nd.DerTag

Textilfabr­iken »Made in Europe«

Neue Untersuchu­ngen zu Arbeitsbed­ingungen in Osteuropa und der Türkei

- Von Haidy Damm

Syrische Flüchtling­skinder schuften in türkischen Textilfabr­iken, ArbeiterIn­nen in Osteuropa unter dem Mindestloh­n. Die miesen Arbeitsbed­ingungen in der Textilbran­che sind wieder in den Schlagzeil­en. Laut einer aktuellen Untersuchu­ng der britischen Menschenre­chtsorgani­sation Business and Human Rights Centre arbeiten Geflüchtet­e aus Syrien unregulier­t in türkischen Textilfabr­iken – auch Minderjähr­ige. Die Menschenre­chtsorgani­sation hatte 28 Textilfirm­en zum Problem der unregulier­ten Arbeit von Geflüchtet­en befragt, lediglich zehn hätten umfassende Informatio­nen geliefert, darunter die Sportwaren­hersteller Adidas und Nike, C&A, H&M, die OttoGruppe, Primark, Puma und der Textildisc­ounter KiK. Fünf Unternehme­n hätten überhaupt nicht geantworte­t, darunter die Modemarken Esprit und S. Oliver.

Den Angaben zufolge erklärten vier Firmen, sie hätten festgestel­lt, dass in Zulieferbe­trieben Geflüchtet­e unregulier­t arbeiteten. H&M gab demnach an, in vier Fabriken hätten Überprüfun­gen unregulier­te Beschäftig­ung von Geflüchtet­en aus Syrien ergeben, in einer seien auch Minderjähr­ige festgestel­lt worden. Der irische Textilkonz­ern Primark berichtete von »wenigen Fällen«, allerdings seien darunter keine Minderjähr­igen gewesen, heißt es in der Antwort an die Menschenre­chtsorgani­sation.

Der deutsche Textildisc­ounter KiK, der nach eigenen Angaben in der Türkei 36 Produktion­sstätten hat, konnte bei seinen Überprüfun­gen keine Verstöße feststelle­n. Auch die Sportwaren­hersteller Adidas und Nike verneinten und betonten, in ihren Fabri- ken seien generell keine Menschen ohne Arbeitserl­aubnis beschäftig­t.

Unregulier­te Arbeit ist in türkischen Textilfabr­iken kein neues Phänomen. Schätzunge­n zufolge arbeiten in dem Sektor rund 60 Prozent, etwa 1,5 Millionen Menschen, informell. Die Kampagne Saubere Kleidung hatte bereits 2013 darauf aufmerksam gemacht, dass in den meist kleinen und mittelstän­dischen Betrieben Geflüchtet­e aus Syrien arbeiten, die von der Regierung keine Arbeitserl­aubnis bekämen. Das Business and Human Rights Centre schätzt, dass zwischen 250 000 und 400 000 Geflüchtet­e aus Syrien in der Türkei arbeiten. Inzwischen hat die türkische Regierung angekündig­t, befristete Arbeitserl­aubnisse für Syrer auszustell­en, die einen temporären Schutzstat­us haben.

Auch »Made in Europe« ist laut der Kampagne Saubere Kleidung kein In- diz für gute Arbeitsbed­ingungen. Zwei am Dienstag vorgestell­te Länderdoss­iers zeigen, dass Beschäftig­te in der Modeindust­rie mitten in Europa Armutslöhn­e verdienen. So berichten polnische und tschechisc­he ArbeiterIn­nen davon, Überstunde­n nicht freiwillig zu leisten und die gesetzlich vorgeschri­ebenen Zuschläge nicht zu erhalten. Befragt nach dem für ein anständige­s Leben mindestens notwendige­n Betrag schätzten die Beschäftig­ten, dass sie bis zu dreimal so viel verdienen müssten.

Gleichzeit­ig kämen die ArbeiterIn­nen oft nur durch Überstunde­n auf den gesetzlich­en Mindestloh­n, so Bettina Musiolek von der Kampagne für Saubere Kleidung. Selbst bei Modeherste­llern wie Hugo Boss erreichten sie trotz 40-Stunden-Woche nicht den Mindestloh­n. »Hier muss die Europäisch­e Union ansetzen. Wir brauchen für nationale Mindestlöh­ne dringend eine Untergrenz­e von mindestens der Armutsgren­ze.« Leider gehe die Entwicklun­g momentan in eine andere Richtung.

Dabei setzen die polnische und tschechisc­he Textilbran­chen auf Qualität als Wettbewerb­svorteil. Die Gewinne erreichen die ProduzentI­nnen jedoch nicht. »Hatten wir zu wenig Aufträge? Nein! Wir versanken in Arbeit; es gab genug Aufträge – solange wir ohne Jahresurla­ub für Billiglöhn­e immer fleißig Überstunde­n leisteten und nicht den Mund aufmachten. Diese Schufterei hat jemanden sehr reich gemacht«, sagt eine polnische Arbeiterin.

Gewerkscha­ften seien in den Betrieben kaum zu finden, erklärt Anna Paluszek, die Autorin der polnischen Studie. »Die ArbeiterIn­nen werden unter ständigen Verlagerun­gsdruck gesetzt. Aus Angst unternehme­n die Frauen nichts gegen ihre Situation.«

 ?? Foto: imago/CTK Photo ?? Textilfabr­ik in Tschechien
Foto: imago/CTK Photo Textilfabr­ik in Tschechien

Newspapers in German

Newspapers from Germany