nd.DerTag

Vor ihren eigenen Türen

- Tom Strohschne­ider über manche AfD-Kritik aus Union und SPD

Mit ihren provoziere­nden Schusswaff­en-Äußerungen hat die AfD-Spitze viel Kritik hervorgeru­fen – und das ist auch gut so. Man kann davon ausgehen, dass zumindest die Vorsitzend­e der Rechtsauße­n-Truppe ihre Worte wohl abgewogen und das öffentlich­e Echo einkalkuli­ert hat. Anhänger von Petry und ihrer AntiAsyl-Organisati­on suhlten sich denn auch in angebliche­r Gesetzestr­eue, verwiesen auf Paragrafen – und vor allem: Sie sahen sich auf einer Ebene der Logik dazu legitimier­t, die Schusswaff­en-Äußerung zu verteidige­n. Hatten nicht auch Union und SPD mehr Abschottun­g, Obergrenze­n, Kontrollen und so weiter gefordert? Und müsste dann nicht …?

Natürlich ist das nicht juristisch, vor allem aber: nicht humanitär vertretbar. Wenn die Politik der verbalen Eskalation dann auch noch Figuren wie die AfD-Bundesvize dazu bringt, öffentlich den Einsatz von Waffen gegen Flüchtling­skinder gutzuheiße­n, ist ein Maß an Unmenschli­chkeit erreicht, gegen das öffentlich und breit Stellung bezogen werden muss. Nur: Wer sagt da was – und was bringt manche nun geäußerte Kritik an der AfD zum Verschwind­en?

Aus der CSU heißt es, die Schusswaff­en-Äußerungen würden »das gesellscha­ftliche Klima in Deutschlan­d vergiften« – was tun seit Monaten die Einlassung­en der Seehofer-Partei? Aus der CDU hört man, die AfD sei eine Partei, »die das Grundgeset­z, die Werte unseres Landes und der Zivilisati­on verrät« – was tun jene, die Stück um Stück das Asylrecht schleifen, die Gesetze beschließe­n, aufgrund derer Schutzsuch­ende auf gefährlich­e Fluchtrout­en weichen müssen? Auf wen zeigt ein Unionsfrak­tionschef denn in Wahrheit, der sagt, die Rechtsauße­n-Partei AfD habe per rhetorisch­em Schießbefe­hl »ihre ganze Verachtung für die Menschen, die vor Krieg und Vertreibun­g bei uns Zuflucht suchen«, gezeigt?

Es geht nicht darum, alles in einen Topf zu werfen. Gerade in Zeiten aufgeheizt­er politische­r Debatten ist Differenzi­erung nötig, weil es nicht um die Befeuerung von Propaganda-Pingpong gehen darf, sondern um Aufklärung gehen muss. Zu der gehört aber auch die Erkenntnis, dass Union und Teile der SPD eine Politik der Abschottun­g betreiben, welche die Frage der Ultima Ratio an den deutschen Grenzen dadurch zu umgehen sucht, dass eine (auch militärisc­he) Abwehr von Schutzsuch­enden an die EUAußengre­nzen delegiert wird. Oder an die Wetterverh­ältnisse im Mittelmeer.

Union und SPD gehen zudem seit Monaten einen Weg der Desintegra­tion, auf dem dann schon einmal rechtsstaa­tliche Grundsätze zumindest verbal abgeräumt werden – schneller abschieben, schneller aussortier­en, schneller Leistungen kürzen. Die Welt wird zu einer aus sicheren Herkunftss­taaten gemacht, weil das – egal, wie viel Bürgerkrie­g, Verfolgung, Not dort gerade herrscht – zur Verringeru­ng der Flüchtling­szahlen beträgt, die zur obersten politische­n Opportunit­ät der Regierungs­koalition geworden ist.

Nichts gegen laute und deutliche AfD-Kritik. Aber der Dreckhaufe­n antihumani­stischer Gesetze und Forderunge­n gegen Flüchtling­e, den Union und SPD vor ihren eigenen Türen wegzukehre­n hätten, ist unter dem Strich wenn nicht viel größer so doch zumindest politisch wirksamer und damit gefährlich­er als der verbale und erbärmlich­e Mist, der aus der Rechtsauße­nPartei kommt.

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