Berlin: Getrennt sammeln, gemeinsam sortieren
2010 entbrannte in der Hauptstadt ein Müllkrieg, in der Folge einigten sich kommunale BSR und private ALBA auf Quotenregelungen
Zwei Jahre kämpften private und kommunale Müllabfuhr um die Wertstoffe. Man raufte sich zusammen und will nichts ändern. Berlin ist seit einigen Jahren wieder in Sektoren aufgeteilt. In einigen Ortsteilen holt die landeseigene Berliner Stadtreinigung (BSR) Wertstoffe wie Plastik, Metall und Verbundverpackungen mit ihren orangefarbenen Müllautos ab, im Großteil der Stadt ist es die private ALBA in dezentem dunkelblau. Das ist das Ergebnis der im Dezember 2012 erfolgreichen Waffenstillstandsverhandlungen der zwei Entsorger.
Wie kam es dazu? Der Keim des Streits wurde bereits 2004 gelegt. Die ALBA durfte mit Segen des Berliner Senats das Pilotprojekt »Gelbe Tonne Wer soll künftig für Entsorgung und Recycling von wertstoffhaltigem Müll verantwortlich sein: die Privatwirtschaft oder die Kommunen? Deutschland ist das Land der peniblen Mülltrenner – so lautet ein weit verbreitetes Klischee. Als Negativbeispiel in Europa wird gerne Italien genannt, wo die Mafia dick im Geschäft sei und vieles illegal entsorgt werde. Die Realität sieht etwas anders aus: Im vergangenen Jahr wurden in Italien 25 Millionen Tonnen Abfall von Industriefirmen wiederverwertet, in Deutschland waren es nur 23 Millionen Tonnen.
Tatsächlich liegt in der Bundesrepublik einiges im Argen. So beträgt die tatsächliche Wiedereinsatzquote an hochwertigen Kunststoffmaterialien nur rund 20 Prozent der erfassten Menge, wie ein Gutachten des Abfallexperten Heinz-Georg Baum von der Hochschule Fulda im Jahr 2014 ergab. In der Sammlung, Sortierung als auch in der Verwertung gebe es »massive Qualitätsund Mengenverluste«. Vieles landet am Ende in der Müllverbrennungsanlage.
1991 wurde die deutsche Wirtschaft erstmals verpflichtet, Verpackungen nach Gebrauch zurückzunehmen und bei deren Entsorgung mitzuwirken. Die Idee dahinter: Müssen die Verursacher die Rücknahme selbst organisieren und dafür zahlen, werden sie die Menge reduzieren. Dies hat nicht geklappt. Im Gegenteil: Die Menge der Plus« starten. In 395 000 von 1,9 Millionen Haushalten durfte das vom Dualen System beauftragte Unternehmen zusätzlich auch Gummibälle, Kochtöpfe oder Trillerpfeifen einsammeln. Dinge, die im Müllsprech auf den schönen Namen »stoffgleiche Nichtverpackungen« hören. Dazu noch Kleinelektroschrott und Holz. Es sollten mehr Wertstoffe vor der Verbrennung gerettet und dem Recycling zugeführt werden.
Im Jahr 2010 führte schließlich die BSR mit der »Orange Box« eine neue Tonne ein. Stoffgleiche Nichtverpackungen, Elektroschrott, Holz und nun auch Textilien sollten hinein. Der kommunale Entsorger wollte auch etwas vom Wertstoffkuchen haben, nicht nur wegen der Umwelt, sondern auch in der Hoffnung, durch die Verkaufserlöse die Müllgebühren zu senken. Rechtlich vollkommen un- Kunststoffverpackungen hat in den letzten Jahren um 25 Prozent zugenommen.
Doch warum ist dies so? In der Praxis beteiligen sich die meisten Firmen, die ihre Produkte in Verpackungen stecken, an einem der bundesweit elf dualen Systeme, die die Entsorgung organisieren. Das größte davon ist die DSD GmbH mit dem »Grünen Punkt«. Einige Branchen haben aber auch eigene Systeme entwickelt, manche Unternehmen sind Selbstentsorger. Der politisch und auch vom Kartellamt gewollte Wettbewerb geht inzwischen so weit, dass die Abfallbehörden der Länder die Wertstoffströme nicht mehr überwachen können. Dies ruft Trittbrettfahrer auf den Plan, die gar nichts bezahlen, deren Verpackungen aber im Hausmüll oder der Gelben Tonne des DSD landen. Nach Schätzungen des Umweltbundesamtes sind nur 44 Prozent der im Umlauf befindlichen Verpackungen lizenziert.
Der Gesetzgeber versuchte, die Schlupflöcher durch zahlreiche Neuregelungen zu schließen. Doch auch sieben Novellierungen der Verpackungsverordnung, zuletzt 2014, konnten das Problem nicht lösen. Helfen soll nun ein Wertstoffgesetz, laut dem Verpackungen, aber auch andere Haushaltsabfälle aus Kunststoff und Metall in einer einheitlichen Wertstofftonne gesammelt werden sollen. Allerdings wird schon seit Jahren heftig über die Frage gestritten, wer für die Wertstofftonne zuständig sein soll: private Müllfirmen oder die Kommunen mit ihren Stadtwerken. problematisch, denn bei diesen Dingen handelt es sich um Hausmüll, und dafür sind die Kommunen zuständig.
Bei ALBA parierte man den Angriff mit der Ankündigung, die »Gel- Susanne Jagenburg, Sprecherin ALBA Group be Tonne Plus« ausweiten zu wollen. Was wieder die zuständige Stadtentwicklungsverwaltung nicht duldete. Vor Gericht gab es ein Patt. ALBA durfte in seinen Pilothaushalten wei- Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte Mitte Oktober einen ersten Arbeitsentwurf vorgelegt, wonach die dualen Systeme mit dieser Aufgabe betraut werden sollen. Ansonsten, so ihr Argument, würden die Unternehmen von der Pflicht entlastet, ihre Produkte selbst zu entsorgen oder dies zu finanzieren. Damit verlören sie ihr Interesse an einem verwertungsfreundlichen Produktdesign.
Kontra kommt nun vom Bundesrat, der am Freitag einem Antrag von fünf rot-grün regierten Ländern zugestimmt hat, die Verantwortung für das Sammeln der Abfälle den Kommunen zu übertragen. Sortierung und Verwertung sollten zwar weiter privatwirtschaftlich erfolgen, aber eine zentrale Behörde solle sich um Ausschreibung, Auftragsvergabe und die Erhebung der Lizenzabgaben kümmern. Dies sorge für Kostenersparnis und mehr Transparenz.
Während Unternehmensverbände wie die Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie vor »Verstaatlichung« und »Bürokratisierung« warnen, möchte der Stadtwerkeverband VKU noch einen Schritt weiter gehen: »Die Kommunen stehen für eine reibungslose und zuverlässige Entsorgung der Haushaltsabfälle. Die Bürger wünschen sie sich als Ansprechpartner für die Abfallentsorgung. Die Wertstofferfassung sollte daher in der Zukunft durch die Kommunen erfolgen«, so VKU-Vizepräsident Patrick Hasenkamp. Auch wenn es nicht explizit so genannt wird: Es geht um Rekommunalisierung. ter wie gehabt sammeln, während die BSR mit den kommunalorangenen Tonnen ein Parallelsystem aufbaute. Nach zwei Jahren Stellungskrieg kam schließlich die Einigung: Anfang 2013 kam die Wertstofftonne 2.0, in die Kunststoffe und Metalle jeglicher Herkunft sowie Verbundverpackungen kommen. Holz, Textilien und Elektrokleingeräte mussten wieder zum Wertstoffhof oder anderen Annahmestellen gebracht werden.
Von den 2013 gezählten 25 Kilo Wertstoffen pro Berliner waren vier Kilo »Nichtverpackungen«, dementsprechend leert ALBA 80 Prozent der Tonnen, den Rest die BSR. Sortiert wird schließlich in einer Anlage des privaten Entsorgers. »Da wird immer über Geld verdienen gesprochen«, sagt BSR-Sprecherin Sabine Thümler, »aber unterm Strich ist die Wertstoffsammlung immer ein Minusge- schäft.« Was aber auch daran liegt, dass das Landesunternehmen keine Gebühren für die Wertstofftonne nimmt. Es sei ein »Wermutstropfen«, dass keine Elektrogeräte mehr eingesammelt werden könnten. Aber einerseits verhedderten sich die HighTech-Sortiermaschinen an den Kabeln und andererseits verschmutzten die Reste in Verpackungen die Geräte erheblich.
Das Potenzial an zusätzlichen Wertstoffen liegt laut einer Studie bei sieben Kilo pro Einwohner und Jahr. »Da sind wir schon auf einem sehr guten Weg«, findet ALBA-Sprecherin Susanne Jagenburg. Beim Naturschutzverband BUND rechnet man auf der Basis des Abfallwirtschaftsplans von 2010 mit 31 Kilo Wertstoffen pro Jahr und Einwohner, die im Restmüll landeten. »Wir als ALBA Group und die kommunale BSR zei- gen jeden Tag in Berlin, dass eine gemeinsame Wertstofferfassung auch auf Grundlage der geltenden Gesetze erfolgreich durchgeführt werden kann«, sagt sie weiter.
Nach den zurückliegenden Kämpfen ist man bei beiden Unternehmen froh, einen gangbaren Modus Vivendi gefunden zu haben. »Lieber ein bestehendes Gesetz, mit dem wir umgehen können, als eine Kompromisslösung, die neue Probleme aufwirft«, heißt es hinter vorgehaltener Hand beim Landesunternehmen.
Die Lage ist verfahren, was auch am Geld liegt. Der Sekundärrohstoffsektor, also Entsorgung und Recycling, ist nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln der wachstumsstärkste Wirtschaftssektor in Deutschland. Von 1995 bis 2009 konnte der Umsatz um 520 Prozent gesteigert werden.
»Die meisten Kommunen sind überhaupt nicht in der Lage, die Wertstoffe selbst einzusammeln.«