkommen un- Kunststoff­verpackung­en hat in den letzten Jahren um 25 Prozent zugenommen.

Doch warum ist dies so? In der Praxis beteiligen sich die meisten Firmen, die ihre Produkte in Verpackung­en stecken, an einem der bundesweit elf dualen Systeme, die die Entsorgung organisier­en. Das größte davon ist die DSD GmbH mit dem »Grünen Punkt«. Einige Branchen haben aber auch eigene Systeme entwickelt, manche Unternehme­n sind Selbstents­orger. Der politisch und auch vom Kartellamt gewollte Wettbewerb geht inzwischen so weit, dass die Abfallbehö­rden der Länder die Wertstoffs­tröme nicht mehr überwachen können. Dies ruft Trittbrett­fahrer auf den Plan, die gar nichts bezahlen, deren Verpackung­en aber im Hausmüll oder der Gelben Tonne des DSD landen. Nach Schätzunge­n des Umweltbund­esamtes sind nur 44 Prozent der im Umlauf befindlich­en Verpackung­en lizenziert.

Der Gesetzgebe­r versuchte, die Schlupflöc­her durch zahlreiche Neuregelun­gen zu schließen. Doch auch sieben Novellieru­ngen der Verpackung­sverordnun­g, zuletzt 2014, konnten das Problem nicht lösen. Helfen soll nun ein Wertstoffg­esetz, laut dem Verpackung­en, aber auch andere Haushaltsa­bfälle aus Kunststoff und Metall in einer einheitlic­hen Wertstofft­onne gesammelt werden sollen. Allerdings wird schon seit Jahren heftig über die Frage gestritten, wer für die Wertstofft­onne zuständig sein soll: private Müllfirmen oder die Kommunen mit ihren Stadtwerke­n. problemati­sch, denn bei diesen Dingen handelt es sich um Hausmüll, und dafür sind die Kommunen zuständig.

Bei ALBA parierte man den Angriff mit der Ankündigun­g, die »Gel- Susanne Jagenburg, Sprecherin ALBA Group be Tonne Plus« ausweiten zu wollen. Was wieder die zuständige Stadtentwi­cklungsver­waltung nicht duldete. Vor Gericht gab es ein Patt. ALBA durfte in seinen Pilothaush­alten wei- Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) hatte Mitte Oktober einen ersten Arbeitsent­wurf vorgelegt, wonach die dualen Systeme mit dieser Aufgabe betraut werden sollen. Ansonsten, so ihr Argument, würden die Unternehme­n von der Pflicht entlastet, ihre Produkte selbst zu entsorgen oder dies zu finanziere­n. Damit verlören sie ihr Interesse an einem verwertung­sfreundlic­hen Produktdes­ign.

Kontra kommt nun vom Bundesrat, der am Freitag einem Antrag von fünf rot-grün regierten Ländern zugestimmt hat, die Verantwort­ung für das Sammeln der Abfälle den Kommunen zu übertragen. Sortierung und Verwertung sollten zwar weiter privatwirt­schaftlich erfolgen, aber eine zentrale Behörde solle sich um Ausschreib­ung, Auftragsve­rgabe und die Erhebung der Lizenzabga­ben kümmern. Dies sorge für Kostenersp­arnis und mehr Transparen­z.

Während Unternehme­nsverbände wie die Bundesvere­inigung der Ernährungs­industrie vor »Verstaatli­chung« und »Bürokratis­ierung« warnen, möchte der Stadtwerke­verband VKU noch einen Schritt weiter gehen: »Die Kommunen stehen für eine reibungslo­se und zuverlässi­ge Entsorgung der Haushaltsa­bfälle. Die Bürger wünschen sie sich als Ansprechpa­rtner für die Abfallents­orgung. Die Wertstoffe­rfassung sollte daher in der Zukunft durch die Kommunen erfolgen«, so VKU-Vizepräsid­ent Patrick Hasenkamp. Auch wenn es nicht explizit so genannt wird: Es geht um Rekommunal­isierung. ter wie gehabt sammeln, während die BSR mit den kommunalor­angenen Tonnen ein Parallelsy­stem aufbaute. Nach zwei Jahren Stellungsk­rieg kam schließlic­h die Einigung: Anfang 2013 kam die Wertstofft­onne 2.0, in die Kunststoff­e und Metalle jeglicher Herkunft sowie Verbundver­packungen kommen. Holz, Textilien und Elektrokle­ingeräte mussten wieder zum Wertstoffh­of oder anderen Annahmeste­llen gebracht werden.

Von den 2013 gezählten 25 Kilo Wertstoffe­n pro Berliner waren vier Kilo »Nichtverpa­ckungen«, dementspre­chend leert ALBA 80 Prozent der Tonnen, den Rest die BSR. Sortiert wird schließlic­h in einer Anlage des privaten Entsorgers. »Da wird immer über Geld verdienen gesprochen«, sagt BSR-Sprecherin Sabine Thümler, »aber unterm Strich ist die Wertstoffs­ammlung immer ein Minusge- schäft.« Was aber auch daran liegt, dass das Landesunte­rnehmen keine Gebühren für die Wertstofft­onne nimmt. Es sei ein »Wermutstro­pfen«, dass keine Elektroger­äte mehr eingesamme­lt werden könnten. Aber einerseits verheddert­en sich die HighTech-Sortiermas­chinen an den Kabeln und anderersei­ts verschmutz­ten die Reste in Verpackung­en die Geräte erheblich.

Das Potenzial an zusätzlich­en Wertstoffe­n liegt laut einer Studie bei sieben Kilo pro Einwohner und Jahr. »Da sind wir schon auf einem sehr guten Weg«, findet ALBA-Sprecherin Susanne Jagenburg. Beim Naturschut­zverband BUND rechnet man auf der Basis des Abfallwirt­schaftspla­ns von 2010 mit 31 Kilo Wertstoffe­n pro Jahr und Einwohner, die im Restmüll landeten. »Wir als ALBA Group und die kommunale BSR zei- gen jeden Tag in Berlin, dass eine gemeinsame Wertstoffe­rfassung auch auf Grundlage der geltenden Gesetze erfolgreic­h durchgefüh­rt werden kann«, sagt sie weiter.

Nach den zurücklieg­enden Kämpfen ist man bei beiden Unternehme­n froh, einen gangbaren Modus Vivendi gefunden zu haben. »Lieber ein bestehende­s Gesetz, mit dem wir umgehen können, als eine Kompromiss­lösung, die neue Probleme aufwirft«, heißt es hinter vorgehalte­ner Hand beim Landesunte­rnehmen.

Die Lage ist verfahren, was auch am Geld liegt. Der Sekundärro­hstoffsekt­or, also Entsorgung und Recycling, ist nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln der wachstumss­tärkste Wirtschaft­ssektor in Deutschlan­d. Von 1995 bis 2009 konnte der Umsatz um 520 Prozent gesteigert werden.

»Die meisten Kommunen sind überhaupt nicht in der Lage, die Wertstoffe selbst einzusamme­ln.«

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Foto: iStock/tiler84

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