Über sehr, sehr hässliche Dinge sprechen
Kritische Perspektiven nach der Kölner Silvesternacht: Die Rosa-Luxemburg-Stiftung lud zur Diskussion
»Ausnahmslos aufklärungsbedürftig« sind auch gut einen Monat nach den sexualisierten Übergriffen auf Frauen in Köln nicht nur die begangenen Straftaten. »Wir sind keine Kriminellen, wir sind keine Vergewaltiger. Wir sind normale Leute.« Flüchtlingsaktivist Salomon Wantchoucou verbittet sich, die Vorgänge in der Silvesternacht in Köln als Vorwand dafür zu benutzen, Flüchtlinge pauschal zu verdächtigen und die Asylgesetze zu verschärfen. Wantchoucou, selbst aus Benin geflohen, hat zusammen mit anderen, die wie er in Wittenberg landeten, Anfang Januar eine Erklärung verfasst, in der die Angriffe auf Frauen scharf verurteilt werden. Gemeinsam initiierten sie eine Kampagne von Flüchtlingen für Flüchtlinge zum Thema Gleichberechtigung der Geschlechter.
Erst wenige Tage alt ist das Aktionsbündnis »Wir machen das« von 100 Frauen aus Kunst, Wissenschaft und öffentlichem Leben, unter ihnen die Soziologin Sabine Hark und die Autorin Margarete Stokowski. Sie alle wollen »der Herausforderung weltweiter Migration mit Menschlichkeit und Sachverstand« begegnen und sich für eine »Kultur des Teilens« zwischen Einheimischen und Neuankommenden einsetzen.
Es ist viel passiert nach »Köln«, und doch schadet es nichts, sich nach all den hitzigen Debatten auch nochmal darüber klar zu werden, worum es eigentlich geht. In den Münzenbergsaal des nd-Gebäudes in Berlin passen längst nicht alle, die zur Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit dem Titel »Ausnahmslos aufklärungsbedürftig« gekommen sind.
Wer nicht nur die Täter von Köln verurteilt, sondern auch die vorherrschende »rape culture« (Vergewalti- gungskultur) kritisiert, ruft mitunter erbitterte Reaktionen hervor, weil der Begriff falsch verstanden wird. »Das Wort ›rape culture‹ bedeutet nicht, dass alles, was in unserer Kultur stattfindet, Vergewaltigung ist. Es bedeutet, dass unsere Kultur so beschaffen ist, dass sie sexualisierte Gewalt häufig bagatellisiert, verdeckt und ermöglicht«, schrieb Stokowski kurz vor Weihnachten – in einem Text über Opfer sexueller Gewalt, die über ihre Erfahrungen schwiegen (#whyisaidnothing). Aber nicht nur bei »rape culture« sehen viele hierzulande rot. »Die Leute sind wesentlich entspannter, wenn man auch Worte wie ›Feminismus‹, ›Gender‹ und ›Patriarchat‹ vermeidet«, erzählt Stokowski. Sabine Hark von der TU Ber- lin bevorzugt ohnehin weniger reißerische Begriffe wie den von Birgit Rommelspacher geprägten der »Dominanzkultur« oder schlicht »männliche Herrschaft«. Diese Begriffe beinhalten im wissenschaftlichen Diskurs verschiedene Formen struktureller Diskriminierung, die sich gegenseitig bedingen, etwa Sexismus und Rassismus.
Was nicht bedeutet, dass Gegner solcher Diskriminierungsformen gegen Fehler gewappnet wären. Massimo Perinelli, Historiker und Mitglied der Initiative »Keupstraße ist überall«, kritisiert die staatsideologischen und mitunter rassistischen Äußerungen mancher Feministinnen wie auch die paternalistische Haltung einiger Antirassisten, für die Flüchtlinge stets Opfer zu sein hätten. Setzt man Letzteres voraus, ist nichts getan, um solche widerwärtigen Übergriffe wie in der Silvesternacht künftig zu vermeiden. Perinelli plädiert dafür, zu schauen, warum Migranten durchaus zu Tätern werden können und es in Köln mutmaßlich wurden. So würden Illegalisierte häufig ohne Aussicht auf Bildung, Job und ein selbstgestaltetes Leben in Wohnheime gesteckt, wo sich Männerbünde entwickeln könnten, wie sie schon immer für Frauen, aber auch für andere Männer eine Gefahr darstellten.
Dass es den Regierenden nicht wirklich um den Schutz von Frauen gehe, beweist für Anne Wiezorek (#aufschrei, #ausnahmslos) die Tatsache, dass Maßnahmen für die Verbesserung der Situation von Flüchtlingsfrauen in Massenunterkünften soeben aus dem Asylpaket II gestrichen wurden. Rechte von Frauen wie von Geflüchteten müssen gestärkt werden, darüber herrschte Konsens am Dienstagabend. Um etwas grundlegend zu verändern, so Stokowski, müsse man »über superhässliche Sachen« sprechen. Die in den Köpfen festsitzenden Bilder von männlicher und weiblicher Sexualität, von »Trieb« und »rumkriegen«, müssten angegangen werden, ebenso die Bilder von Geflüchteten. Für viele Linke sei das zwar selbstverständlich. Anderen aber müsse man das »behutsam erklären«.