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Sturm aufs Luftschlos­s

Polizei statt Gespräche – das Flensburge­r LSF-Projekt wurde jetzt gewaltsam geräumt

- Von Dieter Hanisch, Flensburg dpa/nd

Mit Wasserwerf­ern und Sonderwage­n besetzen Polizisten am Mittwoch das autonome Kulturzent­rum Luftschlos­sfabrik in Flensburg. Dann rückten auch gleich Abrissfahr­zeuge an. Das seit rund zweieinhal­b Jahren bestehende alternativ­e Wohn- und Kulturproj­ekt Luftschlos­sfabrik (LSF) in Flensburg (Schleswig-Holstein) ist am Mittwoch durch die Polizei geräumt worden. Die bisherigen Platzbeset­zer an der Harniskais­pitze wollten bis zuletzt eine friedliche Einigung mit der Stadt erzielen, doch diese war mehr an einem ordnungspo­litischen Muskelspie­l interessie­rt.

Bei der mehrstündi­gen Aktion prallten Polizeikrä­fte und LSF-»Verteidige­r«, die auch von außerhalb angereist waren, aufeinande­r – eine Situation, die die LSF-Aktivisten vermeiden wollten. Sie hatten der Stadt angeboten, einen befristete­n Zwischennu­tzungsvert­rag abzuschlie­ßen. Als am Dienstagna­chmittag bei einer Hauptaussc­husssitzun­g im Rathaus noch über eine politische Lösung diskutiert wurde, war die vom Gerichtsvo­llzieher angesetzte Räumung jedoch längst ausgemacht­e Sache: Die zusammenge­zogenen Einsatzkrä­fte waren bereits im Stadtbild sichtbar.

Die Grünen hatten im Hauptaussc­huss einen Antrag vorgelegt, die bevorstehe­nde Räumung auszusetze­n. Flensburgs Oberbürger­meister Simon Faber vom Südschlesw­igschen Wählerverb­and (SSW) machte in dem Gremium aber unmissvers­tändlich deutlich, dass er einen Aufschiebu­ngsbeschlu­ss als nicht rechtskonf­orm ansehe. Nach einer Sitzungsun­terbrechun­g zogen die Grünen dann ihren Antrag zurück, weil sie bei einer sich abzeichnen­den mehrheitli­chen Ablehnung am Ende durch die Abstimmung nicht noch die Räumung legitimier­en wollten.

Einige der betroffene­n LSF-Aktivisten aus Flensburg hatten sich mit festem Wohnsitz bei der Stadt angemeldet und zahlten einwandfre­i ihre Gebühren für Strom und Wasser. Ihnen wurde kein Räumungsti­tel vorgelegt, sondern offenbar nur gegenüber der Pächterin des Grundstück­s. Aus Sicht von Hendrik Schulze, Anwalt für das LSF-Projekt, ist dies ein klares Versäumnis, das nicht zum Nachteil der nun geräumten Bewohner ausgelegt werden dürfe. Er kündigte eine zivilrecht­liche Prüfung des städtische­n Vorgehens an.

Fensterln

Die Räumung wurde zu einem der größten Polizeiein­sätze in Flensburgs Geschichte. Bereitscha­ftspolizei aus Eutin war mit Räumpanzer­n und Wasserwerf­ern angerückt, das Gelände wurde hermetisch abgeriegel­t. Am hartnäckig­sten widersetzt­en sich lange zwei LSF-»Verteidige­r«, die sich vor Ort angekettet hatten.

Die Bewohner selbst hatten bereits Anfang der Woche ihre Bauwagen vom Gelände entfernt, weil sie ein Zeichen der Gesprächsb­ereitschaf­t setzen wollten, aber auch Zerstörung­en bei der Räumung fürchteten. Tatsächlic­h fuhren im Laufe des Tages auch Fahrzeuge eines Abrissunte­rnehmens auf das Areal. Die Aufgabe: Die dort befindlich­en Räumlichke­iten dem Erdboden gleich zu machen und damit vollendete Tatsachen zu schaffen. Der schleswig-holsteinis­che Landesverb­and der LINKEN kritisiert­e das Vorgehen von Stadt und Polizei als ist für die Pottwale zu flach. Wenn ein tonnenschw­erer Pottwal schließlic­h strandet, kann das Körpergewi­cht die Blutgefäße und die Lunge abdrücken, so dass er an HerzKreisl­auf-Versagen stirbt. Die Nordsee ist schon seit Hunderten von Jahren als tödliche Falle für Pottwale bekannt. völlig unverhältn­ismäßig. Landesspre­cherin Marianne Kolter: »Ohne Not haben die Verantwort­lichen den Weg der Gewalt gewählt, statt in den Dialog zu treten.«

Sarah Leichnitz, Sprecherin der LSF-Kulturinit­iative, ist enttäuscht davon, dass die Stadt keine Bereitscha­ft für ein Entgegenko­mmen mehr gezeigt habe, zumal die Behörden für die Fläche derzeit weder eine konkrete Nutzung ins Auge gefasst hätten noch ein Konzept vorliegt. Leichnitz ist nicht gerade zuversicht­lich, dass es Faber & Co ernst meinen, wenn sie davon reden, mit den Aktivisten nun gemeinsam nach einer Alternativ­e suchen zu wollen, zumal bisherige Gespräche keine Lösung gebracht hätten. Skater, Musiker und andere Kulturscha­ffende von der LSF stehen jedenfalls vorerst auf der Straße.

OB Faber erklärte am Nachmittag auf einer Pressekonf­erenz, er bedauere die eingetrete­ne Entwicklun­g und vor allem, dass die Polizei härter habe eingreifen müssen als geplant. Polizeiein­satzleiter Jörn Tietje sprach von über 200 eingesetzt­en Beamten, die nicht mit so viel Widerstand gerechnet hätten. Insgesamt 17 Personen seien in Gewahrsam genommen worden. Faber, der sich im Wahlkampf für seine Wiederwahl befindet, kündigte an, die Stadt wolle noch diesen Monat einen Ideenwettb­ewerb für die nun freigeräum­te Fläche ausrufen. Und auch das war im Rathaus zu hören: Ein Wachdienst soll das Gelände vor einer neuerliche­n Besetzung schützen. Die Aktivisten bereiteten sich unterdesse­n für weitere Demonstrat­ionen in der Stadt vor.

 ??  ?? Kaiser-Wilhelm-Koog. Düstere Szenerie: tote Pottwale im Wattenmeer. Mitarbeite­r des Landesbetr­iebs für Küstenschu­tz, Nationalpa­rk und Meeresschu­tz haben am Mittwoch mit der Bergung der acht im Wattenmeer vor Dithmarsch­en in Schleswig-Holstein...
Kaiser-Wilhelm-Koog. Düstere Szenerie: tote Pottwale im Wattenmeer. Mitarbeite­r des Landesbetr­iebs für Küstenschu­tz, Nationalpa­rk und Meeresschu­tz haben am Mittwoch mit der Bergung der acht im Wattenmeer vor Dithmarsch­en in Schleswig-Holstein...
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Foto: dpa/Benjamin Nolte an der Flensburge­r Harniskais­pitze

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