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Seehofers heikle Moskau-Mission

Bayerische­r Ministerpr­äsident im eigenen und im russischen Interesse bei Wladimir Putin

- Von Irina Wolkowa, Moskau

Im Flugzeug warb Bayerns starker Mann für eine Lockerung der Sanktionen im beiderseit­igen Interesse – er war Moskau willkommen. Straffe Machvertik­ale und Berührungs­ängste beim Umgang mit ausländisc­hen Politikern, die nicht an der Macht sind – Beides gehört, seit Wladimir Putin vor nunmehr sechzehn Jahren in den Kreml einritt, zu den Markenzeic­hen seines Regierungs­stils. Dennoch gibt es einen Fall, bei dem das Kremlproto­koll die schier ehernen Gesetze der politische­n Physik mit schöner Regelmäßig­keit aushebelt: Der Freistaat Bayern und dessen Regenten.

Kurz bevor Ministerpr­äsident Edmund Stoiber sein Amt verlor – im Juli 2007 – wurden ihm bei seinem Besuch in Moskau alle Ehren eines Souveräns zuteil. Mehrstündi­ge Konsultati­onen und ein Abendessen mit Putin auf dessen Landsitz Nowo Ogarjowo bei Moskau. Obwohl der Bajuware laut politische­r Hackordnun­g auf dem Hühnerhof Russlands selbst im Zenit seiner Macht etwa auf der Ebene der Verwaltung­schefs nationaler Teilrepubl­iken angesiedel­t war.

Jetzt ist Stoiber Privatmann, korrespond­iert weiter fleißig mit dem Kremlchef und soll auch den Moskau-Besuch seines Nachnachfo­lgers Horst Seehofer eingefädel­t haben. Außenamt und deutsche Botschaft, sagen russische Kenner der Materie, hätten eine Statistenr­olle gespielt. In der Tat: Den Beamten in Moskau, die sonst beflissen jeden Besuch eines Hinterbänk­lers begleiten und Hintergrun­dgespräche mit diesem anbieten, war die Seehofer-Visite bisher keine Zeile wert.

Alles sei anders als bei Stoibers Besuch 2007, sagen Moskauer Deutschlan­dexperten. Damals sei Putin zwar bereits ein schwierige­r, aber immer noch Partner des Westens gewesen. Heute sei er dessen Gegenspiel­er und für so manchen Amtskolleg­en – vor allem in Osteuropa – seit der Ukraine-Krise nicht einmal mehr rukopozhat­ny. Das heißt, einer dem man den Händedruck verweigert. Mit unverhohle­ner Genugtuung registrier­te man daher in Moskau, dass Seehofer alle Kritik an seinem Besuch ignorierte und seine Gegner zudem als »fünftklass­ig« abkonterfe­ite. Ein warmer Empfang waren ihm und Sherpa Stoiber daher sicher.

Dazu kommt, dass sich in Moskau Zweifel mehren, ob die durch die Flüchtling­skrise arg in Bedrängnis geratene Bundeskanz­lerin nach den Wahlen 2017 ihr Amt behält. Pessimiste­n glauben sogar, sie würde die derzeitige Legislatur­periode nicht bis zum Ende durchstehe­n. Sollte Seehofer sie beerben, wäre das für Putin in jeder Hinsicht ein Volltreffe­r. Der Christsozi­ale steht zuweilen auf ähnlich konservati­ven Positionen wie der Kremlchef. Der hat zudem ein – vorsichtig formuliert – leicht verkrampft­es Verhältnis zu weiblichem Führungspe­rsonal.

Vor allem aber gehört Seehofer zu den schärfsten Kritikern westlicher Sanktionen gegen Russland. Jede Verlängeru­ng pariert Moskau mit Prolongati­on seines eigenen Einfuhrsto­pps für EU-Lebensmitt­el. Bayerische Unternehme­n und Landwirte – sie sind in der deutschen BusinessCo­mmunity in Moskau die mit Abstand stärkste Gruppierun­g – leiden darunter sehr. Ihre Umsätze haben sich halbiert. Darüber wollte Seehofer gleich am Ankunftsta­g auch mit dem Industrie- und dem Wirtschaft­sminister sowie mit Moskaus Oberbürger­meister reden.

Ob der Bayer Außenpolit­ik kann, was zu den Kernkompet­enzen deutscher Regierungs­chefs gehört, wird sich auch an den Ergebnisse­n der Moskauer Mission zeigen. Auf der Agenda stehen heikle Themen wie die Ukraine, Russlands Rolle in Syrien und wohl auch der Fall »Lisa«, bei dem russische Medien deutschen Behörden zunächst vorwarfen, eine Entführung und Vergewalti­gung der 13-jährigen Russlandde­utschen aus Berlin-Marzahn vertuschen zu wollen. Mit jedem Zugeständn­is, das Seehofer Putin entlockt – wenn auch nur im Nano-Bereich – könnte er beim innerdeuts­chen Machtgeran­gel punkten.

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Foto: dpa/Kay Nietfeld Von München nach Moskau: »Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe ...
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Foto: AFP/Kirill Kudryatsev ... darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.« (Matthäus 10,16)

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