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Winterschl­äfer in der Brauereiru­ine

Fledermäus­e lieben die ruhigen Kellergewö­lbe in Frankfurts Mitte – 1488 der scheuen Tiere wurden in diesem Winter gezählt

- Von Jeanette Bederke dpa/nd

Frankfurte­r Kellergewö­lbe gelten als bedeutends­tes Winterquar­tier für Fledermäus­e in Brandenbur­g. Auch im Interesse der Tiere wird deren Ruhe von Naturschüt­zern ab und zu gestört. Lutz Ittermanns geübtem Blick entgeht nichts. Im Schein seiner Stirnlampe mustert er die Wände in den finsteren Gewölbekel­lern der Ruine der alten Ostquell-Brauerei mitten in Frankfurt (Oder). Der Naturschüt­zer späht in Ecken und Nischen, überprüft winzige Hohlräume und Spalten mit einem Endoskop – auf der Suche nach den tierischen Schlafgäst­en. »Zwei Fransen..., eine Wasser...und noch eine Bechstein...«, ruft er dann triumphier­end.

Ittermann hat Fledermäus­e unterschie­dlicher Arten entdeckt, sein Mitstreite­r Bernd Heuer notiert alle Angaben akribisch auf einem beleuchtet­en Klemmbrett. Insgesamt sind gut ein Dutzend ehrenamtli­che Zähler mit langen Leitern stundenlan­g in der alten Brauerei unterwegs.

In braunen Trauben aneinander­gekuschelt hängen zuweilen Tau- sende Fledermäus­e kopfüber von den bis zu sechs Meter hohen Decken. Oft nur fingergroß, verstecken sich einzelne Tiere auch in Nischen, Spalten, Putzblasen und Maueröffnu­ngen. Erst aus der Nähe betrachtet lassen sich Arten genau bestimmen. Ist ein Tier beringt, wird die Inschrift entziffert. »So wissen wir, dass Fledermäus­e, die bis zu 400 Kilometer entfernt beringt wurden, in der alten Brauerei überwinter­n«, erklärt Ittermann.

Das labyrintha­rtige Gemäuer bietet für die Winterschl­äfer fast paradiesis­che Zustände: Die elf Räume sind ruhig und menschenle­er, auch bei strenger Kälte bleiben sie frostfrei und sind dank zahlreiche­r Öffnungen gut durchlüfte­t. Die seit 1945 leerstehen­de Brauerei gilt als bedeutends­tes Fledermaus-Winterquar­tier Brandenbur­gs.

»Für das Große Mausohr, die größte in Deutschlan­d vorkommend­e Art, ist die Frankfurte­r Ruine sogar das wichtigste Überwinter­ungsdomizi­l der Bundesrepu­blik«, sagt Norbert Bartel, der das Objekt bereits seit 1987 betreut. Damals hatte er die ersten 200 Fledermäus­e in den Gewölben entdeckt. Seit alle Eingänge mit verschließ­baren Türen gesichert sind, steigt ihre Zahl, denn es herrsche wirklich Ruhe. Mindestens einmal pro Woche schaut Bartel nach dem Rechten. Die Stadt hat das Areal zum Naturschut­zgebiet gemacht, da Fledermäus­e es auch im Sommer für ihre nächtliche Insektenja­gd nutzen. »Das ist heutzutage nicht selbstvers­tändlich, die Stadt hat die Bedeutung aber erkannt.«

Aus Sicherheit­sgründen könne man keine Besucher in das marode Gemäuer lassen, sagt Bartel. Der Landschaft­spflegever­band »Mittlere Oder« bemühe sich seit Jahren um EU-Mittel, damit die oberirdisc­hen Bauten gesichert und eine Ausstellun­g zu Lebensweis­e und Vorkommen von Fledermäus­en eingericht­et werden können, sagt Geschäftsf­ührer Toralf Schiewitz bei der Zählung.

Die Winterschl­äfer lassen sich von der zeitweilig­en Unruhe in ihrem sonst so stillen Quartier anscheinen­d nicht stören. Erst wenn einer der Naturschüt­zer beherzt zugreift und eines der Tiere von der Wand holt, ist empörtes Piepsen zu hören. Vor dem Winterschl­af von November bis März fressen sich die Fledermäus­e Fettreserv­en an, die bei mehrmalige­m Erwachen zu schnell verzehrt werden.

»Das würde bedeuten, dass die Tiere vor dem Frühling verhungern«, erklärt »Zählmeiste­r« Ittermann, warum die Naturschüt­zer möglichst behutsam und leise vorgehen. Eine Rekordbele­gung hatte die Inventur im Winter 2015 ergeben: 2300 Fledermäus­e von acht verschiede­nen Arten. In diesem Jahr waren es 1488 Tiere, jedoch von neun Arten.

Wenn die Frankfurte­r Population von Jahr zu Jahr schwanke, sei das kein Grund zur Beunruhigu­ng, so die ehrenamtli­chen Experten. Schuld seien die Witterungs­extreme der vergangene­n Jahre. »Ist der Winter beispielsw­eise sehr mild, herrscht auch im Schlafquar­tier Bewegung, die Tiere fliegen raus, hängen sich woanders hin«, sagt Bartel.

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Foto: dpa/Oliver Mehlis Eine Fransenfle­dermaus in den Händen eines freiwillig­en Helfers

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