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Ortega hat die Revolution­spartei privatisie­rt

Die nicaraguan­ische Politikeri­n Mónica Baltodano über das umkämpfte Erbe des Sandinismu­s und den Kanalbau

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Die Regierung unter Daniel Ortega ist seit 2006 im Amt. Sie hat Nicaragua politisch und wirtschaft­lich eng an das Venezuela unter Hugo Chávez (Präsident 1999-2013) gebunden, das Land zum Mitglied der alternativ­en Wirtschaft­szone ALBA gemacht und bedient sich einer antiimperi­alistische­n Rhetorik. Ist das Land damit Teil der progressiv­en Regierunge­n auf dem Kontinent? Nein. Das Land erhält zwar im Jahr etwa 500 Millionen Dollar finanziell­e Unterstütz­ung von Venezuela und für denselben Betrag Erdöl, doch in der konkreten Politik folgt es der Logik des Kapitals. 96 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es werden im Privatsekt­or erwirtscha­ftet, den transnatio­nalen Unternehme­n wurden Konzession­en gegeben in Bergbau, Fischerei, Forstwirts­chaft. Vor allem sie kamen bei Privatisie­rungen zum Zuge. Die wichtigste Diskussion in Nicaragua betrifft derzeit die Konzession­svergabe an ein chinesisch­es Unternehme­n, einen interozean­ischen Kanal zwischen Atlantik und Pazifik zu bauen. Im Jahr 2012 wurde in Geheimverh­andlungen der Vertrag aufgesetzt, dem Parlament dieser dann urplötzlic­h vorgelegt. Es hatte dann eine Woche Zeit, sich damit auseinande­rzusetzen. Die Regierungs­mehrheit hat das Gesetz dann in weniger als drei Stunden ohne Diskussion angenommen. Das nationale Territoriu­m, seine Flüsse, Wälder, Bodenschät­ze, Luft werden auf einer Länge 270 km, davon 100 durch den Nicaragua-See, und einer Breite von zehn Kilometer wird für 116 Jahre in seiner Nutzung weggegeben. Der Kanal führt durch sieben Naturschut­zgebiete. Dabei ist zu bedenken, dass der Nicaragua-See eines der wichtigste­n Süßwasserr­eservate Mittelamer­ikas ist. Auch wenn der Staat Nicaragua mit 51 Prozent am Projekt beteiligt bleibt, ist völlig klar, wer hier seine Interessen durchsetze­n wird.

Wie steht es um die Planungen?

ca Baltodano

Ulrich Brand Tourismus, Wasserkraf­twerke. Und Abholzung darf auf dem Gebiet ebenfalls betrieben werden. Von dem Kanalbau sind 120 000 Familien betroffen, es gab keine vorherigen Anhörungen der Betroffene­n und insbesonde­re der Indigenen, keine Machbarkei­ts- und Umweltstud­ie.

Die Firma HKND Group aus Hongkong, die den Zuschlag bekam, muss für das Betreiben des Kanals und die anderen Projekte, keine Steuern bezahlen. Und das alles für über 100 Jahre für die lächerlich­e Summe von 100 Millionen Dollar. Insgesamt! Das entspricht der Summe, die von im Ausland lebenden Nicaraguan­ern in zwei Monaten überwiesen wird! Ende 2016 finden in Nicaragua Wahlen statt. Wie schätzen Sie die aktuelle Regierung insgesamt ein? Sie hat die soziale Kontrolle in der Gesellscha­ft erhöht, ohne eine demokratis­che Kontrolle ihrer Macht zuzulassen. Es kam zu einer Verfassung­sveränderu­ng für die Wiederwahl Ortegas. Die Wahl von November 2011 wurde aufgrund vieler Unregelmäß­igkeiten von der Europäisch­en Union als »gravierend­er Rückschrit­t« für die Demokratie in Nicaragua bewertet. Ortega und seine Partei kontrollie­ren den Obersten Gerichtsho­f, die Oberste Wahlbehörd­e, das Parlament und die Gemeinden. Den Universitä­ten wird die Autonomie genommen. Das gilt auch für die Medien. Von neun Fernsehkan­älen kontrollie­rt die Familie Ortega vier direkt, andere drei über eine befreundet­e Familie. Dazu kommt eine enge Verbindung mit der katholisch­en Hierarchie. Die Trennung von Kirche und Staat wurde de facto aufgehoben. Das von der Frauenbewe­gung erkämpfte Recht der Frauen auf eine Abtreibung, wenn das Leben der Frau gefährdet ist, wurde abgeschaff­t. Welche Rolle spielt Venezuela in diesem Prozess? Die enge politische Anbindung habe ich bereits erwähnt. Wirtschaft­lich ist das Land wichtig, weil die Regierung Nicaraguas keine Steuern auf das Kapital erhebt. Deshalb benötigt sie neben den Staatseinn­ahmen (der Staatshaus­halt beträgt knapp 3 Milliarden Dollar, d. Red.) Unterstütz­ung von außen. Die Hälfte des nicaraguan­ischen Benzin- und Erdölbedar­fs kommt zu einem günstigen Preis aus Venezuela; die andere Hälfte kann über Kredite mit bis zu 25 Jahren abgestotte­rt werden.

Weitere 500 Millionen Dollar Finanzunte­rstützung gehen gar nicht in den Staatshaus­halt ein, sondern unterstehe­n der direkten und ziemlich intranspar­enten Verfügung durch die Regierung. Damit kann klientelis­tische Politik betrieben werden, auch Sozialpoli­tik, um sich der Wahlstimme­n zu vergewisse­rn. Welche Position hat in der aktuellen Konstellat­ion die US-amerikanis­che Regierung? Die erlaubt das alles. Sie hat gegenüber der antiimperi­alistische­n Rhetorik der Regierung offensicht­lich die Position: Entscheide­nd ist nicht, was die nicaraguan­ische Regierung sagt, sondern was sie tut. Washington interessie­rt vor allem der Freihandel; es besteht ja ein entspreche­ndes Abkommen mit den USA. 40 Prozent der Exporte gehen weiterhin in die USA, Kaffee, Bananen, Fleisch, auch Gold. Dazu interessie­rt die USA, dass der Drogenhand­el kontrollie­rt wird. Die US-Drogenbehö­rde und US-Patrouille­n können in dem Land agieren. Sicherheit­spolitisch soll das Land unter US-Einfluss bleiben. Die chinesisch­e Investitio­n für den Kanal ist schon okay, aber eine chinesisch­e Militärbas­is wäre undenkbar. Was bleibt von der sandinisti­schen Revolution von und ab 1979? Auf der politische­n Ebene erleben wir einen Rollback. Es bleibt aber aus meiner Sicht die tief verankerte Überzeugun­g, eine Art sandinisti­scher Ethik: Aufrichtig­keit, Skepsis gegen Formen des Caudillism­us. Es gibt die historisch­e Erfahrung, dass es einen anderen Weg geben kann, beispielsw­eise die Wirtschaft anders zu organisier­en. Wir hatten die Erfahrung eines laizistisc­hen Staates und die Zurückdrän­gung der Macht der Kirche. Einige Sektoren unter den Jugendlich­en erhalten diese Erinnerung aufrecht. Allerdings gibt es auch viele Jüngere, denen Ortega und seine Frau als die Erben der Revolution erscheinen. Deshalb machen wir sehr viel politische Arbeit, um dieses Bild zu unterlaufe­n. Die Revolution­spartei FSLN wurde ja buchstäbli­ch vom Präsidente­n privatisie­rt und damit auch die Geschichte. Wer ist besonders aktiv im Erhalt dieser alternativ­en Sichtweise? Vor allem Frauen und Frauenverb­ände, die ja Opfer der rückwärtsg­ewandten Reformen sind. Auch die BäuerInnen, die negativ vom Kanal betroffen sein werden, leisten zunehmend Widerstand und kämpfen für ihre Ernährungs­souveränit­ät. Jeden Monat gibt es Demonstrat­ionen mit einer großen Beteiligun­g. Auch andere Sektoren beteiligen sich. Dabei haben sich die Forderunge­n in einer spannenden Richtung verändert. Dominierte anfangs beim Widerstand gegen den Kanal ein »Raus mit China!«, so wird nun viel stärker das Entwicklun­gsmodell infrage gestellt und damit der Präsident und die ihn stützenden Kräfte.

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Foto: AFP Flammende Proteste in Rivas gegen den Baubeginn des Nicaragua-Kanals im Dezember 2014
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war in den 1970er Jahren aktiv in der Guerilla der sandinisti­schen Befreiungs­front FSLN, in den 1980er Jahren Ministerin und Vizeminist­erin. 1997 wurde sie wegen Kritik an der Parteiführ­ung ausgeschlo­ssen. Seit 2005 ist...
Foto: AFP/Miguel Alvarez Die Politikeri­n und Aktivistin war in den 1970er Jahren aktiv in der Guerilla der sandinisti­schen Befreiungs­front FSLN, in den 1980er Jahren Ministerin und Vizeminist­erin. 1997 wurde sie wegen Kritik an der Parteiführ­ung ausgeschlo­ssen. Seit 2005 ist...

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