Verhandelt wird in Genf noch immer nicht
Die Abgesandten der Kontrahenten im Syrien-Krieg testen die andere Seite und den Willen der Großmächte
Vor dem offiziellen Beginn der Syrien-Friedensgespräche in Genf haben sich die Konfliktparteien gegenseitig mit Vorwürfen überhäuft. Gestritten wird unter anderem über Vorbedingungen. Die Friedensverhandlungen zu Syrien sind am Montag mit einwöchiger Verspätung in ihre förmliche Phase treten. Der zeitliche Verzug fällt strategisch nicht ins Gewicht. Schließlich soll es diesmal nicht um die Präsentation von Forderungen gehen – die sind einigermaßen bekannt –, sondern um Wege hin zu einer umfassenden Feuerpause und daraus resultierend zu einem Waffenstillstands-Abkommen. Das braucht nicht Wochen, sondern Monate, und die sind auch veranschlagt.
Alles Weitere wie Übergangsregierung und Wahlen wurden deshalb eigentlich viel zu früh ins Spiel gebracht, ist doch bei anhaltendem Krieg beides ausgeschlossen. Aber den Initiatoren aus Moskau und Washington ging es wohl um die Vision.
Dafür müssen sie aber nun auch etwas tun. Barack Obama und Wladimir Putin sind so etwas wie nicht anwesende Schirmherren der Genfer Zusammenkunft. Verharren sie in der Zuschauerrolle wie das sogenannte Nahostquartett aus EU, Russland, UNO und USA bei den israelisch-palästinensischen Gesprächen, wird es keinen Fortschritt, wohl nicht einmal einen Beginn in Genf geben.
Es war erwartbar, dass beide Seiten Vorbedingungen stellen, also zunächst der Verhandlungssache abträgliche Forderungen auftischen. Das sogenannte Hohe Verhandlungskomitee, die von Saudi-Arabien gestützte und wohl auch ausgesuchte Oppositionsgruppe, ging dabei nicht ungeschickt vor. Noch vor Verhand- lungsbeginn verlangten sie ein »Ende der Luftangriffe auf Zivilisten sowie der Belagerung syrischer Orte durch Regierungstruppen«. Journalisten, die am Montag am Rande der Gespräche in Genf nachfragten, erfuhren aber, dass es allein um die russischen Luftschläge gehe.
Und was die Belagerungen betrifft – genau sie sollen eben in Genf unter anderem Verhandlungsgegenstand sein: eine militärische Entflechtung, wie sie schon in einigen Fällen erfolgreich umgesetzt wurde, so für die drittgrößte Stadt Homs. Ob die Einwohner in den eingekesselten Orten freiwillig ausharren oder von den Rebellen und Söldnermilizen als menschliche Schutzschilde missbraucht werden, wird in Genf nicht zweifelsfrei festgestellt werden können. Aber die Aufgabe der »Belagerung« hieße für die syrische Armee, ihren unter erheblichen Opfern errungenen militärischen Vorteil ohne adäquate Gegenleistung aus der Hand zu geben.
Aber auch die regierungsfeindlichen Milizen könnten das tun, wenn ihnen das Wohl der Zivilisten entsprechend wichtig wäre. Oder sie erklären, warum weitere Vereinbarungen wie in Homs in den von ihnen angesprochenen Orten nicht zustande gekommen sind. Das haben sie bisher nicht getan. Stattdessen drohen ihre Verhandlungsführer erneut mit Abreise, falls ihre Forderungen nicht erfüllt werden.
Die Verhandler der syrischen Regierung geben da bisher ein weit seriöseres Bild ab. Dabei stellen auch sie Forderungen, die als Vorbedingungen im Sinne der Verhandlungssache unakzeptabel sind. Die Abgesandten von Staatspräsident Baschar al-Assad lehnen bestimmte Personen aus der Delegation der Gegenseite als »Terroristen« ab, d. h., sie wollen sich aussuchen, mit wem sie verhandeln.
Nehmen beide Großmächte ihre Absprache vor sechs Wochen immer noch ernst, müssten sie jetzt ihre Verbündeten zwar nicht öffentlich, aber über die vorhandenen diplomatischen Kanäle zurückpfeifen. Obama muss das schon einmal getan haben. Sonst hätten die Riad-Abgesandten ihre am Freitag verkündete Erklärung, zu Hause zu bleiben, wohl kaum ganz kurzfristig revidiert.
Manchmal sagen Leute auch etwas völlig Richtiges zum falschen Zeitpunkt. So funkte am Montag in Genf der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Ra’ad al-Hussein aus Jordanien, mit seiner Drohung dazwischen, die Kriegsverbrecher im Syrien-Konflikt dürften bei einem möglichen Friedensabkommen nicht ungestraft davonkommen. Die angestrebte Kompromissbereitschaft der zweifellos reichlich blutbesudelten Führungen beider Seiten dürfte das nicht gestärkt haben.