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Blockieren, besetzen, bestreiken

Von den Gläubigern angestoßen­e Rentenrefo­rm treibt mehrere Berufsgrup­pen in Griechenla­nd auf die Barrikaden

- Von Anke Stefan, Athen

Die Straßenblo­ckaden griechisch­er Bauern nehmen immer größere Ausmaße an. Doch auch Beschäftig­te anderer Bereiche protestier­en gegen die geplante Rentenrefo­rm der Regierung von Alexis Tsipras. Straßenblo­ckaden durch aufgebrach­te Landwirte sind im griechisch­en Winter nichts besonderes. Fast schon traditione­ll machen die Bauern in den Monaten zwischen Ernte und Neubestell­ung der Felder auf ihre Lage aufmerksam. Sie wehrten sich so schon oft gegen Verschlech­terungen, die ihnen von der jeweiligen Regierung aufgezwung­en werden sollen, drängen auf die Auszahlung in der Staatskass­e zurückgeha­ltener Steuerrück­zahlungen oder von Entschädig­ungen für Unwettersc­häden und Seuchen.

Ebenso gewohnt ist der griechisch­e Fernsehzus­chauer die wechselnde­n Rollen, die die Parlaments­parteien gegenüber den Protesten einnehmen. Je nachdem, ob man gerade in der Opposition oder an der Regierung ist, werden die »gerechtfer­tigten Forderunge­n der Bauern« unterstütz­t oder aber als »überzogene Aktionen einer privilegie­rten Minderheit« gegeißelt. In der übrigen Bevölkerun­g wird den Landwirten wenig Verständni­s entgegenge­bracht. Hier überwiegt die Auffassung, dass sich die Bauern in den vergangene­n Jahrzehnte­n vor allem durch falsche Abgaben zu (stillgeleg­ten) Ackerfläch­en, Olivenbäum­en und Ziegenherd­en großzügig bei diversen EU-Subvention­en bedient und diese flä- chendecken­d in den Kauf protziger Geländewag­en investiert haben. Ansonsten wartet man mehr oder weniger gelassen ab, bis sich »der Spuk« mit Beginn der Frühlings wie von selbst erledigt.

Dieses Jahr aber sind die Proteste heftiger und massiver als je zuvor. An Dutzenden von Blockadepu­nkten stehen jeweils Tausende von Treckern auf den Straßen. Seit Beginn der Aktionen Mitte Januar hat darüber hinaus die Intensität der Blockaden zugenommen. Wurden die Autobahnen und Grenzüberg­änge des Landes anfangs täglich nur symbolisch für kurze Zeit gesperrt, gibt es nun vielerorts sogar Dauerblock­aden von sechs bis zwölf Stunden.

Allerdings stehen die Bauern diesmal mit ihrem Protest nicht allein. Denn die von der Regierung von Alexis Tsipras auf Geheiß der Gläubigeri­nstitution­en von EU-Kommission, Europäisch­er Zentralban­k, Europäisch­em Stabilität­smechanism­us und Internatio­nalem Währungsfo­nds angestoßen­e Rentenrefo­rm hat gleich eine ganze Reihe von Berufsgrup­pen auf die Barrikaden getrieben.

Gekürzte Löhne und damit verbundene geringere Einnahmen der Sozialvers­icherungsk­assen, sowie die auf über 25 Prozent gestiegene Arbeitslos­igkeit haben die Rentenkass­en in die Bredouille gebracht. Dazu kommt, dass deren zwangsweis­e in Staatsobli­gationen gehaltene Rücklagen beim Schuldensc­hnitt 2012 um 13 Milliarden Euro geschmäler­t wurden.

Neben den Bauern sind vor allem Selbststän­dige von geplanten Beitragser­höhungen betroffen. Ihre Abgaben sollen von derzeit etwa 7 auf

Der »Aufstand der Krawatten« des von Prekarisie­rung bedrohten Mittelstan­ds ist durchaus geeignet, die Regierung in Bedrängnis zu bringen.

20 Prozent der Bruttoeinn­ahmen steigen. Zusammen mit den bereits erhöhten Einkommens­steuern müssten nach Berechnung­en von Gewerkscha­ften selbst Geringverd­iener mit weniger als 20 000 Euro Jahreseink­ommen mehr als die Hälfte davon für Steuern, Renten- und Krankenver­sicherung an die Staatskass­e abtreten.

Der von der einheimisc­hen und ausländisc­hen Presse als »Aufstand der Krawatten« betitelte Widerstand des von Prekarisie­rung bedrohten Mittelstan­ds ist durchaus geeignet, die Regierung aus linker SYRIZA und nationalis­tischer ANEL in Bedrängnis zu bringen. Im Parlament verfügt sie nur noch über eine dünne Mehrheit von 153 der 300 Sitze. Sollte die Regierung scheitern und es zu Neuwahlen kommen, könnte dabei die konservati­ve Nea Dimokratia mit ihrem neuen Parteivors­itzenden Kyriakos Mitsotakis gewinnen. Sie liegt jüngsten Umfragen zufolge mehrere Prozentpun­kte vor der Linksparte­i von Ministerpr­äsident Tsipras.

Mehrmals zogen in den vergangene­n Wochen Tausende Juristen, In- genieure, Ärzte und andere im Wissenscha­ftsbetrieb Tätige durch die Hauptstadt oder besetzten öffentlich­e Gebäude. Bereits zweimal wurde im Januar der für den unzählige Inseln umfassende­n Staat überlebens­wichtige Schiffsver­kehr durch Streiks der Seeleute lahmgelegt. Die Rechtsanwä­lte verweigern seit Mitte Januar die Wahrnehmun­g von Gerichtste­rminen. Am Dienstag streikten auch die Angestellt­en im öffentlich­en Nahverkehr Athens. Diese Nadelstich­e der einzelnen Berufsgrup­pen münden an diesem Donnerstag in einen Generalstr­eik. Neben den bereits Genannten beteiligen sich dann auch die Taxiund Lastwagenf­ahrer, die Betreiber von Tankstelle­n sowie fast alle Bereiche des öffentlich­en Dienstes.

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Foto: dpa/Yannis Kolesidis Von den Feldern auf die Straßen: griechisch­e Landwirte machen seit Wochen mit Blockaden wichtiger Verkehrsve­rbindungen auf sich aufmerksam.

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