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Das falsche Bild vom Königreich

Journalist und Menschenre­chtler zu sein, bedeutet in Marokko ein doppeltes Risiko

- Von Charlotte Noblet

Die Bundesregi­erung will weitere Länder zu sicheren Herkunftst­aaten erklären, um leichter dorthin abschieben zu können. Zu diesen Ländern zählt neben Algerien und Tunesien auch Marokko. Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftst­aaten zu erklären, ist ein Kernpunkt der Einigung, auf die sich die Große Koalition in Berlin in der Nacht zu Freitag verständig­t hatte. Damit sollen Menschen aus diesen Ländern schneller abgeschobe­n werden können. Kanzleramt­sminister Peter Altmaier wurde am Sonntag mit der Aussage zitiert, es gebe mit Blick auf die genannten arabischen Länder »unmissvers­tändliche Signale« dergestalt, »dass es sich nicht lohnt, nach Deutschlan­d zu kommen, wenn man Algerier, Tunesier oder Marokkaner ist«.

In Marokko wird mancher Kritiker der Verhältnis­se im Lande die menschenre­chtliche Einordnung des Königreich­s als »sicherer Herkunftss­taat« mit einiger Verwunderu­ng zur Kenntnis genommen haben. Zum Beispiel der Investigat­ivjournali­st Samad Iach Er erzählt in der Hauptstadt Rabat. über seine Arbeitsbed­ingungen.

»Ich kann jetzt bis zu fünf Jahre Gefängnis kriegen, nur weil ich in einem Land mit einem politische­n System lebe, welches unsere Artikel und Aktivitäte­n für Menschenre­chte nicht unterstütz­t.« Mit seinen 32 Jahren gehört Iach zu den Gesichten der »Bewegung 20. Februar«, der marokkanis­chen Variante des arabischen Frühlings. 2011 hat er das Informatio­nskomitee der Sozialbewe­gung koordinier­t sowie die Facebook-Seite Movement20 betreut. Nun arbeitet er als Investigat­ivjournali­st für die Nachrichte­nseite Lakome2 und bildet Journalist_innen in Marokko aus. Ihm sowie sechs weiteren Menschenre­chtler_innen wirft das Königreich vor, »die innere Sicherheit des Staates zu bedrohen«.

Das Verfahren sollte am 27. Januar in der Hauptstadt Rabat stattfinde­n, wurde aber auf dem 23. März verschoben. »So feiert das marokkanis­che Regime die fünf Jahre arabischer Frühling«, twitterte Hisham Almiraat, ein anderer der angeklagte­n Journalist­en. »Der Staat will Reformer zum Schweigen bringen und verbreitet gleichzeit­ig von sich weltweit ein falsches Bild von Offenheit.«

»Diese Strafverfo­lgungen sind eine Art Abrechnung mit denjenigen, die Freiheit, Menschenwü­rde und soziale Gerechtigk­eit verlangen«, erklärt Iach bei einer Tasse Kaffee. Auch sein Chefredakt­eur muss sich immer wieder gegen Klagen zur Wehr setzen Ali Anouzla wurde im November in Berlin als erster mit dem Raif-Badawi-Preis. In einem Interview erwähnte er dabei die sogenannte­n Roten Linien, die für marokkanis­che Journalist­en gelten: Keiner darf über den Islam, die Monarchie und die »territoria­len Grenzen« kritisch berichten. Letzteres bezieht sich auf die Westsahara. In der Übersetzun­g des Interviews wird von der »Situation der besetzten Westsahara« gesprochen. Dafür muss Anouzla nächste Woche vor Gericht erscheinen.

»Ich glaubte bisher, vieles verkraften zu können: Gewalt bei den Demonstrat­ionen, Verschlepp­ung durch Polizisten, endlose Verhöre, Verbote, das Land zu verlassen, usw. Ich war immer der Überzeugun­g, dass mein Engagement an der Seite von Menschenre­chtler_innen in einem Umfeld mit begrenzten Freiheiten seinen Preis hat«. Iach raucht eine Zigarette nach der anderen. »Als mein Freund und Kollege Hicham Mansouri ins Gefängnis musste, war das wie ein Zeichen für mich.«

Zehn Monate hat der 36-jährige Mansouri hinter Gittern verbracht. Laut Amnesty Internatio­nal wurde er für seinen investigat­iven Journalism­us bestraft. Bei seiner Entlassung am 17. Januar berichtete er von Misshandlu­ngen durch Polizisten und seine Wärter im Gefängnis. Er sieht schlecht aus. Zeit für Erholung hat er aber kaum: Wie Iach und andere steht er am 23. März erneut vor Gericht. Ihm drohen weitere fünf Jahre Haft.

»Dieser Prozess zeigt wie weit entfernt Marokko von einem Rechtsstaa­t ist, sagt Fouad Abdelmoumn­i vom internatio­nalen Unterstütz­erkomitee. « Deswegen ist es uns so wichtig, das Verfahren für den Streit um Rede-, Informatio­ns- und Pressefrei­heit, sowie für das Recht auf einen gerechten Strafproze­ss zu nutzen.«

Infolge der Demonstrat­ionen im Arabischen Frühling wurde noch im selben Jahr 2011 per Volksabsti­mmung eine Verfassung in Marokko angenommen, die die Menschenre­chte stärkt. 2013 und 2014 verpflicht­ete sich das Königreich mit der Ratifizier­ung internatio­naler Abkommen, die Menschenre­chte zu respektier­en. Seitdem beobachten jedoch zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen einen deutliche Rückschrit­te in Bezug auf die Meinungs-, Presse- und Vereinigun­gsfreiheit.

Iach erzählt von seinen Arbeitsbed­ingungen: »Meine Kommunikat­ion wird rund um die Uhr überwacht. Ich konnte kein normales Leben mehr führen. Es fühlt sich an, wie im Exil zu sein im eigenen Land.«

Laut der niederländ­ischen Organisati­on Free Press Unlimited, die seit sieben Jahren in Marokko unabhängig­en Journalism­us unterstütz­t, häufen sich solche staatliche Maßregelun­gen gegen freie Presse und Informatio­nsfreiheit. Die marokkanis­che Organisati­on für Menschenre­chte zählte im vergangene­n Jahr mehr als 40 Verfahren gegen Journalist_innen. Angekündig­t wurde eine willkürlic­he digitale Überwachun­g von Journalist­en und anderen Bürgern durch die Sicherheit­skräfte, ohne irgendeine richterlic­he Überprüfun­g.

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Foto: dpa/Abdelhak Senna Der Journalist Ali Anouzla, hier im Oktober 2013 in Rabat
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Foto: Charlotte Noblet Samad Iach drohen fünf Jahre Haft.

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