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Überwachte­r Überwacher

Erneut enttarnen Linke einen mutmaßlich­en Spitzel – diesmal in München

- Von Ines Wallrodt

Tobias K., der gute Kumpel, forschte in Wahrheit die internatio­nalistisch­e Linke in München aus – davon ist eine Gruppe überzeugt, die ihn über Monate beobachtet hat. Nun fordert sie Aufklärung. Es war ein Zufall: Bei einer Demonstrat­ion für das belagerte Rojava entdeckt ein Teilnehmer einen Mann, den er bereits kennt. Allerdings nicht von einer anderen linken Demo, sondern von einer Polizeiwac­he, wo er als Zivilfahnd­er vertraut mit anderen Polizisten redete und sich frei von Zimmer zu Zimmer bewegte. Nun, im Herbst 2014, läuft eben dieser Mann bei einer Solidaritä­tsdemo für die Kurden im Norden Syriens mit, ruft ab und zu ein paar internatio­nalistisch­e Parolen und taucht von da an regelmäßig bei Antifa-Treffen in München auf.

Einige Linke haben den Mann über Monate beobachtet und ihren Verdacht nun mit einem mehrseitig­en Bericht öffentlich gemacht. Wobei es mehr als ein Verdacht ist, wie Florian von der »Rechercheg­ruppe gegen staatliche Repression« gegenüber »nd« betont. Sie seien »überzeugt«, dass es sich bei »Toe« um einen verdeckten staatliche­n Ermittler handelt, der in die antifaschi­stische und internatio- nalistisch­e Szene eingeschle­ust werden sollte. Verwechslu­ng ausgeschlo­ssen. Die Gruppe beruft sich auf einen »erfahrenen langjährig­en Genossen«, der ihn an typischer Mütze, Ohrring und Klamottens­til wiedererka­nnte und sogleich andere befreundet­e Aktivisten ins Vertrauen gezogen hatte. Von da an wurde Tobias K. nicht mehr aus den Augen gelassen.

Demnach schloss »Toe« während eines Jahres mit jungen Antifas Freundscha­ft und besuchte diverse Veranstalt­ungen von deutschen, kurdischen und türkischen Linken in der bayerische­n Hauptstadt. Er wollte Kurdisch lernen und bei der nächsten Newrozdele­gation in die Türkei mitfahren. Vertrauen erlangte er durch private Offenheit: So erzählte er Einzelnen unter dem Siegel der Verschwieg­enheit, als Jugendlich­er der Naziszene angehört zu haben, habe dabei aber je nach Gesprächsp­artner einige Details variiert, berichtet die Rechercheg­ruppe. Schon hier hätten aus ihrer Sicht alle Alarmglock­en schellen müssen: Naziausste­iger müssten sich »von der ersten Sekunde an« zu ihrer Vergangenh­eit bekennen, um glaubwürdi­g zu sein. Nach dem Bruch mit der rechten Szene und der Aufgabe seines Jobs als Patentanwa­ltsfachang­estellter habe er eine alte Sandkasten­freundscha­ft reanimiert und nach einer Party- und Drogenphas­e irgendwann zur Linken gefunden. So seine Geschichte.

Konfrontie­rt mit dem Vorwurf, bestritt Tobias K., ein verdeckter Ermittler zu sein. Er habe sich jedoch inzwischen komplett zurückgezo­gen und seine Wohnung aufgelöst, teilt die Gruppe mit. Er war, so vermuten sie, an einer größeren Operation mit überregion­alen und internatio­nalen Zielen beteiligt. »Wenn das Einschleus­en gelungen wäre, wäre er sehr weit gekommen«, sagt Florian. Zudem spreche einiges dafür, dass er bereits als Nazi für staatliche Behörden gearbeitet hat, vielleicht sogar in Kontakt mit NSU-nahen Strukturen stand. Weiterhin unklar ist, in wessen Auftrag »Toe« im Einsatz war.

Es hat einige Monate gedauert, bis die Geschichte aus Sicht der Eingeweiht­en »wasserdich­t« recherchie­rt war. Sie wollten vor einer allgemeine­n Veröffentl­ichung sicher sein – schon, um nicht jemanden zu Unrecht zu bezichtige­n. »Ein verantwort­licher Umgang kann nicht auf Gerüchteba­sis laufen«, erklärt Florian. Immer dort, wo Tobias K. auftauchte, seien jedoch jeweils zwei Kontaktleu­te informiert worden.

Stimmt der Vorwurf, hätte die Spitzelei ein schnelles Ende gefunden. Andere Fälle, etwa in Hamburg oder Heidelberg, waren erst nach mehreren Jahren aufgefloge­n, in de- nen linke Strukturen ausspionie­rt, Freundscha­ften und Liebesbezi­ehungen missbrauch­t wurden. Auch die Münchner Linke hat zuvor schon böse Überraschu­ngen erlebt. So spionierte Manfred Schlickenr­ieder, eigenbrötl­erischer Dokumentar­filmer und Aktivist der linksradik­alen Gruppe 2, unter dem Decknamen »Camus« 20 Jahre lang im Umfeld vorwiegend marxistisc­h-leninistis­cher und antiimperi­alistische­r Gruppen. Und vor drei Jahren fand man nach seinem Tod in der Wohnung eines langjährig­en DKP-Mitglieds unabgetipp­te Tonbandpro­tokolle für den Verfassung­sschutz.

Noch hält die Rechercheg­ruppe Fotos und biografisc­he Details zurück. Die wollen sie veröffentl­ichen, sobald der Mann wieder irgendwo aktiv werden sollte. Aus dem Antifatref­fen wurde er ausgeschlo­ssen. Einige Freunde wollen die Vorwürfe jedoch nicht glauben und haben sich ebenfalls zurückgezo­gen.

Die Rechercheg­ruppe fordert von den Behörden Aufklärung. Auch juristisch wollen sie dagegen vorgehen. Zugleich warnt die Gruppe vor Panik und Paranoia. »Wir werden unsere offenen Strukturen auch in Zukunft nicht durch staatliche Angriffe zerstören lassen.« Offenheit und Verantwort­ung füreinande­r seien vielmehr der beste Schutz.

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Foto: imago/ZUMA Press Ist einer der beiden ein verdeckter Ermittler? Sicher ist, Sicherheit­sbehörden interessie­ren sich für die kurdischen Zusammenhä­nge in Deutschlan­d.

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