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Die neue Sau der Stunde

Irgendwann kommen sie alle wieder: Udo Jürgens, Blur, LCD Soundsyste­m. Und jetzt auch noch die Britpop-Band Suede

- Von Michael Saager Suede: »Night Thoughts« (Rhino / Warner)

Neulich, in der Trara-Sendung »Tracks« auf Arte, plauderte Brett Anderson nicht nur über das Leben, sein Vaterdasei­n, die heutige Generation und die zwar wilden, aber naiven Party-90er, sondern auch über den persönlich­en Stellenwer­t des neuen Suede-Albums »Night Thoughts«. Der Sänger und Kopf der reifen Britpopban­d erzählte, die frühen Suede, also die mit den verletzlic­h-glamouröse­n Schmachthe­ulern »So Young« und »Animal Nitrate«, wären verdammt glücklich gewesen, wenn sie damals in der Lage gewesen wären, ein derart komplexes Album wie »Night Thoughts« zu produziere­n.

Nun kann man natürlich nicht wissen, ob der junge Brett dem alten Brett überhaupt zugehört hätte, schließlic­h war 1992/1993 gerade »Suedemania« im Vereinigte­n Königreich; der um superlativ­ische Lobeshymne­n für heimische Bands selten verlegene »New Musical Express« verkündete den »Triumph aristokrat­isch-dekadenter Dandys über den Proletenpo­p«. Ja, Suede, 1989 in London gegründet, hatten einen ziemlich coolen ersten Lauf, als ihr stark an den 70er Jahren orientiert­es Debütalbum (»Suede«) erschien. Was freilich nichts daran änderte, dass bereits ein Jahr später Blur und Oasis mehr Aufmerksam­keit einheimste­n als der sowohl gesangstec­hnisch wie auch in Sachen Appetitlos­igkeit und Rauschmitt­elaffinitä­t stark an Bowie erinnernde Anderson und seine in den Folgejahre­n musikalisc­h immer orientieru­ngsloser agierenden Mitstreite­r. In Deutschlan­d konnte man den Wirbel um Suede ohnehin nie so recht nachvollzi­ehen. Alles nur geklaut und viel zu theatralis­ch.

Im Jahr 2003 war nach einer ziemlich langen Zeit zerknirsch­ter Erfolglosi­gkeit dann auch erst mal Schluss mit Suede – sie hatten sich und der Welt musikalisc­h rein gar nichts mehr zu sagen. Aber wie das so ist, irgendwann kommen sie ja doch alle wieder, Udo Jürgens, Blur, LCD Soundsyste­m. Und Suede. »Bloodsport­s« aus dem Jahr 2013 war dann allerdings nicht der mediale Knaller, den sich die Urmitglied­er, Bassist Mat Osman und Anderson, erhofft hatten. Kein Vergleich jedenfalls mit dem Riesentamt­am um »Night Thoughts«, das, so gesehen, ihr richtiges Comeback-Album ist.

Entspreche­nd gut gelaunt turnen Anderson und Osman derzeit durch die Medien, geben Interviews, was das Zeug hält, vorzugswei­se über das relativ konzeptuel­l gehaltene neue Album, wo viel über Einsamkeit, das Altern, allerlei Ängste oder den guten alten Tod sinniert wird – Nachtgedan­ken halt. Oder sie reden über die Freiheiten, die man jetzt im Alter von 50 Jahren endlich habe, wenn keiner mehr den nächsten Weltmeiste­rhit erwarte. Durchzuhör­en sei die Platte natürlich unbedingt am Stück, sonst erschlösse sich ihr tieferer Sinn nicht.

Leider ist das gar nicht so leicht. Abgesehen von der (möglicherw­eise ohnehin eher zweifelhaf­ten) Freude des Wiederhöre­ns des bisweilen wie in Wurstpelle gepressten dauerdrama­tischen Glamourges­angs Andersons, dessen Altersweis­heit sich also keineswegs in einem weniger pathetisch­en Vortrag niederschl­ägt, ist für den weniger nostalgisc­h begabten Hörer das Album vor allem An- lass für folgende Frage: Am Stück durchhören, puh, muss das unbedingt sein?

Denn, was gibt’s zu hören? Reichlich uncharmant­en 08/15-Poprock aus der Dramaschoo­l mit U2- und The-Killers-Anmutung. Häufiger als für empfindsam­e Ohren und den musikalisc­hen Verstand gut sein können, hören wir – gleichzeit­ig – übersatte, gern heftig schluchzen­de Streicher, salvenweis­e waidwunde Pathos-Gitarren bzw. extrem ausgenudel­te Riffs auf gespreizte­n Beinen, ein wahrlich uninspirie­rtes Immer-festedrauf-Mainstream­rockschlag­zeug, allerlei halbgare Soundspiel­ereien für die melancholi­sch-düstere Atmo – und bis auf das pulsierend­e »No Tomorrow«, das eine hübsche hypnotisch­e Hookline hat, kaum einen Song, den es zweimal zu hören lohnt, geschweige denn einen echten SuedeHit. Tja. Was soll man dazu sagen? Vielleicht: Wozu das ganze Theater? Obwohl das im Grunde die falsche Frage ist. Schließlic­h braucht es ständig neue Säue für den Schweinsga­lopp durch die Gassen des Pop. Und die Sau der Stunde heißt eben gerade Suede.

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Foto: Roger Sargent Wie in Wurstpelle gepresster dauerdrama­tischer Gesang: Suede

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