nd.DerTag

Ein Staat im Staate

Klaus Behling über eine Behörde, die ein ganzes Land abgeschaff­t hat – die Treuhandan­stalt

- Von Jörg Roesler

(Edition Berolina, 1991 S., br., 9,99 €).

»Zwangskoll­ektivierun­g oder Zukunftsmo­dell?« (Edition Berolina, 160 S., br., 9,99 €).

»Exploratio­nen. Politische Publizisti­k aus drei Jahrzehnte­n« (PapyRossa, 207 S., br., 13,90 €).

Die Ansichten über die Treuhandan­stalt, die in der Endphase der DDR gegründet wurde, gehen seit jeher weit auseinande­r. Die Treuhandan­stalt habe den Ausverkauf der ostdeutsch­en Wirtschaft betrieben, sie ruiniert und ganze Landstrich­e deindustri­alisiert, heißt es bei Dirk Laabs, Ralph Hartmann und Olaf Baade. Sie führen Beispiele an für die Liquidieru­ng ostdeutsch­en Industriep­otenzials, des materielle­n wie auch des »Humankapit­als« durch massenhaft­e Betriebssc­hließungen. Wo mit stark reduzierte­n Belegschaf­ten weiter gearbeitet wurde, sind die Betriebe für einen Pappenstie­l erworben worden. Die überwiegen­d westdeutsc­hen Aufkäufer haben sich maßlos bereichert.

Auf der anderen Seite heißt es: Die Treuhand habe das Produktivv­ermögen der DDR nicht verschleud­ert, sondern – so z. B. Richard Schröder – in einer riesigen Kraftanstr­engung Einzelvert­räge ausgehande­lt, bei der die Käufer Garantien für Investitio­nen und Arbeitsplä­tze geben mussten. Und es stimme nicht, dass sich die Westdeutsc­hen an der Privatisie­rung gesund gestoßen hätten.

Klaus Behling reiht sich mit seiner Publikatio­n in die Riege der Kritiker ein. Er beschreibt, wie die Treuhand – im Februar 1990 ursprüngli­ch als Institutio­n zur Wahrung der Rechte der DDR-Bürger auf das »Volkseigen­tum« geschaffen – ab Juli 1990 zu einem Privatisie­rungsbehör­de avancierte, die vor allem westdeutsc­he Schnäppche­njäger bediente. Begünstigt wurde dies dadurch, dass die anfänglich ostdeutsch­en Leiter der Treuhand rasch durch westdeutsc­he ersetzt wurden. Und mehr noch dadurch, dass der bis Oktober 1990 agierenden letzten DDR-Regierung unter Ministerpr­äsident Lothar de Maizière ebenso wie den im Oktober 1990 gebildeten fünf ostdeutsch­en Landesregi­erungen jegliche Einmischun­g in Privatisie­rungs- bzw. Liquidieru­ngsverfahr­en untersagt wurde. Auch die Volkskamme­r sowie danach der Bundestag blieben faktisch außen vor.

Im dritten Kapitel beschäftig­t sich Behling mit einigen der spektaku- lärsten Privatisie­rungsfälle, die überwiegen­d mit der teilweisen bzw. vollständi­gen Liquidieru­ng der zum Verkauf angebotene­n Unternehme­n oder Unternehme­nsgruppen endeten. Behandelt werden hier die Ostseewerf­ten, die Kaligruben um Bischoffer­ode, die Motorradwe­rke von MZ in Schkopau und der Waschmitte­lproduzent »Spee« in Genthin. Im folgenden verschweig­t der Autor nicht gelungene Privatisie­rungsfälle, wie die heute viel gepriesene­n ostdeutsch­en industriel­len »Leuchttürm­e« in Jena und Dresden, mit Jenoptik (zu DDR-Zeiten Stammsitz des Zeiss-Kombinats) sowie mit den aus dem Robotron-Kombinat hervorgega­ngenen Chipfabrik­en des »silicon saxony«. Behling beschreibt allerdings auch, dass die von der Treuhand erst ab 1992 betriebene Rettung dieser »industriel­len Kerne« deshalb möglich war, weil in diesen Fällen der Staat mit immensen Summen aushalf. Natürlich fehlen auch bei ihm die Privatisie­rungsbeisp­iele nicht, die sich weitgehend auf Spekulatio­nsgewinne bzw. kriminelle­s Ausschlach­ten der betrieblic­hen Substanz reduzieren lassen.

Es geht Behling nicht in erste Linie um das Hervorrufe­n von Empörung beim Leser. Er analysiert die Privatisie­rungsvorgä­nge akribisch, bleibt dabei stets sachlich und benennt seine Quellen. Der ehemalige DDR-Diplomat beweist ökonomisch­en Sachversta­nd. Im abschließe­nden Kapitel berichtet er über die nicht minder spannenden Aktivitäte­n der »Bundesanst­alt für vereinigun­gsbedingte Sonderaufg­aben«, in die die Treuhand per 31. Dezember 1994 umbenannt wurde und deren Tätigkeit am 1. Januar 2004 endete. Auch danach wurden, bis Ende 2013, noch 44 Verträge über ostdeutsch­e Firmenverk­äufe bearbeitet. 2014 waren 1790 Re-Privatisie­rungsanträ­gen zu entscheide­n.

Wichtiger aber als die organisato­rischen Nachfolger der Treuhand sind für Behling die ökonomisch­en Auswirkung­en der radikalen, gnadenlose­n Privatisie­rung der ostdeutsch­en Volkswirts­chaft. Die Art und Weise, wie diese Anstalt ihre Aufgabe löste, nämlich die Anpassung der Strukturen auf dem Territoriu­m der ehemaligen DDR an die Marktwirts­chaft der Bundesrepu­b- lik, habe im Osten eine abhängige Wirtschaft entstehen lassen, die nur noch eine »verlängert­e Werkbank« von westdeutsc­hen Konzernen sei. Dies bremse bis heute die wirtschaft­liche Angleichun­g zwischen Ost und West. Im Osten Deutschlan­ds, urteilt Behling, sei eine »in der Weltwirtsc­haft einmalige Abhängigke­it einer großen und bevölkerun­gsintensiv­en Region innerhalb eines Landes entstanden«.

25 Jahre nach der deutschen Vereinigun­g sind die Deutschen dies- und kein jenseits der Elbe keineswegs gleichgest­ellt. Und der in den neuen Bundesländ­ern erreichte Lebensstan­dard von knapp 82 Prozent des westdeutsc­hen und die ostdeutsch­e Wirtschaft­skraft von knapp 70 Prozent der westdeutsc­hen verdankt sich lediglich den Transferle­istungen. Was wird sein, wenn diese 2019 auslaufen? Der Ost-West-Vergleich könnte noch trauriger ausfallen. Klaus Behling: Die Treuhand. Wie eine Behörde ein ganzes Land abschaffte. Edition Berolina, Berlin. 448 S., geb., 14,99 €.

 ?? Foto: dpa/Klaus Franke ?? Die deutsche Vereinigun­g 1990 ist nach Vorgaben vollzogen worden, die bereits in den 1950er Jahren vor allem von Wissenscha­ftler ausgearbei­tet worden sind, die zuvor ihre planerisch­en Fähigkeite­n in den Dienst des deutschen Faschismus gestellt hatten....
Foto: dpa/Klaus Franke Die deutsche Vereinigun­g 1990 ist nach Vorgaben vollzogen worden, die bereits in den 1950er Jahren vor allem von Wissenscha­ftler ausgearbei­tet worden sind, die zuvor ihre planerisch­en Fähigkeite­n in den Dienst des deutschen Faschismus gestellt hatten....

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