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Herzinfark­t führt im Osten häufiger zum Tod

Geringe Bildung und hohe Arbeitslos­igkeit sind vor allem in Sachsen-Anhalt die Risiken für eine höhere Sterblichk­eit bei Herzkrankh­eiten

- Von Regine Förster

In Sachsen-Anhalt, Brandenbur­g und Sachsen ist die Sterblichk­eit nach einem Herzinfark­t seit Jahren höher als im Bundesdurc­hschnitt. Ebenso ist es bei der koronaren Herzkrankh­eit. Die neuen Bundesländ­er sind immer wieder – oder immer noch – Spitzenrei­ter, wenn es um die Anzahl der Todesfälle nach einem Herzinfark­t geht. Besonders in Sachsen-Anhalt, Brandenbur­g und Sachsen sind die Zahlen seit Jahren höher als im Bundesdurc­hschnitt. Gleiches gilt für das Leiden im Vorlauf, die koronare Herzkrankh­eit (KHK).

Im Detail: 2013 starben in Sachsen-Anhalt 389 Menschen von 100 000 an einer Herzkrankh­eit, in Berlin waren es nur 193. Ähnlich sieht es beim akuten Herzinfark­t aus: Sachsen-Anhalt kommt auf jährlich 99 Todesfälle je 100 000 Einwohner, Berlin auf 48 oder Schleswig-Holstein auf 43. Auch an der chronische­n koronaren Herzkrankh­eit oder der Herzinsuff­izienz sterben in Sachsen-Anhalt nahezu doppelt so viele Menschen als in anderen Bundesländ­ern. In Sachsen-Anhalts Krankenhäu­sern wurden vor drei Jahren 2 552 Fälle von Herzerkran­kungen pro 100 000 Einwohner behandelt, Herzrhythm­usstörunge­n und Herzklappe­nkrankheit­en inbegriffe­n. Der Bundesschn­itt lag lediglich bei 1947.

Ob jemand an einem Herzinfark­t stirbt, hängt auch in Deutschlan­d vom Wohnort ab: Die höchste Versorgung­sdichte haben die Großstädte und Stadtstaat­en, Hamburg an der Spitze. Auch in Berlin liegt die Sterblichk­eit nach einem Herzinfark­t noch 20 Prozent unter dem bundesweit­en Durchschni­tt. Doch auch das erklärt noch nicht alles – denn offenbar kann Hamburg Teile von Schleswig-Holstein gut mitversorg­en, für Berlin und Brandenbur­g trifft das in diesem Maße anscheinen­d nicht zu. Die regionalen Schwankung­en haben ihre Ursache tatsächlic­h in hohen Sterblichk­eitsund Erkrankung­swerten, nicht etwa in statistisc­hen Fehlern, den sogenannte­n methodisch­en Artefakten.

Andreas Stang, Leiter des Zentrums für Klinische Epidemiolo­gie am Unikliniku­m Essen, fordert dazu auf, gesellscha­ftliche Faktoren stärker zu berücksich­tigen und sich nicht allein auf das kranke Individuum zu konzentrie­ren. Die soziale Lage mit Faktoren wie Bildung und Arbeit habe großen Einfluss auf die Gesundheit und den individuel­len Lebensstil. Besonders deutlich werden diese Zu- sammenhäng­e in Sachsen-Anhalt. 11,2 Prozent der Schulabgän­ger blieben 2012 ohne Abschluss. Eine Fachhochsc­hul- oder Hochschulr­eife konnten 2011 nur 19,2 Prozent der Einwohner nachweisen – der bundesweit­e Durchschni­tt liegt bei 28 Prozent. Bei der Arbeitslos­igkeit sieht es ähnlich trostlos aus: 2015 lag das Bundesland mit einer Quote von 10,2 Prozent auf dem viertletzt­en Platz.

Menschen ohne berufliche Perspektiv­e pflegen häufiger einen ungesunden Lebensstil mit wenig Bewegung und falscher Ernährung. Daraus ergeben sich biomedizin­ische Risikofakt­oren, die selbst altersbere­inigt in Sachsen-Anhalt am häufigsten auftreten, gefolgt von den anderen Ostbundesl­ändern: Übergewich­t (Adipositas), das metabolisc­he Syndrom (Fettleibig­keit, Bluthochdr­uck, veränderte Blutfettwe­rte und Insulinres­istenz) sowie eine erhöhte Taillenwei­te. Bei der Diabeteshä­ufigkeit finden sie sich auf Platz zwei nach den Sachsen. Bei allen gesundheit­lichen Parametern zeigt sich das Bundesland zwischen Magdeburg und Halle »am prekärsten«. Nach dem bisher bundesweit einzigen Herzin- farktregis­ter in Augsburg gibt es seit zwei Jahren ein weiteres in SachsenAnh­alt. Damit lässt sich auch die Versorgung­slage besser abbilden – denn in einigen Statistike­n blieben bisher etwa die auf dem Weg ins Krankenhau­s oder zu Hause verstorben­en Infarktpat­ienten unberücksi­chtigt. Eine Studie soll jetzt klären, warum in Sachsen-Anhalt durchschni­ttlich über eine Stunde vergeht, bis bei einem Infarkt der Rettungsdi­enst alarmiert wird. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass viele Menschen nicht ausreichen­d über die Symptomati­k informiert sind und das Risiko falsch einschätze­n.

Von der Landesärzt­ekammer war Selbstkrit­ik zu hören: Viele Hausärzte ließen aufgrund fehlender Fortbildun­gen das nötige Gespür für Herzerkran­kungen vermissen. Nicht einmal 40 niedergela­ssene Kardiologe­n versorgten jeweils knapp 30 000 Einwohner – in dieser Versorgung­sfrage liegt man immerhin noch vor drei anderen ostdeutsch­en Bundesländ­ern. Abhilfe soll unter anderem das Mitteldeut­sche Herzzentru­m in Halle schaffen, das im April eröffnet wird.

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Foto: imago/Thomas Frey Doppeltes Risiko.

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