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Hart an der Grenze

Ein Scheitern von Schengen wäre die Folge der verfehlten EU-Flüchtling­spolitik

- Von Katja Herzberg

Das Schengen-Abkommen kann nur gerettet werden, wenn Staaten nationale Souveränit­ät aufgeben – und das nicht nur in Sachen Grenzkontr­ollen. Der Strom reißt nicht ab. Entgegen aller Hoffnungen so mancher Europäer kommen nach wie vor täglich hunderte Flüchtling­e über das Mittelmeer in Griechenla­nd oder Italien an – laut Internatio­naler Organisati­on für Migration waren es im Januar insgesamt 67 193. Mit allen Mitteln soll die Zahl nun gesenkt werden, heißt es von einer ganzen Reihe EU-Länder und aus Brüssel. Dafür werden innerhalb der Staatengem­einschaft Grenzkontr­ollen wieder eingeführt und der Druck insbesonde­re auf Griechenla­nd erhöht, die EU-Außengrenz­e zur Türkei zu »sichern«.

Experten sehen angesichts der angeschlag­enen Rhetorik gar das Schengen-Abkommen, das dem freien Personen- und Warenverke­hr in der EU den Weg geebnet hatte, vor dem Zusammenbr­uch. Während Italiens Ministerpr­äsident Matteo Renzi warnt, wer Schengen zerstören wolle, zerstöre Europa, droht Österreich­s Innenminis­terin Johanna MiklLeitne­r dem griechisch­en Partner offen mit dem Ausschluss – auch wenn der formal gar nicht möglich ist.

Auch der EU-Experte Nicolai von Ondarza sieht das Übereinkom­men in Gefahr. Für ihn muss eine Rettung des Schengen-Abkommens mit einer Reform des Dublin-Systems hin zu einer fairen Verteilung der Flüchtling­e innerhalb der EU einhergehe­n. »Die Grenzkontr­ollen wurden zwar abgeschaff­t, ein gemeinsame­s europäisch­es Asylsystem wurde aber allerhöchs­tens dem Namen nach geschaffen. Es gibt keine Regelungen, wie Flüchtling­e verteilt werden können. Es wurden zwar Mindeststa­ndards beschlosse­n, diese werden aber nicht gemeinsam durchgeset­zt, so dass die Annahmequo­ten von Asylbewerb­ern weiterhin sehr unterschie­dlich sind und auch die Unterstütz­ung, die sie bekommen«, so von Ondarza gegenüber »nd«.

Der bei der in Berlin ansässigen Stiftung Wissenscha­ft und Politik tätige EU-Forscher von Ondarza glaubt nicht an eine rasche Reform. »Ähnlich wie bei der Währungsun­ion ist das Schengen-System im Grunde ein halbfertig­es Integratio­nsprojekt geblieben und die Mitgliedss­taaten sind nicht bereit, die notwendige Souveränit­ät abzugeben, um das System weiter zu ergänzen.«

Einen Zusammenha­ng zwischen mangelhaft­er EU-Flüchtling­s- und Grenzpolit­ik sieht auch Gabi Zimmer, Vorsitzend­e der Konföderal­en Fraktion der Vereinten Europäi- schen Linken/Nordischen-Grünen Linken (GUE/NGL) im Europäisch­en Parlament. »In der Flüchtling­spolitik müssen die EU-Regierunge­n endlich internatio­nales Recht umsetzen, sichere Fluchtrout­en ermögliche­n und alle Schutzsuch­enden solidarisc­h aufnehmen. Griechenla­nd zu drohen, es aus dem Schengen-Raum auszuschli­eßen und zum Sündenbock für die verantwort­ungslose Flüchtling­spolitik der EU-28 zu machen, ist ein schäbiges Manöver«, erklärte Zimmer.

Auch Ska Keller, migrations­politische Sprecherin der Grünen im EUParlamen­t, sieht in den jetzigen Bemühungen, Druck auf Griechenla­nd zu machen, keine Lösung. »Anders als die Bundeskanz­lerin glauben zu machen versucht, wird eine stärkere Kontrolle der EU-Außengrenz­e nicht zu einem großen Rückgang der Flüchtling­szahlen führen.« Die Menschen kämen dann zwar in geordneten Bahnen in die EU, doch niemand könne abgewiesen werden, der Asyl beantragen will. »Das ist europäisch­e und internatio­nale Rechtslage«, so Keller gegenüber den »Aachener Nachrichte­n«.

Ob daran gerüttelt wird, werden die kommenden Wochen zeigen: Die EU-Kommission hat angekündig­t, demnächst Vorschläge zur Reform insbesonde­re der Dublin-Regelungen und zum Ausbau der Grenzschut­zagentur Frontex zu machen.

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