Die soziale Frage neu gestellt
Blockupy kündigt an, den Widerstand gegen Austerität und Abschottung fortzusetzen – Ausgangspunkt soll eine Konferenz Anfang Februar sein
Nach dem umstrittenen BlockupyAktionstag im März 2015 wurde es ruhiger um das Bündnis. Auf einem Ratschlag in Berlin soll das weitere Vorgehen geplant werden. Für viele europäische Linke war der 18. März 2015 ein bedeutender Tag des Protestes. Trotz oder auch gerade aufgrund der Ambivalenz seiner produzierten Bilder – von den Rauchschwaden über Frankfurts Hochhäusern im Morgengrauen bis hin zu einer friedlichen Großdemonstration mit 20 000 TeilnehmerInnen am Abend – sendete das transnationale und aus verschiedenen linken Gruppen, Gewerkschaften und Parteien bestehende Blockupy-Bündnis zur Eröffnung der Europäischen Zentralbank eine unmissverständliche Botschaft: Das Herz des europäischen »Krisenregimes« war politisch und diskursiv angreifbar, die transnationale Linke handlungsfähig, ein anderes Europa fernab von Abschottung und Sparzwang denkbar. »Blockupy hat 2015 ein Zeichen gegen die von oben diktierte Verelendung gesetzt – und die Straße als Mittel der politischen Auseinandersetzung und Artikulation belebt«, sagt die Bünd- nissprecherin Hannah Eberle rückblickend.
Die Aufbruchsstimmung innerhalb der Linken verflog jedoch. Die harte Haltung der deutschen Regierung und ihrer europäischen Partner gegenüber Griechenland konnte von den AktivistInnen nicht aufgeweicht werden. Der Erfolg rechter Bewegungen und Parteien stellte eine wachsende Bedrohung dar. Zeitgleich schienen die umwälzenden Bewegungen und Kämpfe der Geflüchteten sowie die Willkommensinitiativen neue politische Spielräume zu schaffen. Es wurde notwendig, sich neu aufzustellen. Dies soll nun am 6. und 7. Februar in Berlin geschehen. Unter dem Motto »Den nächsten Schritt gemeinsam gehen gegen Austerität und autoritäre Krisenlösungen« lädt das BlockupyBündnis an diesen beiden Tagen zu einem Ratschlag in die Technische Universität ein.
AktivistInnen aus verschiedenen Ländern werden erwartet. »Der europäischen Politik ist nur mit einer europäischen Antwort beizukommen«, sagt Blockupy-Sprecherin Eberle. Eine wichtige Rolle soll die Auseinandersetzung mit anderen Initiativen erhalten. Nach der Kritik eines Aktivisten kündigte auch Yanis Varoufakis sein Erscheinen an. Der ehemalige griechische Finanzminister will wenige Tage später eine neue europäische Bewegung unter dem Namen »DiEM« gründen. Varoufakis wurde vorgeworfen, bei seinen Plänen schon existierende Projekte wie Blockupy auszublenden.
Zur inhaltlichen Vorbereitung veröffentlichte das Bündnis einen Reader, in dem die beteiligten Gruppen ihre Perspektiven darlegen. Demnach schlagen Linkspartei-AktivistInnen vor, im Frühjahr 2017 einen europäischen »Gipfel der Prekären und Ausgeschlossenen« in Berlin zusammenzurufen. Attac wünscht sich thematisch bestimmte Aktionen an mehreren Orten Berlins sowie eine gemeinsame Großdemonstration. Das linksradikale »ums-Ganze«Bündnis möchte »die Grenzen Europas« diskutieren und der Parole »No Border« einen »praktischen Ausdruck« verleihen.
Das Strategietreffen beginnt bereits am Freitagabend mit einer öffentlichen Podiumsdiskussion unter dem Titel »Willkommen im Herzen des Krisenregimes – Wie der Sommer der Migration die soziale Frage neu stellt«. Blockupy versucht damit, die Themen Migration und Austerität stärker inhaltlich zu verknüpfen. »Das Krisen- und Grenzregime Europas bleiben zwei Seiten derselben Medaille«, erklärt Eberle. Die linksradikale Interventionistische Linke (IL) veröffentlichte kürzlich einen Debattenbeitrag, der sich mit der Verzahnung beider Themen beschäftigt. »Teile der Gesellschaft sind schon in Bewegung. Sie haben sich entschieden: Für die Humanität«, heißt es in dem Text. Von dort aus sei es nur ein kleiner logischer Schritt zu den Forderungen gegen Sparzwang und Schuldenbremse, glaubt die IL. Die Aufgabe für die Linke sehen sie darin, »die Verteilungskämpfe zu solidarischen Umverteilungskämpfen« zu wandeln.
Als Zeitpunkt für neue Aktionen bringen die IL-AktivistInnen ebenfalls 2017 ins Spiel: In dem Jahr ist Bundestagswahl, zudem jährt sich die Oktoberrevolution zum 100. Mal. Zuvor wurde innerhalb der IL auch über den Vorschlag diskutiert, zum diesjährigen 1. Mai ein Aktionswochenende in Berlin zu organisieren. Die Idee konnte sich nicht durchsetzen, aber im Bündnis war klar: »Weg von der EZB und in Richtung Berlin.«
Der zweite Tag des Ratschlags wird den Einschätzungen und Perspektiven dienen. So soll diskutiert werden, wie unter Bedingungen des »Ausnahmezustandes«, des »Sparzwangs« und der gesellschaftlichen »Polarisierung« Veränderungen möglich sind. Daraus sollen sich dann die strategische Ausrichtung des Bündnisses und Handlungsperspektiven ableiten. Umstritten ist beispielsweise, ob Aktivismus sich an zeitlich begrenzten Events oder an längeren Prozessen orientieren sollte. Auch soll debattiert werden, wie der Widerspruch zwischen lokalem Engagement und transnationaler Vernetzung gelöst werden kann. Fest stehe jedoch schon eins, erklärt Hannah Eberle: »Blockupy setzt auch künftig auf Aktionen des zivilen Ungehorsams.«