Historischer Machtwechsel in Myanmar
Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi nach 26 Jahren endlich am Ziel / Spekulationen im Präsidentenwahl
In Myanmar hat 26 Jahre nach ihrem überwältigenden und vom Regime später annullierten Wahlsieg von 1990 Aung San Suu Kyi die Führung der neuen Regierung übernommen. »Ich hätte nie zu träumen gewagt, dass unsere Partei einmal die Regierung bilden wird«, freute sich Khin Maung Myint, Abgeordneter der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) zum Auftakt der historischen Parlamentssitzung am Montag in Myanmar. »Dies jetzt ist wie ein Schock für uns und auch die Welt.«
Der Machtwechsel, an dem Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi nie zweifelte, ist zwei Monate nach dem Erdrutschsieg ihrer NLD in der vormaligen Militärdiktatur Myanmar Wirklichkeit geworden. Dabei stand die Parteiführerin anderthalb Jahrzehnte unter Hausarrest und die herrschende Junta versuchte, die »Lady« mit allen Mitteln zum Schweigen zu bringen.
Doch in den vergangenen fünf Jahren, seit die Militärs auf den Übergang zu einer Zivilregierung mit Wahlen hinarbeiteten, verstand es Suu Kyi, mit größtem politischen Geschick auf die Herrschenden immer genügend Druck auszuüben. Zugleich konnte sie die Militärs in den Öffnungsprozess einbinden.
Hunderte Abgeordnete, die meisten von Suu Kyis NLD, versammelten sich Montag im Parlament in der Hauptstadt Naypyidaw, um die erste demokratisch gewählte Regierung seit mehr als einem halben Jahrhundert zu bestimmen. Trotz des Machtwechsels und klarer Parteidominanz, ist Suu Kyi noch immer nicht ganz am Ziel. Sie sollte als Führerin der stärksten Partei Präsidentin Myanmars werden. Doch dem schoben die Generäle den Riegel vor. Die Landesführung ist seither per Verfassungsklausel Staatsbürgern ohne Kinder mit ausländischer Staatsbürgerschaft vorbehalten – Suu Kyis hat zwei Söhne mit ihrem 1999 verstorbenen britischen Ehemann Michael Aris.
Schon vor den Wahlen orakelte Suu Kyi, im Falle eines Wahlsiegs »über dem Präsidenten« zu stehen. Womöglich lässt sie ihren langjährigen persönlichen Arzt Tin Myo Win zum Landesführer küren. Vergangene Woche erschien er an ihrer Seite bei einem Spitzentreffen mit Armeechef Min Aung Hlaing.
Im Land wurde spekuliert, in letzter Minute könnte noch ein Kompromiss per Verfassungsänderung geschlossen werden. Wahrscheinlicher scheint, dass ein auch den Streitkräften genehmer Kandidat der Mitte die Stabilität wahren soll, während die NLD an einer Verfassungsänderung arbeiten wird. Die Uniformier- ten kontrollieren ein Viertel der Sitze, das erschwert das Vorhaben.
Doch der historische Tag in Myanmar gehörte ganz der 70-jährigen Demokratieführerin. Alle Augen waren auf die Frau gerichtet, die sich seit ihrer Freilassung für ein Ende der Sanktionen gegen das ehemalige Burma aussprach und damit auch den Weg für die Wiederaufnahme des Landes in die internationale Gemeinschaft ebnete. Suu Kyi wurde zu einer Ikone von Freiheit und Demokratie. Doch die Machtübernahme vor Augen, nahm sie die verfolgte Rohingya-Minorität nicht so in Schutz, wie dies von einer Führerin der Verfolgten und Verstoßenen erwartet worden wäre. Suu Kyi musste sich Vorwürfe gefallen lassen, sie unterstütze Apartheid im eigenen Land. Diese »dunkle Seite« der Heldin kratzte im Ausland an ihrem Glanz, nicht aber in ihrer Heimat, wo die NLD 77 Prozent der Sitze errang.
Der am Freitag abgetretene ehemalige Präsident Thein Sein, nach dessen Wahl 2011 Suu Kyi freigelassen worden war, sicherte der neuen Regierung volle Unterstützung zu. Mitglieder der alten Regierung würden mit der »nächsten Regierung kooperieren, um dem Land Frieden und Entwicklung zu bringen«, so Thein Sein.
Myanmars neuer Präsident soll in der zweiten Februarwoche bestimmt werden.