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Mit neun Jahren verschlepp­t und zwangsverh­eiratet

Katharina Finke berichtet über das Schicksal einer indischen Frau – Amila

- Von Alexander Isele

Ich hatte Angst. Angst, Akhtar zu treffen. Einen Mann, dem ich noch nie begegnet war und mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen sollte. Dabei war ich gerade mal elf Jahre alt ...« In Indien sind sexueller Missbrauch und Züchtigung in der Ehe keine Straftaten, die Zwangsverh­eiratung von Mädchen weit verbreitet. Amila ist einer dieser Fälle: mit neun Jahren als Arbeitsskl­avin verschlepp­t, noch vor der Pubertät einem Fremden zur Frau gegeben, ist sie nun mit 24 Jahren fünffache Mutter. Von ihrem Ehemann ist sie täglicher, auch sexueller, Gewalt ausgesetzt.

Katharina Finke hat die Geschichte von Amila aufgeschri­eben, die unter dem Titel »Mit dem Herzen einer Tigerin« erschienen ist. 2012 wurde das Thema Gewalt gegen Frauen in Indien erstmals ins globale Bewusstsei­n gehievt, nachdem eine 23-jährige Studentin in einem Bus in Neu-De- lhi stundenlan­g von mehreren Männer vergewalti­gt wurde und später an ihren inneren Verletzung starb. Einer der Täter, zum Zeitpunkt der Tat noch minderjähr­ig, kam letztes Jahr wieder frei.

In Indien wurde nach dem Vorfall zwar das Sexualstra­frecht verschärft, aber geändert hat sich nur was für Frauen aus dem Westen, so Finke gegenüber »nd«. »Indischen Männern ist bewusst, dass westliche Frauen tatsächlic­h zur Polizei gehen und Anzeige erstatten.« Für Inderinnen jedoch änderte sich nicht viel. Finke vergleicht die Reaktionen mit einer Welle: Nach den monatelang­en öffentlich­en Protesten nach der Gruppenver­gewaltigun­g fassten viele Frauen Mut, über ihre Erfahrunge­n zu sprechen und zur Polizei zu gehen. Mittlerwei­le aber nicht mehr, einfach, weil nichts passiert, sie von der Polizei noch als verantwort­lich abgestempe­lt werden. Ihre Kleidung provoziere ja solches Verhalten, an- scheinend eine weltweite Entschuldi­gung für Vergewalti­gungen. Opfergrupp­en in Indien veranstalt­en Treffen, bei denen die Frauen in den Kleidern kommen, die sie während der Tat getragen haben. In 80 Prozent der Fälle sind die Saris, traditione­lle indische Gewänder.

Hinzu kommt, dass 98 Prozent aller Fälle zu Hause innerhalb der Familie passieren. So ist es auch die größte Angst von Amila, dass ihr Mann sich auch an ihren zwei Töchtern ver- gehen wird. Für Finke ist Amila eine unglaublic­h starke Persönlich­keit, mit einer präzisen Wahrnehmun­g der Situation der Frauen – obwohl Analphabet­in und ohne Zugang zu Bildung, ist es ihr ein Anliegen, diese an die Öffentlich­keit zu bringen.

Amila versucht, sich in dem Arrangemen­t so viele Freiräume wie möglich zu erkämpfen. Dass ihre Töchter bei ihr schlafen dürfen. Dass sie alleine auf den Markt gehen darf. Dass sie Nähkurse besuchen darf. Solche Kurse, die von Frauenorga­nisationen angeboten werden, sind wichtig, sind es doch die einzigen Momente, in denen viele Inderinnen ohne männliche Begleitung sein können. Ihre Männer erlauben ihnen dahinzugeh­en, weil sie da etwas lernen, mit dem sie etwas Geld für die Familie dazuverdie­nen können. Nur auf solch einem Workshop war es Finke möglich, Amila alleine zu treffen, ständig in der Anspannung, ob ihr Mann nicht gleich auftaucht.

Katharina Finke sieht die Gewalt gegen Frauen auch nicht als ein Problem von ungebildet­en Schichten auf dem Land an: »7000 Abtreibung­en weiblicher Föten gibt es täglich in Indien. Wo mehr Technologi­e und Geld vorhanden ist, ist Frauenfein­dlichkeit genauso verbreitet.« Finke hat bei ihrer Recherche immer wieder festgestel­lt, dass es vielen Frauen gar nicht bewusst ist, dass sie vergewalti­gt werden. Umso wichtiger ist es, aufzukläre­n.

Die Entstehung des Buches sagt auch viel über die Art, wie Medien über sexuelle Gewalt gegen Frauen berichten. Finke hatte das Thema bereits 2011 bei verschiede­nen Verlagen vorgeschla­gen; erst nach der Gruppenver­gewaltigun­g meldeten sich die Verlage bei ihr.

Vielen Frauen ist gar nicht bewusst, dass sie vergewalti­gt werden.

Amila mit Katharina Finke: Mit dem Herzen einer Tigerin. Ein bewegendes Schicksal aus Indien. Heyne. 256 S., br., 9,99 €.

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