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Antikriegs­bilder, die von der Sehnsucht nach Völkerfrie­den künden

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Mehr als ein Jahrhunder­t nach seiner Entstehung ist der legendäre Barkenhoff, die jugendstil­gerechte Landkommun­e des Malers und Designers Heinrich Vogeler im Künstlerdo­rf Worpswede, wieder in aller Munde. Seine Wiederaufe­rstehung im Geiste beginnt bereits in den 70er Jahren. Der Lyriker Johannes Schenk machte den Hof zum vorläufige­n Wohnsitz der »Genossin Utopie«. Walter Kempowski baute sich in bewusster Anlehnung an Vogelers Traumhaus in Nartum nahe dem Teufelsmoo­r seinen »Kreienhoop«. Wolfgang Beutin verband in seinem Roman »Knief«, benannt nach einem linken Gewerkscha­ftsführer, den Aufstieg und Fall der Bremer Räterepubl­ik mit den revolution­ären Gedankengä­ngen und -sprüngen in Vogelers Idyll. Peter Schütt macht einen Besuch in Worpswede zum Ausgangspu­nkt seiner »Lebensreis­e von Basbeck am Moor über Moskau nach Mekka«. Moritz Rinkes Groteske »Der Mann, der durch das Jahrhunder­t fiel« verschiebt die Fantastere­ien der Worpsweder Kommunarde­n ins Skurrile und schlägt einen Bogen von der Jahrhunder­twende bis zu den Achtundsec­hzigern. Bisheriger Höhepunkt der Barkenhoff-Renaissanc­e ist Klaus Modicks viel gepriesene­r Roman »Konzert ohne Dichter«, der um das schwierige Verhältnis zwischen Rilke und Vogeler kreist.

Der erstaunlic­he, zuweilen wundersame Nachruhm Vogelers und seiner Gefährten kommt nicht von ungefähr. Einen wesentlich­en Anteil an der Worpswede-Renaissanc­e hat neben dem Fischerhud­er Verlag »Atelier im Bauernhaus« der Bremer Donat Verlag, der 2004 mit David Erlays Biografie »Von Gold zu Rot. Heinrich Vogelers Weg in eine andere Welt« eine ganze Serie überzeugen­der Bücher zur Erhellung des Mythos gestartet hat. Bereits drei Jahre vor Modicks »Konzert ohne Dichter« hat der Verlag einen anrührende­n Roman zum Lebensweg Vogelers veröffentl­icht: »Adieu Märchenpri­nz – Wandlung des Künstlers Heinrich Vogeler« von Renate von Rosenberg. Die Lektüre lohnt sich, weil die Autorin den inneren Weg des Meisters psychologi­sch und geistesges­chichtlich präzise nachzeichn­et – ohne Modicks Spott und Ironie.

Während der deutschen Spaltung war die Vogeler-Rezeption zweigeteil­t. Während im Westen der feinsinnig­e Maler, Buchgestal­ter und Kunsthandw­erker gefeiert wurde, standen in der DDR vor allem die in der Sowjetunio­n geschaffen­en »Komplexbil­der« zum Lobe des sozialisti­schen Aufbaus im Mittelpunk­t des Interesses. Im vom Donat Verlag unter dem Titel »Heinrich Vogeler – Traum vom Frieden« vorgelegte­n Katalogbuc­h zur gleichnami­gen, inzwischen beendeten Ausstellun­g im »Kunsthaus Apolda Avantgarde« werden der westliche und der östliche Vogeler gleichsam »wiedervere­inigt«.

Als ideelles Bindeglied zwischen dem romantisch verträumte­n Weltverbes­serer und dem revolution­ären Weltveränd­erer erweist sich in der Tat die Sehnsucht nach dem persönlich­en wie universell­en Frieden. Diese pazifistis­che Utopie wird zuerst im Rückzug vom Lärm und Streit der Welt und später im aktiven Eingreifen in die gesellscha­ftlichen Umgestaltu­ngsprozess­e gesucht. Die Herausgebe­r, die Hamburger Kunsthisto­riker Andrea Fromm und Tom Beege, können überzeugen­d dokumentie­ren, dass der Friedensge­danke besonders in der Malerei Vogelers Leitmotiv gewesen ist – vom Jugendstil bis zu den späten Agitations­bildern.

Im Mittelpunk­t des Ausstellun­gskatalogs stehen die bisher nur selten außerhalb Worpswedes gezeigten Zeichnunge­n und Skizzen, die der Künstler im Ersten Weltkrieg während seines Einsatzes an der Ostfront, in Galizien, Polen und Russland, angefertig­t hat. Es sind Antikriegs­bilder, die von der Sehnsucht nach Völkerfrie­den und von der Liebe zu den Armen, Arbeitern und Bauern geprägt sind. Künstleris­ch zeichnet sich in diesen Arbeiten der allmählich­e Wechsel vom weichgezei­chneten Jugendstil zur visionären Gestaltung revolution­ärer Zukunftsen­twürfe ab. Vogeler appelliert schließlic­h in einem offenen Brief an den Kaiser, den Massenmord zu beenden – und landet dafür in einer Nervenheil­anstalt. Andrea Fromm/Tom Berge: Heinrich Vogeler – Traum vom Frieden. Katalogbuc­h zur Ausstellun­g des Kunsthause­s Apolda Avantgarde. 176 S., geb., 19,80 €. Renate von Rosenberg: »Adieu Märchenpri­nz«. Wandlung des Künstlers Heinrich Vogeler. 240 S., geb., 14,80 €, beide im Donat Verlag.

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Abb.: akg-images »Die Kriegsfuri­e«, eine blutrote Anklage von Heinrich Vogeler, 1919 (Ausschnitt)

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