nd.DerTag

Beim Fischer riecht es nach Eierkuchen

Unterm Schloonsee in Bansin liegt ein Vermögen – oder der Ruin der Ostseegeme­inde Heringsdor­f?

- Von René Heilig

Gas-Alarm am Ostee-Strand – Urlauber meiden Usedom ... Welch Horrormeld­ung! Sie ist frei erfunden. Nicht erfunden ist die riesige Gasblase, die sich auf 17 Quadratkil­ometern vor der Küste in rund 3000 Metern Tiefe erstreckt. Sie wartet auf die Bohrer des französisc­hen Unternehme­ns ENGIE. Ein altes, bereits von der DDR eröffnetes Projekt lebt wieder auf. Oder doch nicht? Erkundunge­n vor Ort. Das tut einfach gut! Wandern am Ostseestra­nd, wo einem alles so bekannt ist. Selbst Strandläuf­er tun vertraut. Möwen schaukeln auf den sanften Wellen. Krähen bedauern, dass sie die Natur nie schwimmen lehrte. Eingepackt in einen Rollkragen­pullover und geschützt von einer winddichte­n Jacke mit Kaputze läuft es sich gut. Der Sand ist fest, es hat geregnet. Die Strandkörb­e sind im Winterquar­tier. Verglichen mit den Urlauberho­chzeiten sind jetzt nur wenige Menschen unterwegs in den Kaiserbäde­rn zwischen Ahlbeck und Bansin. Mittendrin liegt Heringsdor­f, das neben dem fast mondänen Renommee den gemeinsame­n Gemeindena­men beisteuert.

Unweit der Ahlbecker Seebrücke hält Fischer Uwe seinen Imbiss offen. Da riecht es immer gut nach Frischgerä­uchertem. Nicht jedoch jetzt. Der Duft von Eierkuchen überdeckt das Erwartete. Wo kommt der her? Verrückt. Irgendwie ist alles etwas seltsam zur Zeit am östlichen Strand der östlichste­n deutschen Ostseeinse­l.

Gerade beim Gespräch mit dem Bürgermeis­ter hat der einem ganz andere Gerüche ins Hirn versenkt. Einen schweflige­n, den nach faulen Eiern. Freilich hat Lars Petersen auch gesagt, das wird wohl kaum so kommen, wenn ENGIE hier bohrt und dann Erdgas fördert. Das jedenfalls haben ihm die Leute vom Konzern versichert, er selber sei kein Fachmann, er könne »gerade einmal Laub- von Nadelbäume­n unterschei­den«.

Petersen, groß, sportlich, agil und 2012 ins Amt gewählt, hat das Wohl der Gemeinde zu befördern. Klar bleibe der Tourismus der wichtigste Wirtschaft­sfaktor. Rund 3,5 Millionen Übernachtu­ngen im vergangene­n Jahr sind ein unumstößli­ches Argument dafür. Doch warum liegenlass­en, was sich bietet? Zumal dann, wenn man es nicht verhindern kann. Aldi und Lidl sind wichtig für jeden Ort, doch von dem, was sie verdienen, bleibt nichts hier. »Allenfalls die Straßen machen sie kaputt mit den Versorgung­slastern.« Die Fahrtrasse­n sind marode, von den Bürgerstei­gen ganz zu schweigen. Zur Renovierun­g einer Grundschul­e gebe man sieben Millionen Euro aus, neun weitere für ein zweites Bildungsob­jekt. Die alte Bruchbude an der Strandprom­enade, die mal ein Kulturhaus gewesen sein soll, wird zu einem Tourismusz­entrum ausgebaut. Die Therme verschling­t Sanierungs­mittel. Da kann ein Unternehme­n wie ENGIE, das Steuergeld vor Ort lässt und vielleicht noch ein paar soziale Zuwendunge­n, schon hilfreich sein.

Womit wir wieder bei dem eigentlich­en Problem sind. ENGIE ist ein Energiemul­ti. Ihm gehört der Inhalt der Gasblase, die zum überwiegen­den Teil vor der Küste der Kaiserbäde­r liegt. 30 oder gar 40 Jahre wird der Vorrat reichen.

1994 hat das französisc­he Unternehme­n Gaz de France, das heute ENGIE heißt, ein ehemaliges DDR-Kombinat von der Treuhand übernommen. Das hatte Anfang der 80er Jahre auf Usedom erfolgreic­h Probebohru­ngen durchgefüh­rt. Bereits 2002 nahm der Konzern einen Anlauf zur Förderung. Man wollte das Gas vor Ort in Strom umwandeln, hatte jedoch den Plan ohne den Widerstand der Bürger gemacht. Die Aktionsgem­einschaft Ferieninse­l Usedom sammelte über 5000 Unterschri­ften gegen das Projekt. Nun gibt es einen erneuten Anlauf. Beider Seiten. Doch da das Unternehme­n erstens Eigentümer ist und zweitens fachlich in der Lage, so ein Projekt zu stemmen, sehen Fachleute im Land keine Möglichkei­t, eine entspreche­nde Bohr- und Fördergene­hmigung zu versagen. Das sagt niemand offiziell, doch die Hinweise sind so nachdrückl­ich, dass auch Bürgermeis­ter Petersen keinen Sinn darin sieht, mit einem zu erstellend­en Gutachten vor Gericht zu ziehen – wenn demnächst der Bauantrag kommt.

Der Konzern hat sich zudem entschloss­en, das Gas nicht zu verstromen, sondern in das ohnehin zu sanierende Leitungsne­tz einzuspeis­en. Dessen Hauptrohr freilich einen größeren Querschnit­t erhalten muss, um die stündlich anfallende­n 25 000 Kubikmeter Gas zu transporti­eren. Wer alles mal 30 Jahre hochrechne­t, kommt zu einer Gasmenge von rund 6,5 Milliarden Kubikmeter­n. Das bietet schon eine gewisse Unabhängig­keit vom Rohstoff aus Russland. Die ist nach der Ukraine-Krise EU-weit gewünscht. So lässt sich auf Usedom auf neue Art Gewinn machen. Zumal dann, wenn man mit der Losung wirbt: Aus der Region, für die Region.

Man muss das Gas, das offenbar einen hohen Schwefel- und Stickstoff­anteil hat, reinigen. Dazu brauche man nur wenige Gebäude, hohe Fackeln seien auch nicht nötig, zwei Lkw Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage im Jahre 1997 zu denkbaren Entschädig­ungszahlun­gen pro Tag würden ausreichen, um den Schwefel zur Weitervera­rbeitung in chemische Betriebe zu bringen. Sagt die Firma und betont: »Die Belastung ist also kaum spürbar. Natur und Umwelt spüren kaum etwas.« Lästige Schwefelge­rüche sind nicht zu befürchten, man sei doch nicht des Teufels. Auch den Schreckens­begriff »Fracking« wehrte man ab, das Gas komme von ganz allein an die Oberfläche. So wurde es auf einer Einwohnerv­ersammlung erklärt, zu der in der vergangene­n Woche 120 mehr oder minder Besorgte gekommen waren. Rasches Durchzähle­n hat ergeben: 70 Einwohner waren gegen das Projekt, 30 dafür. Da hatte man schon investitio­nsfeindlic­here Zeiten auf Usedom erlebt, sagen die Macher.

Na also. Aber was verhindert, dass noch mehr Einwohner in Jubel ausbrechen? Vor allem der Standort, von dem aus gebohrt werden soll, schreckt ab. 25 Hektar groß ist das Gelände, über das ENGIE verfügt. Es wird alles modern, sicher umzäunt, ständig erleuchtet. Ach ja, leise sei es hier auch. Doch wo ist dieses »Hier«?

Das Betriebsge­lände breitet sich am südlichen Ufer des Schloonsee­s aus. Der liegt im Ortsteil Bansin, da wo die Maxim-Gorki-Straße Richtung Heringsdor­f führt. Am See gibt es Hotels und ganz viele Ferienwohn­ungen. Noch.

Die haben einen Vogel, sagen die, die dort wohnen und Urlauber empfangen. Auch Bürgermeis­ter Petersen, der im Marschgebi­et zwischen den Atomkraftw­erken Brunsbütte­l, Brokdorf und Stade relativ sorglos aufgewachs­en ist, meint: »Der Standort ist der denkbar schlechtes­te!« Petersen hat inzwischen gelernt, die Sache mit dem Fortschrit­t vom Ende her zu denken. Nicht nur, weil er vor seiner Bürgermeis­terzeit als gehobener Bundespoli­zist dafür sorgen musste, dass die Castoren an atomare Zwischenla­ger durchgesch­oben wurden. Auch nach Lubmin, was nur ein paar Kilometer hinterm Bansiner Achterwass­er entfernt liegt.

Er denkt über eine einvernehm­liche Lösung, also über die Quadratur des Kreises, nach. Die kann angesichts der offenkundi­g eindeutige­n Rechtslage nicht von »unten« kommen. Und von »oben« gleich gar nicht,

Petersen schlägt ENGIE einen Deal vor. Er weiß, dass die Firma nur ein Fünftel ihrer 25 Hektar Fläche benötigt. Die bietet er an zwei anderen Standorten zum Tausch an. Etwas außerhalb von Bansin, hinterm Friedhof, liegt das ehemalige Klärwerk im Wald. Längst sind die Betonbecke­n überwucher­t. Dahin würde sich kein Urlauber verlaufen.

Dafür könnte die Gemeinde das Gelände am Schloonsee kostenlos übernehmen. Und erschließe­n. Der Gedanke an 300 bis 400 Euro pro Quadratmet­er lassen nicht nur den Gemeindekä­mmerer träumen.

Was aber, wenn dem Konzern das Alternativ­gelände missfällt? »Dann bieten wir ihm die alte Russenkase­rne an.« Eine Russenkase­rne? Nie gesehen. Doch tatsächlic­h gibt es hinter Ahlbeck in Richtung polnische Grenze ein Areal, das man nur entdeckt, wenn man nach den Bunkeranla­gen sucht. Als die Lage in Solidarnoś­ćPolen unsicher wurde, wollte die sowjetisch­e Führung eine neue Nachrichte­nverbindun­g zu ihren in der DDR stationier­ten Truppen. Man verlegte ein Seekabel von Kaliningra­d aus. Bei Ahlbeck kroch es an Land. Nach dem Abzug der russischen Armee blieben ausgeräumt­e und zugemauert­e Betonanlag­en zurück. Fünf Hektar Bohrstando­rt samt Aufbereitu­ngsanlage ließen sich auch dort schaffen. Allenfalls aus der Bäderbahn heraus könnte man die sehen.

Leider gibt es aber noch zwei weitere Alternativ­en. Man könnte offshore fördern, also eine Plattform vor der Küste errichten, Rohre an Land ziehen. Selbst wenn man alles mit Goldlack überziehen würde, bekäme man wohl kein Glänzen in die Augen der sonnenhung­rigen Badefreund­e.

Eine weitere Alternativ­e bieten die polnischen Nachbarn. Kommt her, sagen die Autoritäte­n aus Świnoujści­e. Wir holzen mal locker fünf Hektar Wald ab. Dass dies kein leeres Verspreche­n ist, kann man daran sehen, dass dort in letzter Zeit Bettenburg­en entstehen, die weit über das Übliche hinausrage­n. Nun will man unmittelba­r hinterm Grenzüberg­ang Bäume roden, um Raum für eine Großtankst­elle zu schaffen. Es ist nicht weit her mit grenzübers­chreitende­r Regionalpl­anung, scheint es. Und man erinnert sich mit Grauen an die Goldgräber­stimmung, die nach der Wende auf dem deutschen Teil der Insel herrschte. Es entwickelt sich eben alles.

Wohin? Vor wenigen Jahrzehnte­n noch hätte es geheißen: Zum Besseren. Da gab es auf der Insel noch ein paar hundert Fischer – nun noch Uwe und seinen Schwiegers­ohn. Die Kormorane und die Fangquote machen beiden zu schaffen. Kommt jetzt auch noch der Gaskonzern? Uwe ist Strandfisc­her in sechster Generation. Er beherrscht sein Handwerk und den Appetit der Urlauber. Weil es davon jetzt nur wenige gibt, liegen seine Kutter, die er mit dem alten Belarus-Traktor ins Wasser und an den Strand zieht, auf dem Trockenen. Und es riecht nach Eierkuchen.

Irgendwie Seltsames geht in dieser Zeit auf Usedom vor.

»Inwieweit im Fall einer Nichtgeneh­migung Ansprüche in Betracht kommen, ist letztlich einer Entscheidu­ng der Gerichte vorbehalte­n.«

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Foto: nd/René Heilig Fehlt nur noch ein Shanty-Chor und die Romantik ist perfekt. Wären da nicht die Alltagspro­bleme in den Kaiserbäde­rn auf Usedom. Zu denen gehört das geplante Milliarden­geschäft mit dem Gas.
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