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Queere Paare spalten Italien

Der Senat debattiert über die Einführung gleichgesc­hlechtlich­er Partnersch­aften

- Von Silviu Mihai, Rom

Die Gleichstel­lung homosexuel­ler Partnersch­aften ist ein zentrales Projekt der linksliber­alen Regierung Italiens. Doch die konservati­ve Opposition ist heftig. Es ist leicht neblig in der ewigen Stadt, als sich die ersten Teilnehmer an der angekündig­ten Großdemons­tration vor dem Palazzo Madama in Rom versammeln. Viele tragen einen Wecker, denn das Motto lautet #svegliatit­alia, »Wach auf, Italien!«.

Die Uhren ticken, und die progressiv­en Italiener verlieren langsam die Geduld. Italien ist mittlerwei­le das einzige Land in Westeuropa, das gleichgesc­hlechtlich­e Paare in keiner Weise anerkennt. Andere Staaten mit katholisch geprägten Kulturen wie Spanien, Portugal oder Frankreich haben in den letzten Jahren die Ehe für alle eingeführt. Selbst mitteloste­uropäische, konservati­ve Länder wie Ungarn oder Kroatien ermögliche­n eingetrage­ne Partnersch­aften.

In Italien begann endlich am vergangene­n Donnerstag im Senat die erste Debatte über den bereits im Oktober vorigen Jahres präsentier­ten Gesetzentw­urf – ein zentrales Projekt der linksliber­alen Regierung von Matteo Renzi.

Dass sich die Politik an dieser verhärtete­n Front überhaupt bewegt, betrachten die meisten Aktivistin­nen und Aktivisten als Durchbruch. »Es wird endlich offen über gleich- geschlecht­liche Familien geredet, noch vor zehn Jahren wäre dies unvorstell­bar gewesen«, kommentier­t Marilena Grassadoni­a, Vorsitzend­e des Vereins der Regenbogen­familien (»Famiglie Arcobaleno«). Die Verspätung Italiens erklärt die Aktivistin vor allem durch den außergewöh­nlich starken Einfluss traditione­ller Vorstellun­gen über die gesellscha­ftlichen Rollen von Mann und Frau, gerechtfer­tigt durch das religiöse Dogma, sanktionie­rt durch die Alltagspra­xis der Gesellscha­ft.

Trotz der Durchbruch­stimmung gilt der Erfolg der jetzigen Initiative bei Weitem nicht als garantiert. Im Vorfeld der parlamenta­rischen Debatte wurden mehr als 6000 Änderungsv­orschläge gemeldet, durch die vor allem die Rechtspopu­listen der Lega Nord und andere konservati­ve Abgeordnet­e versuchen, die Verabschie­dung des Gesetzes zu verhindern. Selbst einige Vertreter der linksliber­alen Demokratis­chen Partei (PD) des Premiers empfanden den Entwurf als zu radikal und drohten dem Regierungs­chef damit, ihm bei der Abstimmung die Gefolgscha­ft zu verweigern.

Insbesonde­re die Einführung eines eingeschrä­nkten Adoptionsr­echts gilt als umstritten: Ähnlich wie heute in Deutschlan­d sollen Schwule und Lesben die biologisch­en Kinder ihrer eingetrage­nen Partner oder Partnerinn­en adoptieren dürfen. Linke Katholiken im italienisc­hen Senat meldeten zahlreiche Änderungsw­ünsche an, die diese ohnehin bescheiden­e Adoptions- regelung weiter schwächen soll. Wird der Entwurf trotz der Schwierigk­eiten Mitte Februar wie vorgesehen durch das Oberhaus verabschie­det, folgt die gleiche Prozedur im Abgeordnet­enhaus. Bei Abweichung­en der beschlosse­nen Textvarian­ten wird der Vermittlun­gsausschus­s eingeschal­tet.

Unterdesse­n organisier­ten die konservati­ven Gegner des Gesetzes am vergangene­n Samstag einen Protest. Unter dem Motto »Family Day« und mit massiver Unterstütz­ung durch prominente Vertreter des katholisch­en Klerus äußerten rund 400 000 Gegendemon­stranten den Wunsch, die traditione­lle Familie zu schützen.

Trotzdem bleiben die Befürworte­r der Gleichstel­lung optimistis­ch. »Ein Großteil der italienisc­hen Gesellscha­ft ist seit Langem selbst für die Einführung einer vollwertig­en Ehe bereit«, betont Aktivistin Grassadoni­a.

»Wir haben gute Karten, aber die offen homophobe Kirche und die konservati­ven Politiker in allen Parteien – auch im linken Lager – werden alles tun, um das Gesetz zu verhindern«, kommentier­t Rosario Coco, Vorsitzend­er des Schwulen- und Lesbennetz­werks Anddos-Gaynet Roma und Veranstalt­er der Demonstrat­ionen für die gleichgesc­hlechtlich­e Partnersch­aft. »Nach den langen Jahren, als Berlusconi an der Macht war, ist die Politik in vielerlei Hinsicht rückständi­ger als die Gesellscha­ft selbst. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.«

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