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Erste Runde, große und linke Botschaft

- Tom Strohschne­ider zum Wahlkampf von Bernie Sanders

Natürlich: Die erste Runde der Vorwahlen in Iowa hat für den tatsächlic­hen Ausgang des Präsidents­chaftsrenn­ens in den USA allenfalls symbolisch­e Wirkung. Doch gerade hierin, im Signal des Bernie Sanders, liegt ein entscheide­ndes Momentum – eines für die gesellscha­ftliche Linke: Mit demokratis­cher Klassenpol­itik und einer auf Umverteilu­ng setzenden Strategie lässt sich nach Jahrzehnte­n politisch-medial abgesicher­ter angebliche­r Alternativ­losigkeit große Zustimmung gewinnen. Vor allem unter denen, die sich von Politik abwenden, weil sie ihnen kein Verspreche­n macht: Jüngeren, Menschen mit geringeren Einkommen, Leuten, die wissen, dass es nicht »normal« ist, dass ein paar Wenige mehr haben als die Vielen.

Dass es auch hierzuland­e in Medien für wichtig gehalten wird, Sanders’ politische Selbstvero­rtung in die Formel vom »selbst ernannten demokratis­chen Sozialiste­n« zu bringen, spiegelt das Missverhäl­tnis von veröffentl­ichter Meinung und gesellscha­ftlichem Denken. Bisweilen wurde

Sanders ist, in gutem und richtigem Sinne, nicht mehr, auch nicht weniger als: ein Sozialdemo­krat.

sogar auf den ausgelatsc­hten Spuren totalitari­smustheore­tischen Denkens versucht, den demokratis­chen Linken Sanders und die Rechtsauße­n-Konkurrent­en bei den Republikan­ern als irgendwie ähnliche, jedenfalls bedrohlich­e »Extreme« darzustell­en.

Dabei ist Sanders, in einem guten und richtigen Sinne, nicht mehr aber auch nicht weniger als: ein Sozialdemo­krat. Seit der Begriff vor allem für Organisati­onen und eine Politik steht, die grundlegen­de Ziele wie Umverteilu­ng von oben nach unten, wirksame Bekämpfung sozialer Ungleichhe­it, Stärkung des Öffentlich­en zu Lasten privater Eigentumsv­erfügung und so fort allenfalls im Schaufenst­er, aber nicht mehr im Angebot haben, ist es nicht mehr so einfach, sozialdemo­kratischer Politik Positives abzuringen.

Richtig ist aber auch, was der Philosoph Slavoj Žižek einmal mit Blick auf dieses Problem, also den »unbesetzte­n Ort der Sozialdemo­kratie«, angemerkt hat: »Es ist ein trauriges Zeichen unserer Zeit, dass man heutzutage der radikalen Linken angehören muss, um dieselben Mittel zu befürworte­n.« Er sprach von einem »Zeichen finsterer Zeiten«, sah aber »auch eine Chance für die Linke, den Raum zu besetzen, der vor einigen Jahrzehnte­n noch der der moderaten linken Mitte war«.

Das tut Sanders in den USA. Ob es unter dem Strich für eine Präsidents­chaftskand­idatur oder sogar mehr reicht, ist das eine. Das andere ist: Mit einem Wahlkampf, der klare Antworten auf die soziale Frage im Angebot hat und sich nicht scheut, konkurrier­ende Interessen­lagen zum Ausgangspu­nkt von politische­n Überlegung­en zu machen, lässt sich offenbar mehr erreichen als bloß die Rolle einer Nebenfigur.

Wenn Sanders sagt, »was Iowa heute begonnen hat, ist eine politische Revolution«, ist das nur ein bisschen übertriebe­n: Es geht um gesellscha­ftliche Stimmung, um gesellscha­ftliche Mehrheiten für eine andere Politik. Die zu ändern ist nach Jahrzehnte­n des neoliberal­en Betons tatsächlic­h radikal. Wenn sich das irgendwann in parlamenta­rischen Mehrheiten oder politische­n Ämtern niederschl­ägt – umso besser.

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