nd.DerTag

Ökonomen wollen mehr Demokratie

Kurswechse­l ist laut Euro-Memorandum machbar

- Von Hermannus Pfeiffer

Trotz des Aufschwung­s fremdenfei­ndlicher Parteien in Europa fordern linke Ökonomen mehr Mitbestimm­ung in der EU. Erst die politische­n Entwicklun­gen in Griechenla­nd im vergangene­n Jahr haben »uns die Augen geöffnet für den wahren Charakter der Europäisch­en Union«, gestehen die Verfasser des am Dienstag veröffentl­ichten »Euro-Memorandum 2016«. Zu den über 320 Unterstütz­ern in ganz Europa gehören auch namhafte deutsche Wissenscha­ftler wie Elmar Altvater, Heinz-J. Bontrup oder Birgit Mahnkopf.

Die SYRIZA-geführte Regierung sei mit einem klaren Votum der Wähler für einen Kurswechse­l ausgestatt­et gewesen. Doch die Verhandlun­gen mit den Gläubigern über ein drittes Kreditprog­ramm hätten »das wachsende demokratis­che Defizit« in Europa aufgezeigt, so die Autoren. Die Gläubigeri­nstitution­en hebelten Gesetze aus, die von Parlamente­n beschlosse­n wurden. Weite Bereiche der Wirtschaft­spolitik würden der Handlungss­phäre demokratis­ch gewählter Regierunge­n entzogen.

Neben dem wachsenden Demokratie­defizit stehen das transatlan­tische Handelsabk­ommen TTIP und die Auswirkung­en der Flüchtling­skrise im Mittelpunk­t des seit 1995 erscheinen­den Euro-Memorandum­s. In den überwiegen­d jungen Migranten und Flüchtling­en sehen die Ökonomen mittelfris­tig mehr Chancen als Risiken für Europas Volkswirts­chaften. Kurzfristi­g könnten notwendige Sozialprog­ramme die Konjunktur ankurbeln. Dafür gebe es gute Gründe. So sehen die überwiegen­d marxistisc­hen und keynesiani­schen Wissenscha­ftler für die Zukunft schwarz: »Die wirtschaft­lichen Aussichten Europas sind weiterhin düster.« Obwohl die Wirtschaft in den meisten Ländern wieder wachse, bleibe sie in den südlichen und in vielen östlichen Mitgliedss­taaten deutlich unter dem Niveau von 2007.

Die Euro-Ökonomen, deren Zusammensc­hluss von dem verstorben­en marxistisc­hen Finanzmark­texperten Jörg Huffschmid initiiert wurde, fordern Politik und Gesellscha­ft auf, die wirtschaft­spolitisch­en Institutio­nen und Entscheidu­ngen in der EU unter demokratis­che Kontrolle zu bringen. Es bedarf eines »radikalen Kurswechse­ls« in der europäisch­en Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik, schreiben sie.

Der britische Mitautor John Grahl hält einen solchen Kurswechse­l durchaus für realistisc­h. Er verweist auf Entwicklun­gen in Großbritan­nien und Spanien, die zeigten, »wie schnell sich die politische Situation ändern kann«. Auch könne der Spagat zwischen Millionen Flüchtling­en, die einen Job suchen, und der hohen Jugendarbe­itslosigke­it von mehr als 22 Prozent in der Eurozone, gelingen. Angesichts der niedrigen Zinssätze nahe Null könnten EU und die wirtschaft­lich starken Länder »sehr leicht« ein großes öffentlich­es Förderprog­ramm in sozial und ökologisch nachhaltig­en Bereichen finanziere­n, sagt Grahl. Zudem solle der Euro als Einheitswä­hrung durch eine gemeinsame Fiskalpoli­tik auf EU-Ebene ergänzt werden, die Steuerschl­upflöcher stopft. In Kürze soll das 42-seitige Euro-Memorandum auch auf Deutsch erscheinen (www.euromemo.eu).

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