Die neue Sau der Stunde
Irgendwann kommen sie alle wieder: Udo Jürgens, Blur, LCD Soundsystem. Und jetzt auch noch die Britpop-Band Suede
Neulich, in der Trara-Sendung »Tracks« auf Arte, plauderte Brett Anderson nicht nur über das Leben, sein Vaterdasein, die heutige Generation und die zwar wilden, aber naiven Party-90er, sondern auch über den persönlichen Stellenwert des neuen Suede-Albums »Night Thoughts«. Der Sänger und Kopf der reifen Britpopband erzählte, die frühen Suede, also die mit den verletzlich-glamourösen Schmachtheulern »So Young« und »Animal Nitrate«, wären verdammt glücklich gewesen, wenn sie damals in der Lage gewesen wären, ein derart komplexes Album wie »Night Thoughts« zu produzieren.
Nun kann man natürlich nicht wissen, ob der junge Brett dem alten Brett überhaupt zugehört hätte, schließlich war 1992/1993 gerade »Suedemania« im Vereinigten Königreich; der um superlativische Lobeshymnen für heimische Bands selten verlegene »New Musical Express« verkündete den »Triumph aristokratisch-dekadenter Dandys über den Proletenpop«. Ja, Suede, 1989 in London gegründet, hatten einen ziemlich coolen ersten Lauf, als ihr stark an den 70er Jahren orientiertes Debütalbum (»Suede«) erschien. Was freilich nichts daran änderte, dass bereits ein Jahr später Blur und Oasis mehr Aufmerksamkeit einheimsten als der sowohl gesangstechnisch wie auch in Sachen Appetitlosigkeit und Rauschmittelaffinität stark an Bowie erinnernde Anderson und seine in den Folgejahren musikalisch immer orientierungsloser agierenden Mitstreiter. In Deutschland konnte man den Wirbel um Suede ohnehin nie so recht nachvollziehen. Alles nur geklaut und viel zu theatralisch.
Im Jahr 2003 war nach einer ziemlich langen Zeit zerknirschter Erfolglosigkeit dann auch erst mal Schluss mit Suede – sie hatten sich und der Welt musikalisch rein gar nichts mehr zu sagen. Aber wie das so ist, irgendwann kommen sie ja doch alle wieder, Udo Jürgens, Blur, LCD Soundsystem. Und Suede. »Bloodsports« aus dem Jahr 2013 war dann allerdings nicht der mediale Knaller, den sich die Urmitglieder, Bassist Mat Osman und Anderson, erhofft hatten. Kein Vergleich jedenfalls mit dem Riesentamtam um »Night Thoughts«, das, so gesehen, ihr richtiges Comeback-Album ist.
Entsprechend gut gelaunt turnen Anderson und Osman derzeit durch die Medien, geben Interviews, was das Zeug hält, vorzugsweise über das relativ konzeptuell gehaltene neue Album, wo viel über Einsamkeit, das Altern, allerlei Ängste oder den guten alten Tod sinniert wird – Nachtgedanken halt. Oder sie reden über die Freiheiten, die man jetzt im Alter von 50 Jahren endlich habe, wenn keiner mehr den nächsten Weltmeisterhit erwarte. Durchzuhören sei die Platte natürlich unbedingt am Stück, sonst erschlösse sich ihr tieferer Sinn nicht.
Leider ist das gar nicht so leicht. Abgesehen von der (möglicherweise ohnehin eher zweifelhaften) Freude des Wiederhörens des bisweilen wie in Wurstpelle gepressten dauerdramatischen Glamourgesangs Andersons, dessen Altersweisheit sich also keineswegs in einem weniger pathetischen Vortrag niederschlägt, ist für den weniger nostalgisch begabten Hörer das Album vor allem An- lass für folgende Frage: Am Stück durchhören, puh, muss das unbedingt sein?
Denn, was gibt’s zu hören? Reichlich uncharmanten 08/15-Poprock aus der Dramaschool mit U2- und The-Killers-Anmutung. Häufiger als für empfindsame Ohren und den musikalischen Verstand gut sein können, hören wir – gleichzeitig – übersatte, gern heftig schluchzende Streicher, salvenweise waidwunde Pathos-Gitarren bzw. extrem ausgenudelte Riffs auf gespreizten Beinen, ein wahrlich uninspiriertes Immer-festedrauf-Mainstreamrockschlagzeug, allerlei halbgare Soundspielereien für die melancholisch-düstere Atmo – und bis auf das pulsierende »No Tomorrow«, das eine hübsche hypnotische Hookline hat, kaum einen Song, den es zweimal zu hören lohnt, geschweige denn einen echten SuedeHit. Tja. Was soll man dazu sagen? Vielleicht: Wozu das ganze Theater? Obwohl das im Grunde die falsche Frage ist. Schließlich braucht es ständig neue Säue für den Schweinsgalopp durch die Gassen des Pop. Und die Sau der Stunde heißt eben gerade Suede.