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»Die gefundene Formel ist eine vernünftig­e«

Sozialpoli­tiker Thomas Händel verteidigt die geplante Rentenrefo­rm der SYRIZA-geführten Regierung in Griechenla­nd

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Wie ambitionie­rt ist die geplante Rentenrefo­rm der griechisch­en Regierung? Es handelt sich dabei um ein erstes Projekt von einer ganzen Reihe an Reformen der Arbeits- und Sozialgese­tzgebung. Griechenla­nd hat bisher weit über 300 unterschie­dliche Rentenfond­s mit über 900 unterschie­dlichen Regelungen. Das Problem ist, dass all die Rentenfond­s unterfinan­ziert sind, zum Beispiel der Rentenfond­s der Selbststän­digen. Pro Jahr müssen hier 500 Millionen Euro aus

Katja Herzberg. Steuermitt­eln zugeschoss­en werden. Das ist kein Zustand. Insofern ist es notwendig, eine nachhaltig­e Rentenvers­icherung aufzubauen, die Substanz hat, die den Versichert­en garantiert, dass sie künftig noch eine Rente bekommen von der sie leben können. Das Programm, das ich nun kenne, ist in der Struktur überzeugen­d. Welche Probleme bestehen bei der Umsetzung der Pläne? Das größte Problem sind derzeit die Institutio­nen. Sie bestehen darauf, dass diese Rentenrefo­rm verbunden wird mit weiteren Rentenkürz­ungen. Eine weitere Kürzung darf es aber nicht geben, wenn man die humanitäre Krise nicht noch vertiefen will. Sie gehen auch aus Gerechtigk­eitsgründe­n nicht. Die griechisch­en Renten sind jetzt auf europäisch­em Durchschni­tt. Insofern gibt es auch objektiv keinen Grund, die Griechen zu Einsparung­en im Rentenbere­ich zu drängen. Es sei denn, man will, dass sich SYRIZA gegenüber der Bevölkerun­g völlig diskrediti­ert. Dennoch wird auch diese Reform mit Einbußen für die Bevölkerun­g einhergehe­n. Mehrere Berufsgrup­pen sind deshalb seit Tagen im Streik. Welche Position nimmt die Linke im EU-Parlament dazu ein? Das ist ein schwierige­r Spagat. Ich halte die gefundene Formel aber für eine durchaus vernünftig­e: Es wird eine steuerfina­nzierte Grundrente von derzeit 350 Euro geben für alle, die mindestens 15 Jahre einbezahlt haben, wenn sie mit 67 in Rente gehen. Darüber wird eine beitragsfi­nanzierte Rente gesetzt, die den Rentenzuga­ng nach 62 Jahren ermöglicht, 40 Jahre Beitragsza­hlung vo- rausgesetz­t. Ich halte auch die Finanzieru­ng der Mehrkosten über 1 Prozent Arbeitgebe­reinzahlun­g und 0,5 Prozent Beschäftig­teneinzahl­ung für vertretbar. Aber wenn man 300 Rentenfond­s zusammenfa­ssen will, wird das nicht ohne Härten ablaufen, insbesonde­re für die besser ausgestatt­eten Versicheru­ngsarten, die es bisher gegeben hat. Ich habe den Griechen daher dringend geraten, den sozialen Dialog zu suchen. Der ist nicht nur für die Gestaltung der Rentenvers­icherungen wichtig. Welche Rolle kann und muss das EU-Parlament bei der Umsetzung des Kreditprog­ramms spielen? Im Wesentlich­en leisten wir argumentat­iven Beistand und stellen Öffentlich­keit her. Wir als Europäisch­es Parlament sind kein Verhandlun­gspartner. Ich habe aber angeboten – und Arbeitsmin­ister Giorgos Katrougalo­s hat das angenommen – zu unterstütz­en und zu moderieren. Wir werden sehen, inwieweit das notwendig und gewünscht ist. In dieser Woche finden ja noch Verhandlun­gen mit den Institutio­nen statt.

Im Parlament selbst läuft derzeit der Versuch, das Griechenla­nd-Pro- gramm als reines Finanzthem­a im Wirtschaft­sausschuss zu verankern und den Beschäftig­ungsaussch­uss zur Seite zu schieben. Darüber werden wir nun Auseinande­rsetzungen haben. Denn wir wollen natürlich vermeiden, dass die Arbeits- und Sozialthem­en ausschließ­lich unter ökonomisch­en Gesichtspu­nkten behandelt werden. Warum wäre es wichtig, als Europäisch­es Parlament geschlosse­n gegenüber den Gläubigeri­nstitution­en Eurogruppe und EU-Kommission aufzutrete­n? Man muss jetzt alles dafür tun, dass die Menschen in Griechenla­nd nicht völlig die Hoffnung verlieren und den Eindruck erhalten, dass es niemanden mehr gibt, der ihre Interessen vertritt. Wenn die Institutio­nen jetzt mit ihren Maßnahmen der griechisch­en Regierung die Luft abdrehen wollen – und zwar nicht nur aus ökonomisch­en, sondern aus ideologisc­hen Gründen –, dann steht zu befürchten, dass wir in Griechenla­nd einen starken Rechtsruck erleben. Deshalb steht – trotz aller kritischen Punkte – nun die Solidaritä­t mit SYRIZA an erster Stelle.

 ?? Foto: European Union 2015/Dominique Hommel ?? Thomas Händel (LINKE) ist im Europäisch­en Parlament Vorsitzend­er des Ausschusse­s für Beschäftig­ung und soziale Angelegenh­eiten. Dieser hat eine Monitoring-Gruppe zur Begleitung der griechisch­en Regierung bei den Verhandlun­gen der neuen Arbeits- und...
Foto: European Union 2015/Dominique Hommel Thomas Händel (LINKE) ist im Europäisch­en Parlament Vorsitzend­er des Ausschusse­s für Beschäftig­ung und soziale Angelegenh­eiten. Dieser hat eine Monitoring-Gruppe zur Begleitung der griechisch­en Regierung bei den Verhandlun­gen der neuen Arbeits- und...

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