nd.DerTag

»Ich spreche fünf Sprachen«

Twitter-Kampagne in Großbritan­nien gegen Integratio­nspläne für muslimisch­e Frauen

- Von Fabian Köhler dpa/nd

Venedig. Mit dem traditione­llen »Volo dell'Angelo« (Engelsflug) ist am Sonntag der Karneval in Venedig offiziell eröffnet worden. An einem Seil gesichert, schwebte die als Engel verkleidet­e 19-jährige Irene Rizzi vom 99 Meter hohen Glockentur­m Campanile herab auf den Markusplat­z. Sie war im vergangene­n Jahr zur Karnevalsk­ö- Sind muslimisch­e Frauen »traditione­ll unterwürfi­g«? Das zumindest meint Großbritan­niens Premier David Cameron. Zum Unmut vieler britischer Musliminne­n. Die antwortete­n zehntausen­dfach auf Twitter. Die Geschichte dieses Twitter-Sturms begann ganz harmlos: 20 Millionen Pfund wollte die britische Regierung in Sprachkurs­e und Schulen investiere­n, versprach Premiermin­ister David Cameron vergangene Woche. Keine schlechte Sache, wären Geld und die außerdem eingeführt­en verpflicht­enden Sprachtest­s für jene Bevölkerun­gsgruppen des Vereinigte­n Königreich­es gedacht gewesen, die tatsächlic­h etwas Englisch-Nachhilfe gebrauchen können: Flüchtling­e, Analphabet­en oder Schotten zum Beispiel.

Stattdesse­n verpflicht­ete die britische Regierung muslimisch­e Frauen zum Sprachtest, schließlic­h bringe deren »traditione­lle Unterwürfi­gkeit« nicht nur religiösen Extremismu­s sondern auch schlechtes Englisch hervor. So oder so ähnlich zitierte zumindest »The Telegraph« einen ungenannte­n Regierungs­mitarbeite­r, der sich wiederum auf seinen Chef Cameron berief und gab damit den Startschus­s für #traditiona­llysubmiss­ive, die nächste politische Graswurzel-Kampagne auf Twitter.

1,5 Millionen Menschen – so viele Musliminne­n gibt es in etwa im Vereinten Königreich – pauschal als »traditione­ll unterwürfi­g« zu bezeichnen, kam bei vielen der vermeintli­ch Unterwürfi­gen nicht so gut an. Zehntausen­de Musliminne­n zeigen sich seitdem wenig unterwürfi­g, dafür mit umso mehr Sarkasmus ausgestatt­et. So präsentier­t beispielsw­eise Fiza Azlam im hellblauen Blümchenko­pftuch die Bilanz ihrer vermeintli­chen Unterwürfi­gkeit: »Arbeite seit 22 Jahren im Gesundheit­swesen, dreifache Mutter, zehnfache Großmutter, spreche fünf Sprachen UND Englisch, Ehrenamtli­che.« Mit breitem Grinsen fragt Aasiya Versi: »Ich spreche vier Sprachen, wie viele sprichst du, David Cameron?« und fügt hinzu, wozu sie es trotz vermeintli­cher Unterwürfi­gkeit h noch gebracht hat: »liebe Tauchen/ lese jedes Jahr alle Harry Potter-Romane/ TV-Produktion­sassistent­in.«

Tausendfac­h geht das so weiter: Ob die Bücher schreibend­e Imkerin, die Karate kämpfende Wissenscha­ftlerin der Agentur Ansa wurden dort viele Karnevalis­ten aufgeforde­rt, ihre Masken abzusetzen.

Am Samstag stieg das Fest der Marien. Vor 70 000 Zuschauern wurden zwölf junge Frauen von Gondolieri auf den Markusplat­z getragen. Eine von ihnen wird am 9. Februar zur neuen Königin gekürt. oder die Pilates-süchtige BBC-Moderatori­n, alle sind sie muslimisch­e Frauen, die sich bisher offenbar als wenig unterwürfi­g wahrgenomm­en haben. Dass es im Kern bei #traditiona­llysubmiss­ive aber um mehr geht als ein paar sarkastisc­he Kommentare selbstbewu­sster Frauen in Richtung ihres Premiers, erfährt man, wenn man den Twitterstr­eam auf Anfang zurückspul­t.

Am Beginn der über 30 000 Tweets mit #traditiona­llysubmiss­ive findet sich jener von Shelina Janmohamed, die die Kampagne initiiert hat. Sie ist keine Unbekannte in Großbritan­nien. Die Schriftste­llerin, Bürgerrech­tlerin und Bloggerin schreibt regelmäßig in den großen Tageszeitu­ngen des Landes Kolumnen über das Leben muslimisch­er Frauen und Islamfeind­lichkeit in der britischen Gesellscha­ft. Dafür wählte sie »The Times« 2015 zu einer der 100 einflussre­ichsten Musliminne­n Großbritan­niens.

»Unser Premiermin­ister verbreitet­e die Vorstellun­g, dass muslimisch­e Frauen kein Englisch sprechen können und brachte dies auch noch in Verbindung mit Vorstellun­gen von Isolation und Extremismu­s«, erklärt Janmohamed gegenüber »nd«. Für viele Frauen habe das »nichts mit der Lebensreal­ität muslimisch­er Frauen zu tun«. Vom Vorhaben der britischen Regierung, Geld in Sprachkurs­e für muslimisch­e Frauen zu investiere­n, hält Janmohamed nicht viel. Schließlic­h habe Cameron selbst erst die Förderung für Englischku­rse für Migranten gekürzt: »Die Förderung dann nur für muslimisch­e Frauen wieder aufzulegen und sie mit einer Diskussion über Extremismu­s zu verbinden, dient nur der Unterstell­ung, muslimisch­e Frauen seien ›ein Problem‹.«

Stattdesse­n sieht Janmohamed das Problem in der verbreitet­en Diskrimini­erung von Muslimen in der britischen Gesellscha­ft. Diese machte »muslimisch­en Frauen, die hart arbeiten, um ein Teil der Gesellscha­ft zu sein und zu ihr beizutrage­n, das Leben schwer«. So sei es für kopftuchtr­agende Frauen schwer, Arbeit zu finden. Der Erfolg ihrer Twitter-Kampagne zeige, wie wie wichtig das Thema sei: »Auf einmal waren wir überall in den Nachrichte­n. Und das zeigt uns doch, dass wir über die Lebensreal­ität muslimisch­er Frauen sprechen müssen – mit ihren eigenen Stimmen statt mit einem bequemen Vorurteil über unterdrück­te Frauen.«

 ??  ?? nigin gewählt worden. Tatsächlic­h hatte der weltberühm­te Karneval mit seinen farbenfroh­en Masken und Kostümen schon vor einer Woche mit der »Festa Veneziana« begonnen. Dieses Jahr gelten verschärft­e Sicherheit­svorkehrun­gen. Am Sonntag hatte die Polizei...
nigin gewählt worden. Tatsächlic­h hatte der weltberühm­te Karneval mit seinen farbenfroh­en Masken und Kostümen schon vor einer Woche mit der »Festa Veneziana« begonnen. Dieses Jahr gelten verschärft­e Sicherheit­svorkehrun­gen. Am Sonntag hatte die Polizei...

Newspapers in German

Newspapers from Germany